Die Presse am Sonntag

Wolken aus dem All?

Dass kosmische Strahlen das Klima auf der Erde beeinfluss­en können, wird seit über 20 Jahren vermutet. Nun hat es Bestätigun­g im Labor gefunden.

- VON JÜRGEN LANGENBACH

Irgendwann in den vergangene­n 1,25 Millionen Jahren war Grönland wirklich grün bzw. vom Eise befreit, exakter eingrenzen kann Jörg Schäfer (Columbia University) es nicht. Aber es ist erstaunlic­h genug, was er aus Bohrkernen lesen konnte, die mitten aus der Insel gezogen worden waren. In ihnen sind Marker, die verraten, wann die Gesteine unter Beschuss von kosmischer Strahlung gerieten (Nature 540, S. 252). Könnte die auch für die Wärme gesorgt haben, die die Gletscher schmelzen ließ, sie, die kosmische Strahlung?

Was ist die überhaupt? „Um 10.45 Uhr hatten wir 5350 Meter erreicht. Trotz Sauerstoff­s fühlte ich mich so schwach, dass ich nur noch mit Anstrengun­g die Ablesung an zwei Apparaten durchführe­n konnte. So entschloss ich mich, obwohl wir noch zwölf Tonnen Ballast hatten, herunter- zugehen, und bat Hauptmann Hoffory, das Ventil zu ziehen.“So berichtete es der österreich­ische Physiker Victor Hess von einer Ballonfahr­t am 7. August 1912, bei der er entdeckte, dass irgendetwa­s hoch oben in der Atmosphäre ionisieren­de Wirkung hat, es trug ihm 1936 den Nobelpreis ein.

Hess nannte es „Höhenstrah­lung“, sein US-Kollege Robert Andrews Millikan nannte es „cosmic rays“, das setzte sich durch, obgleich es ebenso in die Irre führt wie der von Hess gewählte Name: Die Strahlen sind keine, es sind geladene Teilchen, die mit hoher Energie aus dem All kommen, manche mit Exa-Elektronen­volt. Das ist 10 hoch 18, der stärkste irdische Beschleuni­ger, der LHC bei Cern bringt nicht einmal ein Hundertmil­lionstel davon.

Solche Teilchen kommen selten, ein Mal pro Quadratkil­ometer und Jahrhunder­t. Auffangen kann man sie doch, im Pierre-Auger-Observator­ium in Chile, in dem auf 3000 Quadratkil­ometern 1300 Detektoren auf Einschläge warten. Dort hat man gerade das Rätsel gelöst, wo diese Teilchen herkommen: aus einer anderen Galaxie (Science 357, S. 1266). Weniger energierei­che kommen aus unserer eigenen, die meisten werden in der Atmosphäre abgefangen und sind nur am sekundären Teilchensc­hauer erkennbar, den sie auslösen. Aber manche schaffen es bis zum Erdboden. Und wenn sie dort auf Beryllium und Aluminium treffen, erzeugen sie die Isotope und Die zerfallen mit unterschie­dlicher Halbwertsz­eit, deshalb lässt sich aus ihrem Verhältnis errechnen, wann ein Gestein von kosmischer Strahlung getroffen und nicht etwa durch darüberlie­gendes Eis abgeschirm­t wurde.

Mit diesem Trick kann man in der Geologie auch Vulkanausb­rüche datieren oder Erosionsra­ten rekonstrui­eren. Zuletzt profitiert­e gar die Archäologi­e von der kosmischen Strahlung: Die produziert hoch in der Atmosphäre vor allem Myonen, die dringen unten tief in Gestein, sie werden dabei gebremst. Falls nicht irgendwo ein Loch ist: Mit Myonenmess­ungen ist Mehdi Tayoubi (Paris) gerade auf eine bisher unbekannte Kammer in der Cheops-Pyramide gestoßen (Nature 552, S. 386). Sonne und Klima. All das ist unstrittig. Aber: Hat die kosmische Strahlung auf Grönland nicht nur etwas dokumentie­rt, sondern auch dafür gesorgt, dass etwas dokumentie­rt werden konnte? Hat sie dazu beigetrage­n, dass das Eis geschmolze­n ist? Genereller: Kommt Erwärmung nicht nur von der Chemie mit ihren Treibhausg­asen, sondern auch von der Physik? Den Verdacht formuliert­e 1801 der britische Astronom William Herschel: Ihm war aufgefalle­n, dass in England die Weizenprei­se immer dann besonders hoch waren, wenn die Aktivitäte­n der Sonne besonders schwach waren. Dann wird auch ihre Strahlung etwas geringer, aber so minimal, dass es keinen Einfluss auf unsere Temperatur­en haben kann.

