Zum 100. Todestag: Ein Blümchen
Es ist interessant: Wohin man sich wendet in Wien, zu so vielen Adressen aus Gustav Klimts Biografie – man findet ihn nicht mehr. Ein melancholischer Friedhofsgang anlässlich des 100. Todestages des Wiener Meisters am kommenden Dienstag.
Eine Hundezone. Die wäre nicht so Gustav Klimts Fall gewesen, er war eindeutig Team Katze. Die Turngeräte hätten ihm gefallen, er machte täglich Leibesübungen, ja, es gibt sogar ein Gerät zum Rudern im Gustav-Klimt-Park in Penzing, ein Sport, den er in der Sommerfrische am Attersee so liebte. Gegenüber der Spielplatz wäre auch goutiert worden. Klimt mochte Kinder, immerhin soll der heiratsunwillige Polyamorist 16 gezeugt haben, einige hießen Gustav, immerhin für ein paar ist finanzielle Unterstützung überliefert (was damals nicht selbstverständlich war). Zumindest um seine halbverwaiste Nichte Helene, die Tochter seines verstorbenen Lieblingsbruders, hat er sich auffällig gekümmert. Es gibt entzückende Fotos vom Mädchen, das am Bauch dieses seltsamen Onkels in seiner blauen Malerkutte liegt, am Steg am Attersee.
Lauschig mag man den Klimt-Park trotzdem nicht nennen. Er liegt gegenüber von der Stelle, an der Klimts Geburtshaus stand. Damals war es hier in Baumgarten dörflich, das Haus ebenerdig. Heute steht auf der Linzer Straße 247 ein schnörkelloser Gemeindebau. Eine Gedenktafel erinnert daran, dass hier am 14. Juli 1862 der Künstler geboren wurde, der Wien am stärksten präg- te und immer noch prägt. Klimt ist der Inbegriff des Labels, unter dem der Wien-Tourismus so geschmeidig dahingleitet: Wien um 1900. Nicht umsonst löste das Belvedere voriges Jahr erstmals das Kunsthistorische Museum bei den Besucherzahlen der Bundesmuseen an erster Stelle ab. Wer liebt Klimt? Das nickt man kommentarlos ab. Lieben aber tut man Klimt nicht, er erinnert zu viele an zuviel, was man vergessen möchte: Die Bürgerlichen daran, dass Klimt vor allem für jüdische Bürgerliche arbeitete und daran, was u. a. sie diesen kurz darauf angetan haben. Die Arbeiter daran, dass Klimts Kunst samt Wiener Werkstätte etwas Elitäres war, obwohl nicht so gedacht. Die heutigen Künstler daran, dass Klimt für das kitschige WienKlischee verantwortlich ist, fürs Schöne und Goldene, das sie abschütteln wollen. Diese Ablehnung bis Skepsis zeigte sich, als die „Goldene Adele“an die Erben nach Bloch-Bauer 2006 restituiert wurde und weder vorher noch nachher ernsthaft versucht wurde, diese Ikone einer Epoche in Wien zu behalten.
Klimt scherte sich wenig um Kontroversen, jedenfalls hatte der Sohn eines armen Goldgraveurs das im Lauf seiner Karriere gelernt. Die Skandale waren üppig gesät: Das reichte von seiner allzu freizügigen Kunst bis zu seinen Frauen. (Die Affäre mit der 19-jährigen Alma Schindler, später Mahler, zerstörte fast die Freundschaft mit seinem wichtigsten Unterstützter, Almas Stiefvater Carl Moll.) Der Streit um die Fakultätsbilder, die bei Klimt für die Wiener Universität beauftragt wurden und gegen die die Professoren Sturm liefen, war der größte Kunstskandal, den Wien je gesehen hatte (bis zu den Wiener Aktionisten). Klimt zog seine Bilder schließlich zurück, er weigerte sich, sie zu ändern und sperrte die Ateliertüre einfach nicht auf, als der Lieferwagen des Ministeriums sie gegen seinen Willen holen wollte.
Wo war dieses Atelier? In der Josefstädter Straße. Auch dieses Haus steht nicht mehr, dafür wohnt an dieser Adresse ein ehemaliger Bundespräsident. Es ist interessant: Man kann von Adresse zu Adresse aus Klimts Biografie spazieren – und wird ihn praktisch nirgends mehr finden. Keine der Wohnungen (sieben Mal zog er um), keines der Ateliers (mit Ausnahme der „Klimt Villa“, siehe unten) ist im damaligen Zustand erhalten bzw. steht überhaupt noch. Am längsten (1897–1918) wohnten die Klimts – das hieß immer Gustav mit Mutter und seinen Schwestern Klara und Hermine, um die er sich bis zuletzt kümmerte – in der Westbahnstraße 39. Hier begannen seine von Routine geprägten Tage. Er stand früh auf, frühstückte in der Meierei in Schönbrunn, spazierte ins Atelier, versandte per Rohrpost Karten an Freundin, Modemacherin Emilie Flöge. Am Abend ging er ins Theater. Donnerstagabend war er Abendessen bei den Lederers, seinen wichtigsten Sammlern. Die größte Klimtsammlung. In der Bartensteingasse 8 befand sich diese größte private Klimt-Sammlung. Was muss das für ein Eindruck gewesen sein – ein Apfelbaum mit goldenen Äpfeln, Schubert am Klavier, die Freundinnen, das Porträt der Hausherrin etc. Ein eigener Raum war einem der zwei Fakultätsbilder gewidmet, die August Lederer gekauft hatte, die Philosophie. Alles weg. Die Nazis zerschlugen die Sammlung, vertrieben und ermordeten die Menschen dahinter, am Ende scheinen sie auch die Kunst vernichtet zu haben: Abziehende deutsche Soldaten, so sagt man, zündeten beim Rückzug Schloss Immendorff an, wo viele der enteigneten Lederer-Bilder gelagert waren. Auch dieses Schloss in Niederösterreich – man findet es nicht mehr.
