Von Handys und Handküssen
In seinem neuen Buch widmet sich Roman Svabek der Etikette im 21. Jahrhundert.
haben eine schöne Zeit, ich gehe auch gern mit auf den Ball, aber das war’s dann. Ich muss nach klaren Regeln spielen. Um die geht es auch in Ihrem Buch. Es gibt ja viele Bücher über das Benehmen, aber ich will aufzeigen, gemeinsam mit Benedikt Kobel, von dem die Karikaturen stammen, dass Benehmen weder etwas Steifes noch etwas Altvatrisches ist noch etwas mit einem Stecken im Hintern zu tun hat. Ich kann die Sau rauslassen, und ich sage das bewusst so, aber wenn ich keine Grenzen habe und nicht weiß, wie ich mich verhalte, wird es übel. Und da ist es wurscht, ob es sich um eine hohe oder niedrige Gesellschaftsschicht handelt. Die schlimmsten, wildesten Partys passieren in den hohen. Und auch einem Produzenten muss ich Einhalt gebieten. Wer macht einen Vertrag auf einem Zimmer? Da muss ich schon selbst auch denken. Davor haben die meisten Angst. Da müsste ich sagen: Drauf gepfiffen, es gibt andere Möglichkeiten. Ich darf mir doch nicht etwas aufzwingen lassen, was ich nicht will. Das gilt auch für den Beruf. Warum das? Weil sonst frustrierte Verkäufer rauskommen, die keine Ahnung haben von dem, was sie verkaufen, weil es sie nicht interessiert. Ich muss schauen, was ist meine Berufung? Sonst frustriere ich mich und alle anderen. Darum geht’s ja: um den Umgang miteinander. Es ist dieses Miteinander, das fehlt. Den anderen sein zu lassen, wie er ist, und trotzdem miteinander zu reden. Ich kann ja trotzdem höflich sein. Auch wenn eine Dame ein Kopftuch trägt. Ich habe viel gelernt, als ich für die Opernbälle in den arabischen Ländern unterrichtet habe. In Ägypten, in Dubai. Es geht darum, sich offen zu begegnen und zu sagen: Zeig einmal, was du machst, dann entscheide ich, ob mir das gefällt. Nur wer sich nicht schlaumacht, wird von Dämonen verfolgt. Der heurige ist Ihr zehnter Opernball als Zeremonienmeister. Und wo wäre ich, wenn man den Jungen, Kreativen keine Chance gäbe? Ich bin das Paradebeispiel. Ich habe die Aufgabe, etwas Klassisches, von dem alle sagen, es sei wie zu Kaisers Zeiten, modern zu verpacken. Da stecken unzählige Stunden Kopfzerbrechen drinnen. Es hat manchmal an Majestätsbeleidigung gegrenzt, was wir an Choreografien gemacht haben. Wirklich? Da waren Choreografien dabei, da knien die Herren vor den Damen. Warum Er ist der Nachfolger – nein, nicht von Thomas Schäfer-Elmayer, sondern genau genommen von Klaus Mühlsiegl. Der Tanzlehrer war ab den Achtzigerjahren Gesamtleiter und Choreograf der Opernballeröffnung, Elmayer stellte teilweise die Räume und sorgte für das Einstudieren von Wiener Walzer und Choreografie. 2008 ging Mühlsiegl siebzigjährig in Pension – und schlug seinen Schüler Roman Svabek als Nachfolger vor. Als gleichzeitig der damalige Staatsoperndirektor, Ioan Holender, 2009 – wieder – Tanzschulen aus den Bundesländern einbinden wollte, endete damit auch die Ära Elmayer (nicht ganz harmonisch).
Seither hat Roman Svabek als Zeremonienmeister die Gesamtleitung der Eröffnung inne. Von 2009 bis 2015 lieferten dann tatsächlich Schulen aus den Bundesländern die Choreografien, seit dem Vorjahr ist Svabek mit seiner Frau, Elisabeth, auch dafür zuständig. Seit Willy Fränzl 1979 abtrat, sagt Svabek, „bin ich der Erste, der es wieder allein macht“. Im Hintergrund hat er dafür in einjähriger Arbeit die Logistik Zeremonienmeister Roman Svabek ist am Donnerstag zum zehnten Mal für den Opernball verantwortlich.
Benedikt Kobel, Roman E. Svabek
„Küss die Hand! Heiteres aus der Welt der Etikette“Amalthea 128 Seiten 20 Euro denn nicht? Oder der türkischstämmige Tanzlehrer, das war ein Skandal sondergleichen. Genau das ist doch Integration. Ein türkischstämmiger Tanzlehrer, der vielleicht etwas anderes glaubt, aber österreichische Kultur vermittelt. Sicher ein Signal in beide Richtungen. Das ist genau der Schnittpunkt: das gute Benehmen. Der kleinste gemeinsame Nenner. Grüßen. Sich über die Straße lassen. Sich manchmal zurückzunehmen. Von beiden Seiten. Apropos grüßen, das ist mitunter ein Streitthema mit Muslimen. Was raten Sie? neu strukturiert, um die Proben für die 144 Debütantenpaare möglichst effizient zu gestalten.
