»Dann gibt man sich halt eben nicht die Hand«
Er wuchs im Prater auf, wurde mit 17 angeschossen – und ist heute Zeremonienmeister des Opernballs. Roman Svabek über seine Rolle als Gesellschaftslehrer, Händedruck für Muslime und warum es zum Benehmen gehört, sich wehren zu können.
Wir sind in Ihrer neuen Tanzschule in der Liechtensteinstraße – früher waren Sie am Judenplatz. Roman Svabek: Wir haben jetzt die dreifache Fläche und können ganz anders agieren. Wir sind hier viel freier im Gedankengang und haben auch ein komplett neuartiges System von Tanzkursen entwickelt. Wie sieht das aus? Wir haben keine aufbauenden Kurse mehr, sondern ein Monatssystem, das relativ viele Schulen auch schon übernommen haben. Aber: Bei uns kann man täglich mit dem Kurs beginnen. Man kann sich entscheiden, zwischen Montag und Sonntag um 18.30 oder 19.45 Uhr in die Tanzschule zu kommen, kann dort tanzen und lernt auf jeden Fall etwas Neues. In der heutigen Zeit ist es so, dass viele gern wollen, aber sich über zehn Wochen nicht auf einen Tag fixieren wollen. Nicht einmal mehr für fünf Wochen. Und man zahlt dann monatlich? Das ist bei uns vollkommen egal. Pro Stunde, monatlich, Block. Das Geld war bei uns noch nie das Wichtigste. Ich bin ja selbst zum Tanzen gekommen durch einige Erlebnisse, die mich in das hineingetrieben haben. Ich bin an meinem 17. Geburtstag in der Innenstadt angeschossen worden. Ein Streifschuss am Hals. Deppert. Aber ich bin auch dankbar, weil für mich danach Entscheidungen viel klarer waren. Mir ist mit 17 bewusst geworden, dass ich endlich bin. Und es hat mir auch gezeigt, dass jeder Mensch austauschbar und ersetzbar ist. Die Frage ist nur: Was mache ich mit der Zeit, die mir bleibt? Und ich versuche halt, den Menschen Freude zu bereiten. Und wenn ich in bisserl beitragen kann für ein besseres Klima in der Gesellschaft und die Leute Spaß haben und sich über meine blöden Schmähs abhauen, dann hab ich es richtig gemacht, für mich. Ich selbst muss nicht lachen, das ist mir wurscht. Da ich bin auf der Linie meines hochverehrten Jerry Lewis. Und Dean Martin und ein bisschen Peter Alexander dazu. Das sind meine Vorbilder. Inwiefern? Jerry Lewis, der daheim ja sehr verschlossen und depressiv war, ein sehr harter Mensch, der nicht gelacht hat, aber andere zum Lachen brachte. Das ist eine große Kunst. Und sich dabei nicht selbst umzubringen ist noch viel höher anzurechnen. Dean Martin mit seinem Swinging Way of Life, jeder Fußschritt ein leichtes Schweben über der Welt, trotzdem ein Familienmensch und nicht so versoffen, wie man glaubt. Und Peter Alexander, der alles vereint. So versuche ich, mein Leben zu gestalten. Auch ich habe zwei Gesichter. Das eine Tanzschulgesicht und das andere zu Hause. Wie sind Sie denn angeschossen worden? Ich habe mit meiner damaligen Freundin im Sacher zu Abend gegessen, das hab ich mir geleistet, da war ich schon bei der Tanzschule Elmayer angestellt und hab mir das zusammengespart. Auf dem Nachhauseweg kam ein junger Mann, wollte ein paar Schilling zum Telefonieren, zieht eine Waffe und schießt mich an, aus kaum einem Meter Distanz. Wir waren und sind noch immer traumatisiert. Und es tut mir unendlich leid, dass sie das miterlebt hat. Und es stimmt: Es spielt sich ein Film ab, man sieht die Rückblende. Es war noch nicht aufregend bis dahin. Na ja, aufregend war es schon. Inwiefern? Ich habe in meiner Jugend nichts ausgelassen. Und ich rechtfertige mich nicht dafür, ich möchte davon nichts missen. Und es waren viele schlimme Sachen auch dabei, das gebe ich auch zu. Ich entschuldige mich jetzt noch einmal, aber ich hätte