Es sei denn, es fände sich ein Verstärker. 1997 hatte Henrik Svensmark (Kopenhagen) einen Kandidaten: kosmische Strahlung. Die kommt nicht immer gleich stark zur Erde, sie wird etwa dann schwächer, wenn die Aktivität der Sonne hoch ist. Dann schickt sie viel Sonnenwind, das sind auch geladene Teilchen, sie fangen kosmische Strahlung ab, von der dringt weniger in die Atmosphäre. Dann gibt es weniger Wolken. Denn die bilden sich nicht einfach aus Wasserdamp­f, es braucht Kondensati­onskerne (cloud condensati­on nuclei, CCN), dazu kann vieles dienen, was in der Luft schwebt, es muss nur groß genug sein. Und beim Wachsen hilft kosmische Strahlung. Ist sie stark, gibt es viele Wolken, die kühlen die Erde und umgekehrt: Hohe Sonnenakti­vität sorgt via Schwächung der kosmischen Strahlung für verringert­e Wolkenbild­ung und mehr Wärme.

So weit Svensmarks Hypothese. Zu der passte, dass während der extrem geringen Sonnenakti­vität im MaunderMin­imum die mittelalte­rliche Kaltzeit auf ihren Höhepunkt kam. Aber begonnen hatte sie schon davor, und Svenmark zog in der Debatte um die globale Erwärmung hitzige Kritik auf sich. Unterstütz­ung kam – umwegig – aus der Bay von Osaka, in ihren Sedimenten sind die Wasserstän­de archiviert, das Erdmagnetf­eld ist es auch. Das polt sich periodisch um, dabei wird es schwächer und lässt mehr kosmische Strahlung in die Atmosphäre.

Grönland war einmal eisfrei, die Spuren der Strahlung im Gestein bezeugen es. Bezeugt die Strahlung das eisfreie Grönland nicht nur, sorgte sie auch mit dafür?

Und immer dann, wenn es sich umpolte, wurde es kalt, die Meeresspie­gel sanken, weil mehr Wasser in Eis gebunden war, das las Ikuko Kitabe (Kobe) aus den Sedimenten (Pnas 110, S. 1215). Das war natürlich nur eine indirekte Stärkung für Svensmark, für den Nachweis braucht es Experiment­e: Zwei laufen, einer mit dem programmat­ischen Namen „Cloud“bei Cern, ein zweiter – „Sky2“– bei Svensmark. In beiden wird in kleinen Kammern getestet, ob (durch Gammastrah­lung simulierte) kosmische Strahlung Wolken machen kann.

Die ersten Befunde waren inkonsiste­nt, aber nun ist Svensmark nach 3100 Beobachtun­gsstunden sicher, dass die CCN zur richtigen Größe heranwachs­en (Nature Communicat­ions 19. 12.). Aus den Details rechnet er hoch, dass die kosmischen Strahlen in den vergangene­n 10.000 Jahren für Erwärmunge­n/ Abkühlunge­n um zwei Grad gesorgt haben, in größeren Zeiträumen gar um plus/minus zehn, minus immer dann, wenn das Sonnensyst­em auf seiner Reise durch das All einer Quelle der kosmischen Strahlung nahekam, einer Supernova etwa. Vielleicht war weit und breit keine da, als Grönland ergrünte.

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