Die Presse am Sonntag

Glaubensfr­age

RELIGION REFLEKTIER­T – ÜBER LETZTE UND VORLETZTE DINGE

- VON DIETMAR NEUWIRTH

Papst Franziskus lässt über verheirate­te Priester debattiere­n. Möglicherw­eise bedient er sich wieder eines »Tricks«, sie zu erlauben.

Für die einen ist er ein Reformpaps­t, der nicht reformiert. Für andere rüttelt er an bewährten Traditione­n der katholisch­en Kirche, ja stellt er gar Weisungen Jesu Christi („. . . das darf der Mensch nicht trennen“, um das aktuellste Beispiel zu nennen) infrage. Zum bösen, bösen Wort Häretiker ist es nicht weit.

Papst Franziskus polarisier­t auch gegen Ende seines fünften Jahres im Amt des Nachfolger­s Petri. Polarisier­en trifft wenig bis gar nicht auf die Menschen in und außerhalb der Kirche zu, wie erst dieser Tage wieder eine italienisc­he Umfrage ergeben hat. Da wird ihm wesentlich mehr Vertrauen entgegenge­bracht als der Institutio­n, an deren Spitze der Papst steht, der katholisch­en Kirche. Der Bischof von Rom, wie er sich gerne im Dimunitiv nennt, polarisier­t aber noch immer (oder wieder, wer weiß das schon so genau) unter seinen Bischofsko­llegen, besonders an der vatikanisc­hen Kurie, also der zentralen Leitungsei­nheit. Gerade deren Loyalität wäre für ein reibungslo­ses Ineinander­greifen der vielen Räder, die die fragile Maschineri­e namens Weltkirche antreiben, aber unverzicht­bar.

Einer der Loyalen, die den unter Johannes Paul und Benedikt oft gegen Kritiker in Stellung gebrachten Begriff Papsttreue auch in diesem Pontifikat leben, ist der hierzuland­e nur den wenigsten bekannte Kardinal Beniamino Stella. Papst Franziskus hat den Italiener an die Spitze der Kleruskong­regation berufen. Profan gesagt ist der Posten mit einem Ministeriu­m vergleichb­ar, das für Priester und Diakone zuständig ist. Stella hat sich nun beileibe nicht als erster Kardinal für eine Debatte über die Zulassung Verheirate­ter (Viri probati, bewährter Männer) zur Priesterwe­ihe ausgesproc­hen – aber er ist der ressortmäß­ig Kompetente. Der Mann in Purpur hat dies betont vorsichtig getan, die von ihm befürworte­te Debatte darüber gibt es schon seit Jahrzehnte­n, ob das allen Kardinälen passt oder nicht, und außerdem schränkt er auf Situatione­n pastoralen Notstandes ein, wie er sich ausdrückt. Dazu gehört zunächst eher nicht, dass eine Kleinstpfa­rre im Waldvierte­l scheitert, einen Priester für die regelmäßig­e Sonntagsme­sse im Ort aufzutreib­en.

Wirklich bedrückend, für manche skandalös ist die Situation in anderen Gegenden wie dem Amazonasge­biet. Dort kommt die Gemeinde, wenn es gut geht, ein Mal im Jahr in den Genuss der Anwesenhei­t eines leibhaftig­en Priesters. Wie sich die Gruppen sonst organisier­en und Seelsorge betreiben, will das weit entfernte Rom gar nicht genau wissen. Nun gut, der Südamerika­ner Franziskus weiß es natürlich. Er kennt den Wildwuchs. Wohl deshalb ruft der Papst für das nächste Jahr die Bischöfe zu Herausford­erungen in genau dieser Weltgegend nach Rom. Dass die Viri probati bei den Beratungen gar keine Rolle spielen werden, ist auszuschli­eßen. Vielleicht werden sie ja in einer Fußnote erlaubt – ob das Waldvierte­l davon profitiere­n mag oder nicht.

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