es nicht anders gemacht. Das hat mich zu dem gemacht, was ich bin. Es ist was Gutes rausgekommen am Ende, glaube ich. (Svabek wirft einen Blick auf sein Handy). Bitte entschuldigen Sie, ich muss kurz meinen Parkschein überprüfen. Natürlich. Ich habe jahrelang keinen Umgang damit gefunden, und ich habe von Anbeginn Handys. Mein erstes war ein D-Netz-Handy, das war ein Prügel . . . Mittlerweile habe ich meine Anrufzeiten, da kann man mich erreichen, der Rest ist Zeit für meine Söhne. Wie kann man sich das vorstellen? Wenn man mich nicht erreicht, gibt es eine Notfallnummer. Und die Tanzschule hat eine Amtsnummer. Erreichbar sind wir immer, das ist wichtig, aber viel wichtiger ist die kontrollierte Auszeit. Meine Empfehlung: Legen Sie das Ding weg, und schauen Sie nicht dauernd drauf. Das Schönste ist immer, wenn ich zu meinem Schwiegervater fahre, nach Kärnten in die Berge: Kein Empfang, zwei Wochen weg vom Fenster. Meine Familie verstreut sich ja über ganz Österreich, sie stammt aus dem Burgenland, aus Kroatien, Deutschland, Tschechien, Oberösterreich – Salzburger haben wir auch dabei. Aber Sie stammen aus Wien? Aufgewachsen in Wien, im zweiten Bezirk. Das prägt halt, wenn man im Prater aufwächst, mit allen Vor- und Nachteilen, da kennt man das Leben schon früh. Meine Großmutter und meine Mutter waren in Summe über 60 Jahre bei der Polizei. Mein Vater war Kulturreferent der Wien Holding, der Stadtwerke. Auch wenn meine Großeltern und Eltern aus einfachen Verhältnissen gekommen sind – meine Großmutter war eine von diesen Trümmerfrauen, mein Großvater war Kriegsgefangener und kleiner Schneider, der andere war Rittmeister –, habe ich schon sehr früh zu Hause das gelernt, was ich heute vermisse. Deshalb habe ich auch dieses Buch geschrieben. Was denn beispielsweise? Wie bleibe ich am Tisch? Man bleibt sitzen und zappelt nicht. Heutzutage ist es vollkommen egal, wenn die Kinder während des Essens herumrennen, und dann wundert man sich, wenn eine Kultur des Essens im Gehen gepflegt wird. Das ist nicht gesund und stresst. Oder den Umgang miteinander. Die Tanzschulen waren früher eine Schule, wo man den Umgang miteinander erlernt hat. Es ist erst in zweiter Linie ums Tanzen gegangen, das war eigentlich wurscht. Aber: Wie komm ich überhaupt ins Gespräch mit einem Mädel? Ich war damals Hip-Hopper und Basketballspieler, das war für mich eine neue Erkenntnis. Da geht’s ums Gesellschaftliche. MeToo-Geschichten wie „Hilfe, er hat mir etwas zum Trinken spendiert und wollte dann mit mir reden . . .“? Wenn ich das nicht will, muss ich halt von vornherein sagen, nein danke, ich möchte das nicht. Das kommt vor? Steht alles unter MeToo, da wird nicht differenziert. Auch: Der Masseur hat mich unsittlich berührt. Wenn ich da nicht aufspringe und ihm eine auflege, sondern das über mich ergehen lasse – nicht bös sein. Sich Dinge nicht gefallen zu lassen, muss man auch lernen. Wer behütet oder wenig selbstbewusst aufwächst, kann das oft gar nicht. Man lernt Höflichkeit und andere nicht zu brüskieren. Und das ist schlecht. Deswegen hat es mir geholfen, dass ich im Prater aufgewachsen bin. Aber genau darum geht’s: Ich gebe gern. Ich gebe gern Spaß, Höflichkeit, ich bin gern nett. Aber die meisten verwechseln das mit Blödheit. Das wirklich Schlimme ist, dass die Leute nicht mehr wissen, wie sie miteinander umgehen können oder sollen oder müssen. Wenn mich jemand berührt – und das kommt ja in meinem Job genauso vor, vor allem als junger Tanzlehrer, wenn Damen kommen und sich Einzelstunden buchen – da muss ich auch sagen: Danke, bis hierher, und weiter geht es nicht. Wir