»So ein Bullshit – niemals«
Der amerikanische Regisseur und Autor Paul Thomas Anderson spricht über seinen neuen Film, »Der seidene Faden«, Los Angeles als den perfekten Drehort und die Ankündigung seines Hauptdarstellers, Daniel Day-Lewis, nach diesem Streifen seine Karriere zu bee
In Paul Thomas Andersons neuem Film, „Der seidene Faden“(seit Freitag im Kino), spielt Daniel Day-Lewis einen egozentrischen Künstler und Vicky Krieps seine aufmüpfige Muse. Es ist eine Folie a` deux in Samt und Seide verpackt, ein exquisites Meisterwerk über Liebe, Kunst und Macht. Day-Lewis hat betont, dass dies sein letzter Film sei – sein Schwanengesang. Ein mehr als würdiger Abschied – falls er seine Ankündigung wahr macht. Anderson glaubt jedenfalls daran. „Die Presse am Sonntag“traf ihn in London zum Interview. Sie haben die Rolle des Schneiders und Modedesigners Reynolds Woodcock Daniel Day-Lewis auf den Leib geschrieben. Bekanntermaßen bringt er sich in seine Rollen sehr stark ein. Wie hat man sich die Entwicklung dieser Figur vorzustellen, wie eng war die Zusammenarbeit? Paul Thomas Anderson: So eng, wie Sie sich das vorstellen. Und das über einen Zeitraum von zwei bis drei Jahren. Wir haben uns getroffen, geredet, Notizen gemacht. Dann wieder eine Woche nachgedacht, wieder getroffen und geredet. So ging das weiter, bis die Dreharbeiten begannen. Daniel Day-Lewis sagt ja, dass „Der seidene Faden“sein letzter Film gewesen sei. Glauben Sie ihm? Oder gilt das nur, wenn auch Sie keine Filme mehr drehen? Um ehrlich zu sein, glaube ich ihm. Jeden Tag ein bisschen mehr. Ich selbst würde im Übrigen nie mein Karriereende ankündigen. Das ist doch eine Unart, finden Sie nicht? Wie etwa Quentin Tarantino? Er will ja nach zehn Filmen aufhören. Wie viele hätte er dann noch? Zwei. So ein Bullshit – niemals. Warum machen Leute solche Ankündigungen? Was soll das? Imagepflege vielleicht? Das wird es wohl sein. Sie haben „Der seidene Faden“unter anderem in London gedreht. Die meisten Regisseure schwärmen von London als Drehort, zuletzt Ridley Scott. Wie erging es Ihnen? Ganz gut. Am Ende ist ein Set ein Set. Es gibt Kameras, Licht und Schauspieler. Und alle geben ihr Bestes. Ich habe hauptsächlich gute Erfahrungen gemacht. Mit Los Angeles kann man die Stadt aber nicht vergleichen. London
1970
wurde Paul Thomas Anderson in Studio City, Kalifornien, geboren.
1997
schaffte er mit „Boogie Nights“den internationalen Durchbruch, Mark Wahlberg wurde durch seine Hauptrolle zum Star. In den Jahren danach folgten Erfolgsfilme wie „Magnolia“, „PunchDrunk Love“und „There Will Be Blood“mit Daniel Day-Lewis, der für seine Rolle den Oscar als Bester Hauptdarsteller bekam. hat andere Sorgen als einen Film, der hier gedreht wird. Bei Los Angeles hingegen hat man den Eindruck, dass die Stadt nicht zum Leben, sondern als Kulisse für Filme errichtet wurde. Dort ist alles möglich. Jeden Tag. Sie schreiben und inszenieren Ihre Filme nicht nur selbst, Sie übernehmen oft auch die Kamera. Welche dieser Tätigkeiten ist für Sie die reizvollste? Ich genieße das Schreiben, weil es nichts kostet, ich allein sein kann und kein Druck auf mir lastet. Das Drehen wiederum ist aufregend, weil es den sozialsten Teil der Arbeit darstellt. Allerdings sind Drehs teuer, und man steht enorm unter Druck. Und man kann nicht bei seiner Familie sein. Das ändert sich, wenn man im Schneideraum sitzt. Man ist wieder allein und arbeitet mit hervorragendem Material, auch der Druck fällt ab. Nichts für ungut, aber am wenigsten Spaß macht mir die Promotion-Arbeit. Obwohl ich weiß, dass das der einzige Weg ist, damit die Menschen einen Film sehen. Andernfalls würde der eigene Film verpuffen, dafür gibt es einfach zu viele Filme. Allerdings. Die Nominierungen sind großartig, großartig, großartig. Ohne sie wäre der Film in den USA vielleicht noch zwei Wochen in den Kinos, jetzt wird er noch mindestens zwei Monate laufen. Nichts daran ist falsch. Dafür bin ich sehr dankbar. Um den Oscar auch zu bekommen, muss man viel Lobbying betreiben und an vielen Abendessen teilnehmen. Werden Sie das machen – dem Film zuliebe? Alles kann ich nicht mitmachen, sonst hätte ich kein Leben mehr. Aber die notwendigsten Termine werde ich schon mitnehmen. Das gehört dazu. Wie sehen Sie eigentlich angesichts der Konkurrenz durch Netflix und Amazon die Zukunft des Kinos? Wird es überleben? Natürlich. Oder können Sie sich vorstellen, dass Kinos irgendwann verschwinden? Nur ein Beispiel: Ich habe gehört, dass jetzt gerade irgendwo in London „Boogie Nights“im Kino läuft. Der Film ist 20 Jahre alt.