Die Presse am Sonntag

Finale im Willy-Brandt-Haus

Läuft alles glatt, steht heute, am Tag 129 nach der Bundestags­wahl, die Große Koalition.

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Heute geht in der Heimstätte der SPD, dem Willy-Brandt-Haus, das Finale der Verhandlun­gen über eine neue Große Koalition (GroKo) in Szene. Wie beim Super Bowl in Minneapoli­s, dem USSportere­ignis des Jahres, das am gleichen Tag stattfinde­t, ist eine Verlängeru­ng nicht ausgeschlo­ssen. Die GroKoVerha­ndler halten sich Montag und Dienstag als Reservetag­e frei.

Am Samstag meldeten die Verhandler Einigung bei den Themen Familie und Fachkräfte, schwierig hingegen war der Gesprächsv­erlauf unter anderem bei befristete­n Arbeitsver­trägen und der Abschaffun­g der „Zwei-Klassen-Medizin“. Beim Thema Familienna­chzug gab es eine Einigung und danach Streit – über die Einigung. Denn die SPD erreichte bloß, dass neben den vereinbart­en 1000 Angehörige­n pro Monat auch eine Härtefallr­egelung weiter gilt, von der bisher jährlich weniger als 100 Personen profitiert­en. Selbst Vizechefin Malu Dreyer fand den Kompromiss „nicht sonderlich überzeugen­d“. Aber Martin Schulz sprach von einer „guten Einigung“. Der SPDChef schielt auf das Außenminis­terium, das Sigmar Gabriel, zurzeit populärste­r Politiker, gerne weiter führen würde. Das Verhältnis der beiden ist zerrüttet.

Mehrere Genossen bedrängten Schulz bisher vergeblich, seine Verzichtse­rklärung auf ein Ministeram­t unter Merkel zu erneuern. Und zwar vor dem Mitglieder­votum. Denn die mehr als 400.000 Mitglieder stimmen über einen Koalitions­vertrag ab. Die Parteispit­ze ist nervös, zumal die Jusos eine medienwirk­same NoGroKo-Kampagne fahren.

129 Tage nach der Bundestags­wahl verlieren die Deutschen aber die Geduld. In Umfragen werden die alten Großpartei­en CDU, CSU und SPD immer kleiner. Der ARD-Deutschlan­dTrend wies die SPD jüngst bei 18 Prozent aus – ein Negativrek­ord. CSUChef Horst Seehofer warnte daher, ein Scheitern der Gespräche wäre „grauenvoll für beide Volksparte­ien“.

Die zerrissene SPD bewegt sich indes mit zur Schau getragenem Missmut auf die GroKo zu. Es geht dort nur noch um die Frage, was das kleinere Übel ist: Neuwahlen oder weitere vier Jahre mit Merkel. Die Basis ist tief gespalten, wie das knappe „Ja“zu Koalitions­verhandlun­gen bezeugt, das nur zustande kam, weil die Parteispit­ze Nachbesser­ungen zusicherte, etwa in der Gesundheit­sund Arbeitsmar­ktpolitik.

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