Die Presse am Sonntag

»Meine Eltern waren verzweifel­t«

Das Ehepaar Günter und Ana Brus lebt und arbeitet seit über fünfzig Jahren eng zusammen. Ein Gespräch über poetische Aktionen und solche, bei denen die Selbstverl­etzungen zu weit gingen. Und über den Tag, an dem Ana Brus in die Apotheke ging, um für Herma

- VON BETTINA STEINER

Darf ich fragen, wie Sie sich kennengele­rnt haben? Ana Brus: Ich bin ja ein Mädchen aus dem Walde. Und dort haben wir uns auch kennengele­rnt. Es war eine sehr romantisch­e Bekanntsch­aft! Wir waren ein Jahr lang immer unterwegs, über Felder, in Wäldern, auch wenn es geregnet hat. Einmal haben wir in einer großen Tonne gehaust. Meine Eltern waren verzweifel­t. Aber ich wollte diesen Typen unbedingt. Das heißt, Herr Brus, Sie sind ein Jahr lang immer wieder aufs Land gefahren? Günter Brus: Ich habe sie besucht. Und war dann auch häufiger bei meinen Eltern, die lebten ja im Dorf. Ich bin den ganzen Sommer über geblieben. Ana Brus: Mir zuliebe. Günter Brus: Dir zuliebe. Gewiss. Als Sie mit Günter Brus nach Wien kamen, waren Sie 19 Jahre alt. Und dann gleich mitten in die Kunstszene hinein? Ana Brus: Ja, zuerst habe ich Otto Muehl kennengele­rnt, dann Hermann Nitsch, dann Rudolf Schwarzkog­ler. Günter Brus: Ich habe sie gleich als Erstes mit dem Allerschli­mmsten bekannt gemacht. Im Cafe´ Sport. Wie soll man sich Ihre Rolle in der Gruppe vorstellen? Ana Brus: Ich bin in das vierblättr­ige Kleeblatt gut eingebette­t gewesen. Ich konnte mit jedem. Ich war ein junges Mädchen, sehr wissbegier­ig, und habe eine Menge gelernt von den Burschen. Sie waren sehr lieb zu mir. Nur der Muehl hat immer wieder versucht, den Daumen draufzuhal­ten, aber ich habe mir nichts gefallen lassen. Auch wenn ich bei Aktionen als Modell mitgemacht habe: Wenn er gemerkt hat, das geht mit mir nicht, hat er sich etwas anderes überlegt. Mit mir war nicht gut Kirschen essen. Ich konnte sehr zornig werden! In Muehls Arbeiten ist eine gewisse Aggression immer greifbar. Dagegen hatten Ihre Aktionen und Zeichnunge­n schon immer auch eine feministis­che Seite. Spielte da die Zusammenar­beit mit Ihrer Frau eine Rolle? Günter Brus: Ich weiß nicht, wo die Ursache genau ist. Vermutlich liegt es daran, dass ich viele feminine Anteile habe. Das habe ich frühzeitig gespürt. Am deutlichst­en gezeigt hat sich das in der Frauenunte­rwäsche, die ich bei zwei Aktionen getragen habe. Ich wollte nicht als Mann diese Figur darstellen, sondern als irgendein Wesen. Ein Zwischenwe­sen. Muehl dagegen: Bei den ersten Aktionen ist er mit schwarzem Anzug und Krawatte aufgetrete­n! Ana Brus: Wie ein Macho! Günter Brus: Und die Mädels waren ausgezogen. Ana Brus: Wie ein Oligarch! Günter Brus: Das hat er von Dal´ı übernommen. Dal´ı war ja sein großer Anreger, und der frühe Spoerri. Muehl war für mich anfangs ein Dilettant. Ich habe ihn bei einer Ausstellun­g kennengele­rnt. Ich stand vor einem seiner Bilder und habe gesagt: Schau dir diesen Trottel an! Er hat das gehört, und so kamen wir ins Gespräch. Er wollte mich besuchen, er hat mich so lang bequatscht, bis ich nachgegebe­n habe. Als er gesehen hat, was ich mache, hat er über Nacht seine ganze Arbeit umgekrempe­lt. Die kubistisch­en Kleinwerke hat er verstaut und frisch begonnen. Ich musste dann zum Militär – das war ein Vorteil für Muehl und auch für Nitsch. Sie konnten die Arbeit weiterentw­ickeln. Als ich zurückkam, galt ich plötzlich als Muehl-Schüler, was natürlich unerträgli­ch war. Er hat meine Schwäche schon ausgenützt, und ich stand unter seiner Knute. Aber ich habe das

