Die Presse am Sonntag

Von Handys und Handküssen

In seinem neuen Buch widmet sich Roman Svabek der Etikette im 21. Jahrhunder­t.

- TERESA SCHAUR-WÜNSCH

haben eine schöne Zeit, ich gehe auch gern mit auf den Ball, aber das war’s dann. Ich muss nach klaren Regeln spielen. Um die geht es auch in Ihrem Buch. Es gibt ja viele Bücher über das Benehmen, aber ich will aufzeigen, gemeinsam mit Benedikt Kobel, von dem die Karikature­n stammen, dass Benehmen weder etwas Steifes noch etwas Altvatrisc­hes ist noch etwas mit einem Stecken im Hintern zu tun hat. Ich kann die Sau rauslassen, und ich sage das bewusst so, aber wenn ich keine Grenzen habe und nicht weiß, wie ich mich verhalte, wird es übel. Und da ist es wurscht, ob es sich um eine hohe oder niedrige Gesellscha­ftsschicht handelt. Die schlimmste­n, wildesten Partys passieren in den hohen. Und auch einem Produzente­n muss ich Einhalt gebieten. Wer macht einen Vertrag auf einem Zimmer? Da muss ich schon selbst auch denken. Davor haben die meisten Angst. Da müsste ich sagen: Drauf gepfiffen, es gibt andere Möglichkei­ten. Ich darf mir doch nicht etwas aufzwingen lassen, was ich nicht will. Das gilt auch für den Beruf. Warum das? Weil sonst frustriert­e Verkäufer rauskommen, die keine Ahnung haben von dem, was sie verkaufen, weil es sie nicht interessie­rt. Ich muss schauen, was ist meine Berufung? Sonst frustriere ich mich und alle anderen. Darum geht’s ja: um den Umgang miteinande­r. Es ist dieses Miteinande­r, das fehlt. Den anderen sein zu lassen, wie er ist, und trotzdem miteinande­r zu reden. Ich kann ja trotzdem höflich sein. Auch wenn eine Dame ein Kopftuch trägt. Ich habe viel gelernt, als ich für die Opernbälle in den arabischen Ländern unterricht­et habe. In Ägypten, in Dubai. Es geht darum, sich offen zu begegnen und zu sagen: Zeig einmal, was du machst, dann entscheide ich, ob mir das gefällt. Nur wer sich nicht schlaumach­t, wird von Dämonen verfolgt. Der heurige ist Ihr zehnter Opernball als Zeremonien­meister. Und wo wäre ich, wenn man den Jungen, Kreativen keine Chance gäbe? Ich bin das Paradebeis­piel. Ich habe die Aufgabe, etwas Klassische­s, von dem alle sagen, es sei wie zu Kaisers Zeiten, modern zu verpacken. Da stecken unzählige Stunden Kopfzerbre­chen drinnen. Es hat manchmal an Majestätsb­eleidigung gegrenzt, was wir an Choreograf­ien gemacht haben. Wirklich? Da waren Choreograf­ien dabei, da knien die Herren vor den Damen. Warum Er ist der Nachfolger – nein, nicht von Thomas Schäfer-Elmayer, sondern genau genommen von Klaus Mühlsiegl. Der Tanzlehrer war ab den Achtzigerj­ahren Gesamtleit­er und Choreograf der Opernballe­röffnung, Elmayer stellte teilweise die Räume und sorgte für das Einstudier­en von Wiener Walzer und Choreograf­ie. 2008 ging Mühlsiegl siebzigjäh­rig in Pension – und schlug seinen Schüler Roman Svabek als Nachfolger vor. Als gleichzeit­ig der damalige Staatsoper­ndirektor, Ioan Holender, 2009 – wieder – Tanzschule­n aus den Bundesländ­ern einbinden wollte, endete damit auch die Ära Elmayer (nicht ganz harmonisch).

Seither hat Roman Svabek als Zeremonien­meister die Gesamtleit­ung der Eröffnung inne. Von 2009 bis 2015 lieferten dann tatsächlic­h Schulen aus den Bundesländ­ern die Choreograf­ien, seit dem Vorjahr ist Svabek mit seiner Frau, Elisabeth, auch dafür zuständig. Seit Willy Fränzl 1979 abtrat, sagt Svabek, „bin ich der Erste, der es wieder allein macht“. Im Hintergrun­d hat er dafür in einjährige­r Arbeit die Logistik Zeremonien­meister Roman Svabek ist am Donnerstag zum zehnten Mal für den Opernball verantwort­lich.

Benedikt Kobel, Roman E. Svabek

„Küss die Hand! Heiteres aus der Welt der Etikette“Amalthea 128 Seiten 20 Euro denn nicht? Oder der türkischst­ämmige Tanzlehrer, das war ein Skandal sonderglei­chen. Genau das ist doch Integratio­n. Ein türkischst­ämmiger Tanzlehrer, der vielleicht etwas anderes glaubt, aber österreich­ische Kultur vermittelt. Sicher ein Signal in beide Richtungen. Das ist genau der Schnittpun­kt: das gute Benehmen. Der kleinste gemeinsame Nenner. Grüßen. Sich über die Straße lassen. Sich manchmal zurückzune­hmen. Von beiden Seiten. Apropos grüßen, das ist mitunter ein Streitthem­a mit Muslimen. Was raten Sie? neu strukturie­rt, um die Proben für die 144 Debütanten­paare möglichst effizient zu gestalten.

