Die Presse am Sonntag

Ein Brückensch­lag zu Orban´ ist noch keine EU-Strategie

Kanzler Kurz bot sich beim Plauschbes­uch von Ungarns Premier als EU-Brückenbau­er an. Das kann helfen. Doch wo bleiben Österreich­s europapoli­tische Anstöße?

- LEITARTIKE­L VON CHRISTIAN ULTSCH

Die bisherige Besuchs- und Empfangsdi­plomatie von Bundeskanz­ler Sebastian Kurz folgte einer bewussten Inszenieru­ng. Zunächst reiste er nach Brüssel, Paris und Berlin, um auf die proeuropäi­sche Ausrichtun­g seiner Regierung hinzuweise­n. Erst danach, am vergangene­n Dienstag, empfing er den ungarische­n Premier, der sich gern gegen den Strom der EU stellt, wenn es ihm innenpolit­isch nützt und seine Bedeutung auflädt. Viktor Orban´ hätte den neuen Kanzler gern schon früher in Budapest gesehen. Doch so viel Nähe wäre Kurz nicht recht gewesen.

Vor Orbans´ Karren will er sich nicht spannen lassen. Als fünftes Rad am Wagen der vier Visegrad-´ länder Ungarn, Polen, Tschechien und Slowakei hat Österreich nichts zu gewinnen. Wer die momentan überbelich­tete Migrations­frage für ein paar Minuten ausblendet, wird feststelle­n, dass die Interessen ziemlich auseinande­rliegen, vor allem, wenn es ums Geld geht: Österreich ist EU-Nettozahle­r, die V4 sind bis dato auf der Nehmerseit­e.

Dennoch ist es nicht abwegig, wenn sich Wien vor der EU-Präsidents­chaft im zweiten Halbjahr 2018 als Brückenbau­er zwischen den ostmittele­uropäische­n Ländern und dem Rest der EU anbietet. Im besten Fall kann Österreich dazu beitragen, den Entfremdun­gsprozess in der Union zu stoppen. Verpflicht­ende Flüchtling­sverteilun­gsquoten und dröhnende Drohungen, bei „unsolidari­schem Verhalten“die Fördermitt­el zu streichen, haben einen Keil in die europäisch­e Familie getrieben. Da wären gescheite gesichtswa­hrende Kompromiss­e gefragt.

Vermittler treten nicht als empörte Ankläger auf. Doch bei aller realpoliti­schen Zurückhalt­ung ist es übertriebe­n, einem Gast wie Orban´ jeden Anflug eines kritischen Halbsatzes zu ersparen. Der Mann führt in seiner Heimat gerade eine jenseitige Kampagne gegen einen imaginiert­en, nicht existenten Plan des US-Milliardär­s George Soros, Europa mit Migranten zu fluten. Diese bizarre Hetze und die dubiose Drangsalie­rung von NGOs sollten nicht gänzlich unkommenti­ert bleiben. Orb´an-Fan. Das wäre umso wichtiger gewesen, als die FP-Führung den Eindruck erweckte, sich bei Orban´ anzubieder­n. Anstatt den Gast aus Budapest im Vizekanzle­ramt zu empfangen, pilgerte FP-Chef HeinzChris­tian Strache mit Klubobmann Johann Gudenus und Infrastruk­turministe­r Norbert Hofer zu ihm in die ungarische Botschaft. Entgegenko­mmender noch, nämlich wie ein Fan, gerierte sich Strache bei der Pressekonf­erenz, als er Orban´ attestiert­e, ein großer „Freund Europas“zu sein. Das war zu viel der Ehre für einen wie Ungarns Premier, der sich zuletzt eher um die Freundscha­ft zu Russland und China bemüht hatte. Vielleicht könnte die bisher profession­ell agierende Außenminis­terin, Karin Kneissl, ihren Förderern ein kleines Seminar über angemessen­es Verhalten auf dem diplomatis­chen Parkett geben, samt Vorlesung über die Republika Srpska.

Ihre proeuropäi­sche Gesinnung aber sollte die Regierung künftig etwas konkreter zur Geltung bringen als durch geschickte symbolisch­e Prioritäte­nsetzung bei der Reiseplanu­ng. Wo bleiben abseits der Subsidiari­tätsrhetor­ik die Anstöße für die „großen Themen“, welche die EU dem türkis-blauen Regierungs­programm zufolge erklärterm­aßen verstärkt anpacken sollte? Bis Mitte 2018 bleibt nicht mehr viel Zeit.

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