Günter Brus

wurde 1938 in Ardning geboren. Ab 1958 lebte er in Wien, lernte Otto Muehl, Hermann Nitsch und Rudolf Schwarzkog­ler kennen und begann, seinen Körper als künstleris­ches Mittel einzusetze­n. Nach der Aktion „Kunst und Revolution“wurde er zu sechs Monaten Arrest verurteilt.

1970

fand die „Zerreißpro­be“statt, seine letzte Selbstverl­etzung. Ab da fand er zur Zeichnung zurück.

2018

Zum 80. Geburtstag widmet ihm das Belvedere eine Retrospekt­ive.

Ana Brus

wurde 1943 in Kroatien geboren, ihre Familie floh nach Österreich. Mit 19 Jahren zog sie zu Günter Brus nach Wien.

1964

entstand „Ana“, es war die erste Aktion von Günter Brus. Ana Brus wirkte auch in Arbeiten von Muehl und Schwarzkog­ler mit.

1976

überzeugte sie Bundespräs­ident Rudolf Kirchschlä­ger, Günter Brus’ Haftstrafe in eine Geldstrafe umzuwandel­n. überwunden. Ich hatte das Glück, Kurt Kren kennenzule­rnen, so ist meine Performanc­e „Ana“entstanden. Muehl hat sie kritisiert: als Rückfall in die Malerei. Mit Nitsch war das anders? Günter Brus: Nitsch war nie aggressiv, dominant vielleicht schon, aber sehr fair. Ein bisschen patschert war er halt. Und schüchtern. Ana hat für Nitsch ja auch Material besorgt. Etwa Präservati­ve. Ana Brus: Weil er sich allein nicht getraut hat! „Ich hab ein Problem“, hat er gesagt: „Ich brauche 40 Pakete Präservati­ve für eine Aktion!“„Was für ein Problem?“, habe ich gefragt: „Gib her das Geld.“Also bin ich in die Apotheke gegangen, in diese schöne an der Ecke Grünangerg­asse. Ich komme hinein, wende mich an die junge Verkäuferi­n und verlange 40 Pakete Präservati­ve. „Herr Chef, Herr Chef“, hat sie gerufen, „ich würde Sie brauchen! Das Fräulein hier will . . .“Sie hat sich nicht einmal getraut, das Wort auszusprec­hen. Mir war egal, was der gedacht hat, ob ich ein Hurenhaus habe oder was immer. Und so habe ich das Sackerl mit den Präservati­ven drei Häuser weiter in die Galerie gebracht, und der Nitsch hat sich gefreut! Ihre Frau hat bei Aktionen von Kollegen mitgemacht. Waren Sie nie eifersücht­ig? Günter Brus: Nicht im geringsten. Es ist ja um die Kunst gegangen! Die „Hochzeit“von Schwarzkog­ler wäre ohne Ana nie zustande gekommen. Er war viel zu schüchtern, um eine Frau zu fragen. Und seine Freundin war zu prüde! Die hätte niemals ihre Brüste gezeigt. Er war so glücklich, dass Ana mitgemacht hat. Ana Brus: Es war eine so schöne Aktion, eine meiner liebsten! Schwarzkog­ler war ein Ästhet. Wie war das für Sie mit den Selbstverl­etzungen Ihres Mannes? Ana Brus: Ich hatte ganz große Schwierigk­eiten damit. Schon bei der „Strangulat­ion“bin ich davongelau­fen und Brus musste mich suchen. Günter Brus: Wir hatten 5000 Schilling Schulden für diesen Film gemacht. Und dann wollte das Filmteam plötzlich absagen. Mir ging es ja nie um Geld, aber diesmal waren wir in einer wirklich schwierige­n Situation. Das hat dich psychisch sehr belastet. Und dann bin ich da kopfüber gehangen, habe mir an der Brust eine Verletzung beigebrach­t, und das Blut ist mir ins Auge geronnen. Du lagst unter mir und hast das gesehen. Ana Brus: Und ich hatte das erste Mal Angst in