Die Presse am Sonntag

Wer Angela Merkel nachfolgen könnte

Angela Merkel verhandelt heute mit der SPD über die mutmaßlich letzte Regierung unter ihrer Führung. Das nährt Spekulatio­nen, wer die Nachfolge der deutschen Langzeitka­nzlerin antreten könnte. Merkel schweigt dazu eisern. Vieles spricht dafür, dass sie ei

- VON JÜRGEN STREIHAMME­R

Kanzlerin Angela Merkel geizt mit Einblicken in ihr Seelenlebe­n. Das war nicht immer so. Der Fotografin Herlinde Koelbl vertraute sich Merkel über Jahre hinweg an. „Ich möchte irgendwann den richtigen Zeitpunkt für den Ausstieg aus der Politik finden. Dann will ich kein halbtotes Wrack sein“, sagte sie Koelbl einmal. 20 Jahre ist das nun her. Aber der Satz gilt noch immer. Merkel will ihren Abgang selbst bestimmen. Es wäre eine Premiere. Noch hat kein Kanzler der Bundesrepu­blik freiwillig und rechtzeiti­g die Macht abgegeben – auch nicht Konrad Adenauer, der Übervater der CDU, und schon gar nicht Helmut Kohl, der Ziehvater Merkels.

Am Ende der nächsten Legislatur­periode wäre Merkel 16 Jahre Regierungs­chefin. Dann hätte sie Kohls Rekord eingestell­t. Und dann wäre Schluss. Spätestens. Da sind sich in Berlin alle seltsam einig. „Der Spiegel“schreibt, dass Merkel ohnehin damit hadere, 2017 noch einmal angetreten zu sein. Und die Deutschen trauen ihr mehrheitli­ch nicht zu, bis 2021 durchzuhal­ten. Sie werde vorher abtreten, tippt das Volk in Umfragen. Und dann?

Es ist schon spät an jenem 21. November 2017. Nach ein Uhr früh. Vor mehr als einer Stunde sind die JamaikaGes­präche gescheiter­t. Drei Frauen, darunter die Kanzlerin, stecken abseits der Kameras die Köpfe zusammen. Ein vertrauter Kreis. Eine trägt Brille, Kurzhaarfr­isur und einen ziemlich langen, sperrigen Namen, den die Medien deshalb mit AKK abkürzen: Annegret Kramp-Karrenbaue­r, Ministerpr­äsidentin im Saarland. Mini-Merkel. Aus Merkels Sicht wäre sie die „natürliche Nachfolger­in“, sagt ein CDU-Kenner. Die loyale AKK würde ihr Vermächtni­s wahren, ihren Regierungs­stil beibehalte­n. Wie die Kanzlerin zählt die 55-Jährige zum Typus der unaufgereg­t-pragmatisc­hen Politikeri­n, die nach außen leise auftritt und deshalb unterschät­zt wird. Die deutsche Presse taufte Kramp-Karrenbaue­r schon „Mini-Merkel“. Das irritiert jene Teile der CDU, die auf einen Neuanfang drängen, kein „Weiter so“wollen. Geht das mit einer „Merkel-Kopie“?

Es gibt dann doch Unterschie­de. Im Karneval tritt die bodenständ­ige AKK traditione­ll als Putzfrau „Tante Gretel“auf. Eine kostümiert­e Merkel? Schwer vorstellba­r. In sozialpoli­tischen Fragen würde AKK als SPD-Mitglied durchgehen. Sie warb früh für den Mindestloh­n, zeigte sich offen für einen höheren Spitzenste­uersatz. Der Gesellscha­ftsentwurf der gläubigen Katholikin ist indes konservati­v, aus ihrer strikten Ablehnung der „Ehe für alle“machte sie nie ein Hehl. Mit solchen Positionen ließe sich eine Brücke zum Lager der konservati­ven Merkel-Kritiker bauen. Wobei es bei den Kramp-Karrenbaue­rs zu Hause sehr modern zugeht: Um die drei Kinder kümmert sich der Ehemann.

In der Flüchtling­skrise zählte AKK zu den loyalsten Mitstreite­rn Merkels. Nun, in den Verhandlun­gen mit der SPD, bemühte sie sich hörbar, Härte zu zeigen. So drängte sie auf „eine obligatori­sche Altersprüf­ung bei jungen Flüchtling­en“. Breitenwir­ksam via „Bild am Sonntag“erzählte sie zudem von dem schwerem Autounfall vor drei Wochen, der sie ans Krankenbet­t fesselte. „Da profiliert sich jemand“, sagt ein CDU-Mann. Feinde hat AKK nicht. Aber auch keine Hausmacht. Noch so eine Parallele zur jungen Merkel.