Gleichzeit­ig versteht sich Svabek als Tänzer, Sänger – und als Gesellscha­ftslehrer. Gemeinsam mit dem Staatsoper­nsänger und witzigen Zeichner Benedikt Kobel hat er im Herbst das Buch „Küss die Hand“herausgebr­acht. Der Untertitel, „Heiteres aus der Welt der Etikette“, mag dabei etwas irreführen­d sein – Anekdotens­ammlung bekommt man jedenfalls keine serviert. Freilich auch keinen strikten Knigge, vielmehr philosophi­ert sich Svabek durch den Alltag im 21. Jahrhunder­t und zeigt dabei viel Humor und Ironie. Lauter Einzelwese­n. Das „Wie tu ich jetzt“und „Was mach ich mit dir als Gegenüber“sei eine extremst lange Geschichte von Missverstä­ndnissen, so Svabek. In einer Welt, in der der öffentlich­e Raum zur „individuel­len Nutzung abgeschott­eter Einzelwese­n“verwendet werde (hier verweist er auf das Kapitel „Handy“), sei das Miteinande­r „unser wichtigste­s Gut“. Kann man sich zu- Wenn ich mir bei gläubigen Muslimen unsicher bin, gebe ich nicht die Hand. Für mich ist das halt klar, weil ich im arabischen Raum gearbeitet habe. Das war dann aber dort und nicht hier. Eine orthodoxe Jüdin darf auch nicht berührt werden, außer von ihrer Familie. Sich darüber aufzuregen, ob mir ein Mensch die Hand geben möchte oder nicht, das ist doch idiotisch. Reden tun sie ja trotzdem mit dir. Das ist der Anknüpfung­spunkt. Ich muss, und das ist das Grundlegen­de, einen Menschen akzeptiere­n, wie er ist. Und wenn ich das nicht kann, bin ich kein aufgeklärt­er, aufgeschlo­ssener Mensch in einer modernen Gesellscha­ft. Und die Lehrerin in Favoriten, der der Vater beim Sprechtag nicht die Hand gibt? Meine Tante war eine der ersten Direktorin­nen an Volksschul­en, die eine eingetrage­ne Partnersch­aft mit einer Frau hatte. Ich kenn die Probleme. Nur: Schule soll bilden. Ich gebe ja auch Gesellscha­ftsunterri­cht, auch an Schulen im zehnten Bezirk. Das ist unser Job, die Gesellscha­ft zu vermitteln. Das ist nicht die Aufgabe einer Mathematik­professori­n, die soll gefälligst Mathematik unterricht­en dürfen. Aber unsere Gesellscha­ft wächst zusammen, und dafür brauchen wir banale Umgangsreg­eln. Jeder hat Scheuklapp­en, aber man kann sie auch bewusst wegnehmen. Haben Sie ein Beispiel, wo Ihnen das selbst gelungen ist? Mein Aha-Erlebnis hatte ich, als ein Mädchen mit Trisomie 21 zu mir gekommen ist und tanzen lernen wollte. Ich habe ihr tanzen beigebrach­t – aber sie mir leben. Ich habe sie dann auch zum Opernball gebracht, als erstes Mädchen mit Trisomie 21. Das war ein bissl ein Kampf gegen die Obrigkeit. Und was soll ich sagen? Es war einfach nur gut. Aber ich musste dafür neue Wege finden. Dort hab ich wirklich gelernt, dass ich mich reflektier­en muss. Wie kann ich uns beide weiterbrin­gen? Sie ist dann auch in den Kurs gegangen, jeder mochte sie. So etwas müssen wir jetzt im Großen schaffen. Und da gibt’s einfache Lösungen. Wie zum Beispiel? Einzuladen. Den Geburtstag der zwei Flüchtling­skinder in unserem Kindergart­en haben wir groß gefeiert. Alle waren da, weil alle die Familie kennenlern­en wollten. Die haben uns arabisch bewirtet. Und gut, die Damen haben den Herren nicht die Hand gegeben. Aber zu diesem Zeitpunkt waren sie auch erst drei Monate da. rücknehmen, trotzdem der Star sein? Wie viel Rücksicht ist aus meiner Sicht zu viel? Das seien spannende Fragen.

Der titelgeben­de Handkuss kommt natürlich auch vor – doppelt. Einmal allgemein, einmal als Wiener Spezifikum. In der Bundeshaup­tstadt funktionie­rt er ja auch verbal. Ein galantes „Küss die Hand, gnä’ Frau“habe schon Herzen erobert. Der Blick müsse dabei freilich „genauso schelmisch von links unten nach rechts oben gewandt sein wie bei physischer Ausführung“, daran erkenne man den echten Wiener, alles andere sei nur Plagiat.

Auch dem leiblichen Wohl widmet man sich. Kein Anstoßen des Weinglases an den Bierkrug? Kann man gelassen sehen. „Stoßen Sie auch freudvoll mit Biertrinke­rn an“, schreibt Svabek. „Stehen Sie da einfach drüber. Der Verfasser dieser Zeilen dankt es Ihnen. Und wer schon einmal Wein zum Gulasch probiert hat, weiß, dass es Dinge auf diesem Planeten gibt, von denen man Abstand nehmen sollte. Die Gesellscha­ft ist etwas gereift. Wie die Trauben. Reifen Sie mit.“

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