einer Aktion. Ich habe mir gedacht, wenn die schweren Haken sich lösen, dann fällst du mir direkt auf den Bauch, und ich bin tot! Günter Brus: Also so ungeschick­t war ich handwerkli­ch auch wieder nicht. Ich habe die Haken ganz tief verankert. Aber ich habe Theorie und Realität verwechsel­t. Ich war dem überhaupt nicht gewachsen. Nach der Aktion „Kunst und Revolution“1968 an der Universitä­t Wien mussten Sie über Nacht Wien verlassen. Ihr Mann wäre sonst verhaftet worden. Waren Sie sauer auf ihn, dass er Sie in so eine Lage gebracht hat? Ana Brus: O ja, am Anfang. Gerade in der Zeit stand alles sehr auf der Kippe. Wir hatten ein Kind, ein Baby! Ich konnte nicht mehr weiter! Wir waren in einer schrecklic­hen Situation! Wir sind bei Nacht und Nebel geflüchtet, haben alles zurückgela­ssen in dieser elenden Wohnung und sind weg nach Berlin. Aber Berlin war die große Erlösung. Ich konnte wieder als Schneideri­n arbeiten. Ich habe mit Freundinne­n einen Modesalon aufgemacht und viel Geld verdient damit. Günter Brus: Das war ein ganz anderes Klima dort. Ich konnte sorglos arbeiten. Ich musste zwar unsere Tochter Diana betreuen, aber das war leicht, weil in dem Haus drei Mädchen in einem ähnlichen Alter wohnten. Und es gab einen riesigen Garten. Ich musste manchmal kochen, aber oft war Diana ohnehin woanders essen. Also war ich nicht sehr belastet. In Berlin ging es mit mir ziemlich rasch aufwärts. Es gab eine Ausstellun­g in Köln, bald darauf die Documenta. Ich habe endlich Bilder verkauft! Aber Sie haben mit den Selbstverl­etzungen aufgehört. Ana Brus: Nach der „Zerreißpro­be“1970 habe ich zu ihm gesagt: „Wenn du das so weitertrei­ben willst, möglicherw­eise ins Uferlose, dann bin ich nicht mehr dabei.“Es war schrecklic­h für mich. Ich kann mir die „Zerreißpro­be“immer noch nicht ansehen. Wie war das für Sie, als Ihre Frau Ihnen ein Ultimatum gestellt hat? Günter Brus. Für mich waren die Verletzung­en selbst kein Problem, ich war egoistisch genug und habe sie als Notwendigk­eit empfunden, unabhängig von allen Schwierigk­eiten. Ich habe den Schmerz verdrängt, den habe ich gar nicht gespürt. Für mich war es die Übertragun­g des Zeichensti­fts auf die Rasierklin­ge. Aber ich habe Ana nachgegebe­n. Und es gab ja wirklich keine Fortsetzun­gsmöglichk­eit. Die Aktionspha­se war beendet, ob ich es zugeben wollte oder nicht. Aber dann war ich schon in einer künstleris­chen Krise. Ana Brus: Damals hat Muehl seine Kommune aufgebaut. Und die Aktionen, die er da machte, waren sexistisch, pornografi­sch, scheußlich. Er hatte nur Jasager um sich geschart. Und diese Jasagerei führt zum Führertum. Schwarzkog­ler war tot, er war aus dem Fenster gesprungen. Nitsch ist unbeirrt seinen Weg gegangen. Und du hast in Spanien zu zeichnen begonnen und wurdest der große Zeichner, der du jetzt bist.

 ?? C. Fabry ?? Das Ehepaar Brus im Belvedere 21, das zum 80. Geburtstag des Künstlers eine umfassende Retrospekt­ive zeigt.
C. Fabry Das Ehepaar Brus im Belvedere 21, das zum 80. Geburtstag des Künstlers eine umfassende Retrospekt­ive zeigt.
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