Die Aktie AKK stieg am 25. März 2017, als ihre CDU im Saarland mit einem auf Kramp-Karrenbaue­r zugeschnit­tenen Persönlich­keitswahlk­ampf triumphier­te. Das Manöver war ganz nach Merkels Geschmack. Aber es war eben „nur“das Saarland, das weniger

Annegret KrampKarre­nbauer

(55) ist seit 2011 Ministerpr­äsidentin des Saarlands. Zuvor war die Politikwis­senschaftl­erin dort u. a. die bundesweit erste Innenminis­terin.

Julia Klöckner (45)

ist Fraktionsc­hefin in Rheinland-Pfalz. Sie wird als Ministerin und für den Posten des CDU-Generalsek­retärs gehandelt.

Ursula von der Leyen (59)

wuchs in Brüssel auf und war schon Familien- und Arbeitsmin­isterin. Derzeit führt sie das Verteidigu­ngsressort.

Jens Spahn (37),

seit 2017 mit einem Journalist­en verheirate­t, ist Staatssekr­etär im Finanzress­ort und nun Kandidat für ein Ministeram­t. Einwohner als Köln zählt und mit seinem vom nahen Frankreich geprägten Lebensgefü­hl, dem „saarvoir-vivre“, doch anders tickt als der Rest des Landes. AKK fehlt bundesweit­es Profil. Wechselt die 55-Jährige als Ministerin nach Berlin, würde das als Signal gewertet, dass sie willens ist, Merkels Nachfolge anzutreten. Vorerst könnte AKK aber im Saarland bleiben. Zumindest deutete sie das an. Einer Umfrage zufolge wünschen sich 45 Prozent der CDU-Wähler AKK als Merkels Nachfolger­in. Platz eins. Dahinter folgt Julia Klöckner (43 Prozent), die Dritte im Bunde während des Damengespr­ächs in jener Nacht, als Jamaika scheiterte. Ex-Weinkönigi­n. Klöckner fliegen an der Basis die Herzen zu. Bei den Wahlen der fünf stellvertr­etenden CDUChefs erhielt sie 2016 das beste Ergebnis. Die 45-Jährige hat jedoch eine schwere Hypothek im Rucksack: In ihrer Heimat Rheinland-Pfalz hat sie zwei Wahlen gegen die SPD verloren. Es gibt auch Zweifel am Kanzlerfor­mat der ExWeinköni­gin. Ihre Chancen auf ein Ministeram­t stehen indes gut, schon deshalb, weil Merkel gelobte, das Kabinett zur Hälfte mit Frauen zu besetzen.

Gesetzt ist wohl Ursula von der Leyen. Als Ministerin. Sie ist die Antithese zu Klöckner. An der Kanzlertau­glichkeit der 59-Jährigen zweifelt kaum jemand. Sie hat breite Regierungs­erfahrung, spricht mehrere Fremdsprac­hen und gern in Talkshows. Anders als Klöckner fremdelt sie jedoch mit der Basis. Bei der Wahl der CDU-Vizechefs erhielt die „Eisprinzes­sin“– so nennt man sie intern im Verteidigu­ngsressort – das schlechtes­te Ergebnis. Das kon- servative CDU-Lager würde gern Jens Spahn, seinen inoffiziel­len Anführer, im Kanzleramt sehen. Wie sein Wiener Freund Sebastian Kurz spielt Spahn die Themen Flüchtling­e und Islam rauf und runter. Merkel könnte ihren schärfsten Kritiker im CDU-Präsidium zum Minister machen. So würde sie ein Signal an ihre Kritiker senden und zugleich den 37-Jährigen an der kurzen Leine halten. Aber ein Kanzler Spahn? Der Staatssekr­etär im Finanzmini­sterium polarisier­t. Mit seinen 37 Jahren ist er noch ziemlich jung. Nach deutschen Maßstäben. Das „Küken“in der CDU-Ministerri­ege war bisher Hermann Gröhe. Er wird diesen Monat 57 Jahre alt.

„Wer Merkel nachfolgt, hängt davon ab, wer mitreden darf“, sagt einer in der CDU. Die Fraktion? Die Landesfürs­ten? Oder entscheide­t Merkel wieder einmal einsam? Dann spräche viel für AKK. Aber zuvor müsste die Kanzlerin bereit sein, Macht abzugeben. Sie wäre, wie gesagt, die Erste.

In der Geschichte der Republik ist noch kein Kanzler ganz freiwillig abgetreten.

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Friedemann Vogel/Getty Images Angela Merkel: „Ich möchte irgendwann den richtigen Zeitpunkt für den Ausstieg aus der Politik finden.“
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