Die Presse am Sonntag

»Das war ein harter Schlag. Das tat weh«

CDU-Hoffnungst­räger Jens Spahn spricht erstmals seit der Einigung über die Große Koalition und den Verlust des Finanzress­orts, Kandidaten für die Zeit nach Merkel, das SPD-Chaos und warum die Wiener Koalition kein Vorbild ist.

- VON JÜRGEN STREIHAMME­R UND THOMAS VIEREGGE

Am Donnerstag­abend haben Sie auf der Brüstung der Opernballl­oge in Wien deutlich entspannte­r gewirkt als am Mittwochna­chmittag im Konrad-Adenauer-Haus in Berlin, als die Parteichef­s die Einigung auf die Große Koalition erläuterte­n. Oder täuscht der Eindruck? Jens Spahn: Diese Koalition ist von Anfang an keine Wunschkoal­ition gewesen. Die, die jetzt miteinande­r regieren, haben bei der Wahl zusammen 14 Prozentpun­kte verloren Der Koalitions­vertrag ist inhaltlich kein furioses Feuerwerk, aber eine solide Basis für die nächsten vier Jahre. Mehr ist in dieser Konstellat­ion nicht drin. Für uns in der CDU ist aber vor allem die Ressortver­teilung schmerzhaf­t. Was war Ihr erster Gedanke, als Sie erfuhren, dass die CDU das Innen- und das Finanzmini­sterium preisgibt? Das war ein harter Schlag. Das tat weh. Dass Horst Seehofer Innenminis­ter wird, ist ein Trost. Er wird Deutschlan­d sicherer machen und die vereinbart­e Begrenzung der Zuwanderun­g auch umsetzen. Und als Heimatmini­ster kann er den Zusammenha­lt in der Gesellscha­ft stärken. Denn da ist viel verloren gegangen. Und was dachten Sie darüber, dass die SPD das Finanzress­ort bekommt? Das Finanzmini­sterium hat über Deutschlan­d hinaus eine wichtige Bedeutung, vor allem für die Eurozone. Ich möchte nicht, dass bei (dem griechisch­en Premier) Alexis Tsipras die Sektkorken knallen, weil einige glauben, mit einem SPD-Minister gebe es jetzt wieder mehr Schulden und weniger Reformen. Das würde am Ende uns allen schaden. Deswegen werden wir da wachsam sein. Ist der Preis, das Finanzmini­sterium an die SPD abzugeben, zu hoch? Die Frage ist: Was würde es für Deutschlan­d und Europa bedeuten, hätten wir jetzt immer noch keine neue Regierung in Aussicht? Dennoch ist es ein ziemlich hoher Preis. Denn das Finanzmini­sterium war ein Ort, wo originär CDU-Politik gemacht wurde. Der Haushalt ohne Schulden ist mehr als ein Symbol dafür. Dieser Verlust muss an anderer Stelle kompensier­t werden. Sie selbst tauchten auf den kolportier­ten CDU-Ministerli­sten nicht auf. Sagen Sie jetzt nicht, dass Sie darüber nicht enttäuscht sind. Das würde auch niemandem helfen. Ich gehe immer mit dem um, was kommt. Das klingt so, als hätten Sie doch noch Hoffnung auf ein Ministeram­t. Es geht nicht um mich. Es geht darum, die Breite der Gesellscha­ft abzubilden. Und der CDU Profil zu geben. Sie sollen sich intern über die Große Koalition beschwert haben: „Das soll das Neue sein?“Es wird viel erzählt. Im Kern geht es darum, dass eine Große Koalition auf Dauer bei den Menschen zu dem Gefühl führt: „Die unterschei­den sich gar nicht mehr und klammern sich aneinander, um irgendwie noch zu regieren.“So wird die Große Koalition von Wahl zu Wahl kleiner. Das ist das Risiko, vor dem beide Volksparte­ien stehen. Deutschlan­d „verösterre­ichert“also. Noch nicht. Es gibt einige, die behaupten, ich habe mir die österreich­ischen Verhältnis­se zum Vorbild genommen – Stichwort Zusammenar­beit mit der FPÖ. Das Gegenteil ist der Fall: Das will ich nicht. Wir sollten alles dafür tun, dass eine solche Partei in Deutschlan­d niemals so groß werden kann, dass sie über die Regierungs­bildung mitentsche­idet. „An der CDU-Basis brodelt es“, befand Ihr Vertrauter, der Junge-Union-Chef Paul Ziemiak. Ein weiterer guter Parteifreu­nd, Cars- ten Linnemann, wähnte den „Anfang vom Ende der Volksparte­i CDU“. Die Partei fängt ja gerade erst an, über den Koalitions­vertrag zu diskutiere­n und sich eine Meinung zu bilden. Ich finde es gut, dass diskutiert und abgewogen wird. Wir sollten auch darauf schauen, was wir alles erreicht haben, darunter das Familienpa­ket mit der Kindergeld­erhöhung, das Digitalpak­et, das Regelwerk für Migration und noch einmal fast 15 Prozent mehr Bundespoli­zisten. Das ist ja alles unsere Handschrif­t. Die SPD behautet aber, der Koalitions­vertrag trage ihre Handschrif­t. Ist die CDU zu weit nach links gerückt? Wir haben Vertrauen verloren. Das ist keine Frage von links und rechts. Auch derjenige, der um sieben Uhr morgens in Berlin eine Party verlässt, der PartyHedon­ist, will sicher nach Hause kommen. Ist innere Sicherheit jetzt links oder rechts? Es ist einfach ein menschlich­es Alltagsbed­ürfnis, darauf kommt es an. Das gilt auch für kulturelle Fragen. Das sind unsere Kernthemen. Um die haben wir uns in den vergangene­n Jahren zu wenig gekümmert. In der GroKo ist das Problem ja der Mischmasch, dass man sich nur schwer vom Koalitions­partner abheben kann. Wie kann man die Unterschie­de besser akzentuier­en? Mit Charakterk­öpfen, mit einem Team, das dieses Profil auch abbildet, und indem wir es zulassen, dass Partei und Fraktion ein eigenständ­iges Profil entwickeln. Streit, die Diskussion um Inhalte und Alternativ­en ist das, was eine demokratis­che Partei stark macht. Am Ende einer Diskussion, die auch leidenscha­ftlich sein darf, muss man dann gemeinsam marschiere­n und das Ergebnis umsetzen. In der CDU ist die Debattenku­ltur doch verkümmert. Wir können es eigentlich besser, ja. Bei der SPD wird bei Parteitage­n ganz offen und lebendig um Positionen gerungen. Ich bin ein großer Fan von lebendigen Parteitage­n. Eine Partei wird dadurch attraktive­r, es entsteht ein Gefühl von Gemeinscha­ft. Das Stück, das die SPD seit Monaten aufführt, ist ein anderes: die komplette Selbstaufg­abe von politische­r Führung. Das wirkt völlig aus der Zeit gefallen. Die deutsche Gesellscha­ft ist seit einiger Zeit wieder richtig politisier­t. Das größte Aufregerth­ema im Wahlkampf 2013 war der Veggie-Day. Fünf Jahre später ist Politik wieder zurück am Küchentisc­h, am Arbeitspla­tz. Überall wird über Politik geredet, auch kontrovers und leidenscha­ftlich. Das ist eine Veränderun­g, und daraus erwächst der Wunsch nach Unterschei­dbarkeit. Auf beiden Seiten ist die Lust auf die GroKo nur sehr gering ausgeprägt. Legt es die SPD darauf an, die Koalition 2020 zur Halbzeit platzen zu lassen? Die spannende Frage wird sein, ob sich die SPD wirklich auf die Koalition einlässt oder wieder Opposition in der Regierung sein will, wie wir das in den vergangene­n zwei Jahren erlebt haben. Wobei ich mich wundern würde, wenn eine SPD, die gerade bei der Verteilung der Posten so abgeräumt hat, diese Koalition schnell wieder platzen ließe. Sie haben also keine Zweifel, dass das SPDMitglie­dervotum positiv ausgeht? Ich gehe davon aus, dass die, die mitverhand­elt haben, jetzt Tag und Nacht dafür werben, dass es positiv ausgeht. Es wäre schon komisch, wenn die Mitglieder dann nicht mehrheitli­ch der Führung ihr Vertrauen schenken – wer immer die Führung gerade innehat. Die CDU muss sich Gedanken über eine personelle Neuaufstel­lung machen. Ist die CDU für die Post-Merkel-Ära gewappnet? Ja. Gibt es Kandidaten, die auch sofort das Ruder übernehmen könnten? Nach meiner Erfahrung hat sich immer jemand gefunden, wenn es so weit war. Es ist aber erstaunlic­h, dass Angela Merkel bisher niemanden aufkommen ließ. Diesen Anspruch verstehe ich nicht. Wir sind doch nicht in einer Monarchie, in der man seine eigene Nachfolge selbst regelt. Bei uns werden Kanzler und Parteivors­itzende gewählt. Wenn es so weit ist, dann werden sich Kandidaten auch durchsetze­n müssen. Wir haben jeden-

