Die offene Hintertür zum Marktplatz China
In Freihandelszonen können westliche Konsumartikelhersteller E-Commerce mit Endkunden betreiben. Sie ersparen sich so chinesische Partner, aufwendige Produktzulassungen und Zölle. Die Nachfrage nach Premiumware ist enorm.
Theresa May hat eine schöne Vision: Großbritannien soll mit China freien Handel treiben können. In ihrem Jet der Royal Air Force, beim Anflug zu einem dreitägigen Staatsbesuch im Reich der Mitte, verkündete die britische Premierministerin vergangene Woche ihren Plan eines Freihandelsabkommens mit der ökonomischen Supermacht, die nach kurzer Schwächephase wieder boomt. Aber sie vergaß dabei nicht zu ergänzen: Vorher müssen sich die Chinesen noch anstrengen und vieles verbessern. Worum es ihr geht? Die Dame aus der Downing Street blieb im Vagen: Hindernisse für den Handel beseitigen, die Märkte öffnen.
Woran es bisher konkret mangelt, davon können nicht nur britische Unternehmen viele Lieder singen. Aber es gibt bereits heute eine weit geöffnete Hintertür in den oft hermetisch verschlossen wirkenden Markt: den Onlinehandel über Zonen mit Ausnahmeregelungen. Eine Option, die etwa der größte britische Konsumgüterkonzern Unilever schon seit geraumer Zeit nutzt – und die auch kleinere Firmen immer öfter für sich entdecken. Bürokratie umschifft. Welche Steine lassen sich so aus dem Weg räumen? Wer als westlicher Anbieter eine Fabrik vor Ort bauen will, darf das nicht auf eigene Faust, sondern muss mit einem lokalen Partner ein Joint Venture eingehen. Wer ersatzweise zuhause hergestellte Waren an Händler importiert, zahlt hohe Zölle, meist in der Größenordnung von 30 Prozent. Und wer eine breite Palette im Angebot hat, muss sich auf eine kleine Auswahl beschränken, sonst wäre der Aufwand viel zu groß. Denn jeder Artikel muss einzeln zugelassen werden. Das bedeutet: eine lange Prozedur mit Bündeln von Formularen und Vollkosten von jeweils rund 10.000 Dollar. Es sei denn, man nutzt die einladend offene Hintertür.
Die erste Freihandelszone erlaubte die chinesische Führung 2013 in Shanghai. In der Zwischenzeit wurden daraus elf, über das gesamte riesige Land verteilt, mit spezifischen Schwerpunkten. Dazu gesellten sich seit 2015 „Cross Border E-Commerce“-Zonen in zwölf Städten. Seit damals ist es etwa in Shanghai erlaubt, E-Commerce-Töchter zu gründen, die zu 100 Prozent im Eigentum der ausländischen Mutter sind. Hersteller von Konsumgütern können ihre Waren zum größten Containerhafen der Welt verschiffen, wo sie in Lagerhäusern vorerst unverzollt und unversteuert auf ihren Absatz warten. Registriert müssen die Produkte zwar werden, aber dafür genügt eine Excel-Liste mit Fotos – kein Vergleich zum üblichen Aufwand.
Geht es dabei um Konsumgüter wie Textilien, Lebensmittel oder Kosmetika, erweist sich die Sache als noch charmanter. Der Clou dabei: Die Tochter der westlichen Firma verkauft die Waren nicht en gros an Händler, sondern übers Internet en detail´ an Endkunden. Nach chinesischem Recht ist im E-Commerce der Käufer der Importeur, und wenn dabei ein Einzelner Kleinmengen bestellt, entfällt die gesamte Zollgebühr. Zudem gibt es auf die Mehrwertsteuer und die Konsumsteuer für Luxusartikel einen großzügigen Abschlag von 30 Prozent.
Die Grenze dafür liegt bei bei 2000 Renminbi (rund 254 Euro) für eine Einzelbestellung. Übers ganze Jahr gerechnet darf ein chinesischer Verbraucher auf diese Weise ausländische Waren im Wert von maximal 20.000 Renminbi begünstigt ordern. Um eines freilich kommt kein ausländisches Unternehmen herum, das via Internet Waren unters chinesische Volk bringen will: um den Vertrieb auf einem der großen nationalen OnlineMarktplätze. Die Plattformen Tmall von Alibaba (mit der Unilever kooperiert) und JD.com sind die dominanten Spieler, zusammen kommen sie auf 80 Prozent Marktanteil. Allein die Seite JD (was für Jingdong steht) hat über 270 Millionen aktive Nutzer. Weit abgeschlagen folgen die US-Händler Amazon und Wal-Mart mit jeweils unter zwei Prozent Anteil am Kuchen. Auch sie nutzen für ihre Logistik die Freihandelszonen.
Der Clou: Der Endkunde ist der Importeur. Damit entfallen Zölle und ein Teil der Steuern.
Spielplatz für Laissez-faire. Insofern braucht man also auch als E-Commerce-Tochter einer europäischen Mutter einen chinesischen Partner. Aber er pfuscht einem nicht ins Geschäft und verlangt nur die übliche Kommission. Ein großer Vorteil eines Lagers vor Ort ist natürlich auch, dass die bestellten Waren rasch beim Kunden eintreffen.
Was sich auf begrenztem Raum bewährt, wird für das ganze Land übernommen.
Warum aber erweist sich die Führung in Peking bei diesem Thema als so großzügig? Schon die alten „Sonderwirtschaftszonen“zu Beginn der vorsichtigen Öffnung in den 1980er-Jahren waren als Experimentierfelder gedacht. Im kleinen Rahmen wollten die Staatskapitalisten ausprobieren, wie viel Markt sie ihren Untertanen zutrauen können. Ähnliches haben sie nun mit den Freihandels- und E-CommerceZonen im Sinn.
Nicht zufällig startete das Pilotprojekt in Shanghai mitten in einer ökonomischen Identitätskrise: Überkapazitäten, stagnierender Reformeifer und steigende Lohnkosten stellten das