Gleichzeitig versteht sich Svabek als Tänzer, Sänger – und als Gesellschaftslehrer. Gemeinsam mit dem Staatsopernsänger und witzigen Zeichner Benedikt Kobel hat er im Herbst das Buch „Küss die Hand“herausgebracht. Der Untertitel, „Heiteres aus der Welt der Etikette“, mag dabei etwas irreführend sein – Anekdotensammlung bekommt man jedenfalls keine serviert. Freilich auch keinen strikten Knigge, vielmehr philosophiert sich Svabek durch den Alltag im 21. Jahrhundert und zeigt dabei viel Humor und Ironie. Lauter Einzelwesen. Das „Wie tu ich jetzt“und „Was mach ich mit dir als Gegenüber“sei eine extremst lange Geschichte von Missverständnissen, so Svabek. In einer Welt, in der der öffentliche Raum zur „individuellen Nutzung abgeschotteter Einzelwesen“verwendet werde (hier verweist er auf das Kapitel „Handy“), sei das Miteinander „unser wichtigstes Gut“. Kann man sich zu- Wenn ich mir bei gläubigen Muslimen unsicher bin, gebe ich nicht die Hand. Für mich ist das halt klar, weil ich im arabischen Raum gearbeitet habe. Das war dann aber dort und nicht hier. Eine orthodoxe Jüdin darf auch nicht berührt werden, außer von ihrer Familie. Sich darüber aufzuregen, ob mir ein Mensch die Hand geben möchte oder nicht, das ist doch idiotisch. Reden tun sie ja trotzdem mit dir. Das ist der Anknüpfungspunkt. Ich muss, und das ist das Grundlegende, einen Menschen akzeptieren, wie er ist. Und wenn ich das nicht kann, bin ich kein aufgeklärter, aufgeschlossener Mensch in einer modernen Gesellschaft. Und die Lehrerin in Favoriten, der der Vater beim Sprechtag nicht die Hand gibt? Meine Tante war eine der ersten Direktorinnen an Volksschulen, die eine eingetragene Partnerschaft mit einer Frau hatte. Ich kenn die Probleme. Nur: Schule soll bilden. Ich gebe ja auch Gesellschaftsunterricht, auch an Schulen im zehnten Bezirk. Das ist unser Job, die Gesellschaft zu vermitteln. Das ist nicht die Aufgabe einer Mathematikprofessorin, die soll gefälligst Mathematik unterrichten dürfen. Aber unsere Gesellschaft wächst zusammen, und dafür brauchen wir banale Umgangsregeln. Jeder hat Scheuklappen, aber man kann sie auch bewusst wegnehmen. Haben Sie ein Beispiel, wo Ihnen das selbst gelungen ist? Mein Aha-Erlebnis hatte ich, als ein Mädchen mit Trisomie 21 zu mir gekommen ist und tanzen lernen wollte. Ich habe ihr tanzen beigebracht – aber sie mir leben. Ich habe sie dann auch zum Opernball gebracht, als erstes Mädchen mit Trisomie 21. Das war ein bissl ein Kampf gegen die Obrigkeit. Und was soll ich sagen? Es war einfach nur gut. Aber ich musste dafür neue Wege finden. Dort hab ich wirklich gelernt, dass ich mich reflektieren muss. Wie kann ich uns beide weiterbringen? Sie ist dann auch in den Kurs gegangen, jeder mochte sie. So etwas müssen wir jetzt im Großen schaffen. Und da gibt’s einfache Lösungen. Wie zum Beispiel? Einzuladen. Den Geburtstag der zwei Flüchtlingskinder in unserem Kindergarten haben wir groß gefeiert. Alle waren da, weil alle die Familie kennenlernen wollten. Die haben uns arabisch bewirtet. Und gut, die Damen haben den Herren nicht die Hand gegeben. Aber zu diesem Zeitpunkt waren sie auch erst drei Monate da. rücknehmen, trotzdem der Star sein? Wie viel Rücksicht ist aus meiner Sicht zu viel? Das seien spannende Fragen.
Der titelgebende Handkuss kommt natürlich auch vor – doppelt. Einmal allgemein, einmal als Wiener Spezifikum. In der Bundeshauptstadt funktioniert er ja auch verbal. Ein galantes „Küss die Hand, gnä’ Frau“habe schon Herzen erobert. Der Blick müsse dabei freilich „genauso schelmisch von links unten nach rechts oben gewandt sein wie bei physischer Ausführung“, daran erkenne man den echten Wiener, alles andere sei nur Plagiat.
Auch dem leiblichen Wohl widmet man sich. Kein Anstoßen des Weinglases an den Bierkrug? Kann man gelassen sehen. „Stoßen Sie auch freudvoll mit Biertrinkern an“, schreibt Svabek. „Stehen Sie da einfach drüber. Der Verfasser dieser Zeilen dankt es Ihnen. Und wer schon einmal Wein zum Gulasch probiert hat, weiß, dass es Dinge auf diesem Planeten gibt, von denen man Abstand nehmen sollte. Die Gesellschaft ist etwas gereift. Wie die Trauben. Reifen Sie mit.“