Ein ganzer Krieg auf einem einzigen Foto
Ein Kopfschuss auf einer offenen Straße. Das berühmte Bild eines amerikanischen Kriegsfotografen steht in gewisser Hinsicht für den Vietnamkrieg überhaupt. Es führte zu einem Meinungsumschwung in der Öffentlichkeit, nicht nur in den USA. Bis heute gehört
Tet ist das Neujahrsfest nach dem chinesischen Mondkalender, in Vietnam ein wichtiger Feiertag. Es wird drei Tage lang mit Volksfesten und Feuerwerken gefeiert. So war damit zu rechnen, dass viele Offiziere und Soldaten in Südvietnam am Tet-Fest des Jahres 1968, dem 30. Jänner, einige Tage bei ihren Familien und nicht in den Kasernen verbringen würden. Zwischen den kriegsführenden Landesteilen, dem Norden und Süden Vietnams, war daher für diese Woche ein Waffenstillstand vereinbart, das war eine schon länger geübte Tradition.
Dennoch brach an diesem Tag für Südvietnam die Hölle los. Seit Anfang der Sechzigerjahre wütete der Konflikt bereits, ein typischer Stellvertreterkrieg, langsam und schrittweise waren die Amerikaner hineingetaumelt, bis am Tag der Tet-Offensive klar wurde, dass der Krieg für sie in einer Sackgasse steckte.
Am 30. Jänner 1968 starteten Verbände der nordvietnamesischen Armee und Vietcong-Guerillaeinheiten einen Überraschungsangriff auf mehr als 100 Städte im Süden Vietnams. Überall tauchten plötzlich Stoßtrupps und Kampfverbände auf, insgesamt 80.000 Soldaten auf breitester Front. Am Boulevard Thong Nhut in Saigon, an dem die amerikanische Botschaft lag, tauchten in der Nacht vom 30. auf den 31. Jänner um etwa 2 Uhr 45 Fahrzeuge ohne Licht auf. In ihnen saß eine schwer bewaffnete Kommandoeinheit eines Vietcong-Bataillons, die sofort das Feuer auf die amerikanischen Militärpolizisten eröffnete. Ein Loch wurde in die Mauer der Botschaft gesprengt.
Die Amerikaner sammelten sich schnell, schon am nächsten Morgen begannen sie zurückzuschlagen. Die sogenannte Tet-Offensive kostete die Angreifer beträchtliche Verluste und brachte ihnen keinen militärischen Durchbruch, aber einen Propagandaerfolg. Der kommunistische Norden machte deutlich, dass er nicht gebrochen war. Die amerikanischen Fernsehzuschauer waren daher verstört und skeptisch, als US-General William
Eddie ADAMS (1933–2004)
dokumentierte für die Nachrichtenagentur AP (Associated Press) als Kriegsreporter mit seinen Fotos das Geschehen im Vietnamkrieg. Am 1. Februar 1968 nahm er sein berühmtestes Foto auf. Es wurde Pressefoto des Jahres. Gezeigt wird, wie der südvietnamesische Polizeikommandant Nguyen Ngoc Loan auf offener Straße in Saigon mit der Pistole einen gefangenen Vietcong hinrichtet. C. Westmoreland vor den rauchenden Trümmern seiner Botschaftsmauer seelenruhig erklärte, dass alles seine Ordnung habe. Seit Monaten war man davon ausgegangen, dass die Moral und Stärke der kommunistischen Gegner ohnehin schon am Boden lag, und jetzt das. Der General, das „joviale Monster“. Ein amerikanischer Fotograf bannte den ganzen Wahnsinn auf ein Bild, das zu einem der berühmtesten Fotos der Geschichte wurde. Am Morgen des 2. Februar 1968 erschien es auf den Titelseiten von „New York Times“und „Washington Post“, es stammte vom Kriegsfotografen Eddie Adams, er arbeitete für die Agentur AP. Das Foto zeigte, wie der Chef der südvietnamesischen Polizei, General Nguyen Ngoc Loan, einen jungen Vietcong namens Nguyen Van Lem durch einen Kopfschuss exekutierte. Kurz zuvor hatten südvietnamesische Truppen den Gefangenen gepackt und zu einer Straßenecke geschleppt.
Dann tauchte der General auf. Er war den Journalisten bekannt, sie nannten ihn ein „joviales Monster mit guten Seiten.“Er wusste in dem Moment, als er abdrückte, dass Kamerateams ihn im Visier hatten. Fotograf Adams später: „Ich hatte keine Ahnung, dass er schießen würde. Gefan- gene mit der Pistole am Kopf einzuschüchtern und zu verhören, war normal. Auf dieses Bild war ich gefasst – die Bedrohung, das Verhör. Aber das passierte nicht. Der Mann zog einfach seine Waffe und drückte ab, im gleichen Augenblick machte ich das Bild.“Auf den ersten Blick eine Spontanaufnahme ohne jede Ästhetisierung, doch nicht für den Bildanalytiker: Das Foto „offerierte Identifikationen vor allem der westlichen Beobachter mit dem Opfer, und es suggerierte eine klare Trennung von Gut und Böse“(der Historiker Gerhard Paul).
Der Vorfall hatte sich am Tag zuvor in den Straßen Saigons ereignet, auch ein Kamerateam von NBC war zufällig anwesend. Zwanzig Millionen Amerikaner sahen zu, als im Fernsehen die Exekution in einer gekürzten Form gezeigt wurde. Die Blutfontäne, die aus der rechten Schläfe des Opfers schoss, wollte man den Zuschauern nicht zumuten. Doch auch der Rest genügte: Die Fratze des Kriegs gelangte mit obszöner Direktheit in die Wohnzimmer. Die Amerikaner sahen nun den Krieg mit anderen Augen. Die Empörung, die das Bild auslöste, habe er nie verstanden, sagte Adams später: „Während eines Krieges sterben nun einmal Menschen“, sagte er in einem Interview. Nguyen Van Lem habe zuvor bereits acht Südvietnamesen auf diese Art liquidiert.
Vor der Tet-Offensive präsentierten die Medien der Öffentlichkeit vor allem Bilder eines sauberen, technologisch-effizienten Krieges, die US-Soldaten, jung, immer lächelnd, wurden po-
Als der General mit der Pistole abdrückte, wusste er, dass ihn Fotografen im Visier hatten.