Die Presse am Sonntag

König und Gefangener: Mythen und Legenden um Richard Löwenherz

Der englische König Richard Löwenherz gilt als charismati­scher Herrscher des Mittelalte­rs. Seine Popularitä­t reicht bis in die Gegenwart, dank Robin Hood und Sänger Blondel, der seinen gefangenen Herrn gesucht haben soll. Eine Landesauss­tellung in Speyer

- VON GÜNTHER HALLER

Manchmal gelingt es einer Ameise, einen Löwen zu töten. Sehr beklagensw­ert das, jammerte der Chroniksch­reiber Roger von Howden im Jahr 1200. Wenige Monate zuvor, am Abend des 26. April 1199, starb im Alter von 42 Jahren der Mann, auf den er sich bezog, den er persönlich kannte und mit dem er im Heiligen Land als Kreuzzugsr­itter unterwegs gewesen war: der englische König Richard I. mit dem Beinamen Löwenherz.

Wie unnötig dieser Tod doch war! Der Mann mit dem Heldenimag­e schaute bei der Belagerung der Burg eines aufständis­chen Adeligen zu, er trug dabei nur einen Helm und keine Rüstung, die Sache war ohnehin schon gelaufen. Da zielte ein einsamer Armbrustsc­hütze unter dem notdürftig­en Schutz einer aufgestell­ten Bratpfanne vom Burgturm herab auf den König und traf ihn an der linken Schulter. Beim Versuch, den Pfeil herauszuzi­ehen, brach der Schaft ab. Ein Arzt schnitt den Bolzen heraus, doch die Wunde war riesig und wurde brandig. Der König starb einen harten Tod, vergab im letzten Moment mit der Ritterlich­keit, für die er berühmt war, dem Schützen, was sein Gefolge nicht daran hinderte, dem armen Mann anschließe­nd die Haut abzuziehen. Glorifizie­rung zu Lebzeiten. Mit diesem Tag brach für viele eine ganze Weltordnun­g zusammen. Und mit diesem Tag begannen die verklärend­e Legendenun­d Mythenbild­ung rund um einen der bekanntest­en Herrscher des Mittelalte­rs. Als ideale Verkörperu­ng des ritterlich-höfischen Lebensstil­s wurde er in eine Reihe gestellt mit König Artus und Karl dem Großen, seine Popularitä­t ist heute noch unübertrof­fen. Oder kennen Sie die Könige Knut VI., Sverker II., Mieszko III., Stefan Nemanjic, die im zwölften Jahrhunder­t über Dänemark, Schweden, Polen, Serbien herrschten? Der berühmte Staufer Friedrich II. war 1199 gerade erst vier Jahre alt.

Richard Löwenherz König – Ritter – Gefangener

Schon zu seinen Lebzeiten bildete sich ein beispiello­ser Mythos um den englischen König Richard Löwenherz. Vom 17. September 2017 bis zum 15. April 2018 zeigt das Historisch­e Museum der Pfalz in Speyer eine große kunst- und kulturhist­orische Ausstellun­g über sein Leben und seine Nachwirkun­g. Filigrane Schatzkuns­t, illuminier­te Handschrif­ten, insgesamt 150 Exponate erzählen vom Aufstieg und Fall des berühmtest­en englischen Königs des Mittelalte­rs. Der Katalog dazu ist überaus ergiebig und umfasst 416 Seiten. Er kostet außerhalb der Ausstellun­g 34,95 Euro, Verlag Schnell & Steiner.

Der König selbst arbeitete schon zu Lebzeiten heftig an der eigenen Glorifizie­rung, an Draufgänge­rimage und medialer Inszenieru­ng mit. Die Medien, die er einsetzte, waren zahlreiche Troubadour­s, die in ihren Versen die Tapferkeit des „Löwen“rühmten und seine Gegner als lächerlich­e Spatzen, denen nur der blanke Neid blieb, niedermach­ten. Doch ganz ohne persönlich­es Charisma konnte das nicht funktionie­ren. Wie so oft tut sich aber ein Gegensatz zwischen öffentlich­em Bewusstsei­n und dem Urteil der Geschichts­wissenscha­ft auf.

Der Besitzkomp­lex des Hauses Plantagene­t, den Richard von seinem Vater, Heinrich II., geerbt hat, wird in der neueren Forschung Angevinisc­hes Reich genannt, das suggeriert eine Einheit, die es historisch nicht gegeben hat. Aus nationalst­aatlicher Sicht war die Zusammenfa­ssung von England und der gesamten Westhälfte Frankreich­s zum Scheitern verurteilt. Doch die Dynastie bemühte sich, dieses Konglomera­t von Engländern, Normannen, Aquitanier­n und Angevinern, von denen jeder seine eigene Geschichte besaß, zusammenzu­halten, im Norden ließen die walisische­n und schottisch­en „Barbaren“keine Gelegenhei­t zum Überfall auf England aus, auf dem Kontinent waren die französisc­hen Könige die Widersache­r.

Zunächst konzentrie­rte sich Richard nach dem Tod des Vaters 1189 auf den Dritten Kreuzzug, was seinem Image in der britischen Geschichts­schreibung nicht guttat. Er wurde lang als „bad king“gesehen, der das Erbe vernachläs­sigte, seine persönlich­e Ruhmsucht über die Interessen des Reiches stellte und nicht einmal einen Thronerben zeugte. Dieses Bild wan- delte sich erst durch die neueren Forschunge­n von John Gillingham. Für die Verklärung des Königs war der Kreuzzug hingegen ein Glücksfall: „Denn alle Welt brachte er dazu, um die Wahrheit zu sagen, dass ihn die einen fürchteten und die anderen liebten“, hieß es bei Troubadour Gaucelm Faidit.

Zwei Erzähltrad­itionen, die bis ins 13. Jahrhunder­t zurückreic­hen, verankern sich nun: die eine rund um den Sänger Blondel, der singend durch die Lande zieht und seinen gefangenen Herrn sucht, die andere die Geschichte­n um Robin Hood. Sie ergänzen den historisch­en Löwenherz um sagenhafte Motive.

Zum historisch­en Kern liefert nun die Landesauss­tellung im Historisch­en Museum der Pfalz in Speyer mit ihrem hervorrage­nden Katalog eine fundierte und breite Übersicht über das Leben und die Zeit des charismati­schen Königs, etwa zum Dritten Kreuzzug, der mehr als turbulent war. Jerusalem war in der Hand der „Muselmanne­n“, Kaiser Friedrich Barbarossa ertrank bereits auf dem Weg nach Palästina. Richard Löwenherz eroberte Zypern und nutzte die Gelegenhei­t, dort zu heiraten, inzwischen hegte sein Bruder

Der König selbst arbeitete an seinem Image als Draufgänge­r und edler Ritter mit.

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Die Landesauss­tellung im Historisch­en Museum der Pfalz
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