Von der Bartensteingasse hinter dem Parlament geht man weiter, verstört. Vorbei am KHM, wo gerade die Klimt-Tribüne wieder aufgebaut wird zu Klimts 100. Todestag, damit man ganz nah heran kann an dieses bereits charakteristisch werdende Frühwerk an der Decke des Stiegenhauses. Drei junge Studierende der heutigen Angewandten waren Klimt, sein Bruder Ernst und Franz Matsch, als sie 1882 die „Künstler Compagnie“gründeten, um die Ausstattungs-Aufträge annehmen zu können, die in der historistischen Bauwut anfielen und die Platzhirsch
Unterm Label Klimt läuft der Wien-Tourismus geschmeidig. Wien liebt ihn trotzdem nicht.
Makart übrig ließ. Sie waren erfolgreich mit den Dekorationen, eine Phase, die mit dem Skandal der Fakultätsbilder – pornografisch, negativ, darwinistisch – 1900 ihr spätes, endgültiges Ende fand.
Da hatte Klimt sich schon neu erfunden, da lautete sein Kampfspruch schon: „Der Zeit ihre Kunst, der Kunst ihre Freiheit.“Schon taucht sie vor uns auf, hinter dem KHM, die goldene Kuppel der Secession (oder das, was gerade davon zu sehen ist, sie wird restauriert.) 1897 war Klimt mit Gleichgesinnten aus der konservativen Künstler-Genossenschaft ausgetreten. Sie gründeten die Secession, um der Avantgarde Platz zu schaffen, der nationalen und internationalen. Die Ausstellungen waren bahnbrechend – Vermittlung und Ausstellungsarchitektur waren wegweisend, jedes Wochenende gab es gratis Führungen für Arbeiter. Im Keller ist heute der
Leopold-Museum:
ein Klimt-Raum in der Ausstellung Wien um 1900, bis 10. Juni. Klimt-Sonderausstellung von 22. Juni bis 4. November.
Belvedere:
der „Kuss“, neu präsentiert in der Schausammlung des Oberen Belvederes, ab 1. März. Sonderausstellung „Klimt ist nicht das Ende“, Kunst der Zwischenkriegszeit, Unteres Belvedere, 23. 3. bis 26. 8.
Klimt-Villa:
„Klimt Lost“, Gedenken im ehemaligen Atelier, 5. Mai bis 31. Dezember.
Lentos-Museum, Linz:
„1918 – Klimt/Moser/ Schiele“, 16. Februar bis 21. Mai. Beethovenfries als Belvedere-Dauerleihgabe zu sehen, die Frage seiner Restitution an Lederer-Erben füllt Bücher (gerade eben: Sophie Lillie, „Feindliche Gewalten“). Die Durchdringung und Erhöhung des Lebens durch Ästhetik war das Ziel der Secessionisten, das auch die Wiener Werkstätte verfolgte, die Klimt mit Architekt Josef Hoffmann und Maler/Designer Kolo Moser gründete. Hehre Vorsätze, am Ende blieb es eine Freude der Reichen. Schluss mit „Kuss“. Vorbei geht man am Konzerthaus, auf dessen Gründen 1908/09 Hoffmann mit der mittlerweile aus der Secession wieder ausgetretenen Klimt-Gruppe die Wiener Kunstschau ausrichtete – mit 54 Räumen, Gärten, Kaffeehaus, Theater. Hier kaufte der Staat Klimts „Kuss“. Noch ist er auf schwarzem Grund im Oberen Belvedere zu sehen, bald wird er wandern, ab 1. März ist er im Rahmen der Neuaufstellung im anderen Flügel des Schlosses zu sehen, wird wieder tiefer liegen, auf Augenhöhe. Auch die Gründung der Modernen Galerie im Unteren Belvedere ging übrigens auf die Secessionisten zurück, die Gelder zurücklegten für Ankäufe für den Staat (das muss man sich einmal vorstellen heute).
Wo endet sie, die Vorstellung? Für uns am Friedhof. Interessanterweise am Hietzinger, hier liegen sie (bis auf Schiele) alle begraben, die heuer vor 100 Jahren verstarben: Klimt, neben seinem schlichten Grab schwebt einer der dünnen Birkenstämme, die er so gerne malte. Otto Wagner, Klimts architektonischer Mitstreiter, nicht weit entfernt, in einer bemerkenswert pompösen, von ihm selbst gestalteten Gruft. Und auch Kolo Moser, ganz schlicht, mit seiner Frau Ditha Mautner-Markhof. Ein weißes Blümchen lassen wir hier, für sie alle.
Bahnbrechende Secession: Kunst wurde vermittelt, Arbeiter gratis geführt.