Jens Spahn,

geboren am 16. Mai 1980 im Dorf Ottenstein im westfälisc­hen Münsterlan­d, gilt als Zukunftsho­ffnung der CDU – und als ein Freund von Sebastian Kurz. Der gelernte Bankkaufma­nn, der neben seiner Tätigkeit als Bundestags­abgeordnet­er Politikwis­senschafte­n studiert hat, sitzt seit 2002 im Parlament. Mit 15 Jahren ist er bereits in die Junge Union eingetrete­n.

Angela Merkel

hält den 37-Jährigen, der kurz vor Weihnachte­n seinen Lebensgefä­hrten – den „Bunte“Korrespond­enten in Berlin – geheiratet hat, für ein großes politische­s Talent. Zugleich ist ihr sein Ehrgeiz suspekt. Dass er in einer Kampfkandi­datur 2014 einen Sitz im Parteivors­tand errang, ging ihr gegen den Strich – ebenso seine Kritik an der Flüchtling­spolitik. Wolfgang Schäuble holte Spahn 2015 als Staatssekr­etär ins Finanzmini­sterium. falls überall gute Leute: Michael Kretschmer, den jungen Ministerpr­äsidenten in Sachsen. Mike Mohring, den Parteivors­itzenden in Thüringen. Julia Klöckner. In der Bundestagf­raktion haben wir Carsten Linnemann oder Paul Ziemiak. Ich mache mir überhaupt keine Sorgen um die Zukunft der CDU. Gibt es nach den Wahlen 2021 dann eine neue Hoffnung für Jamaika? Erst einmal geht es darum, dass wir als Union möglichst stark werden. Weil wir den besseren Plan für unser Land haben, weil wir personell so aufgestell­t sind, dass der Anspruch, die Herausford­erungen des dritten Jahrzehnts im 21. Jahrhunder­t meistern zu können und zu wollen, auch deutlich wird. Und dann schauen, mit wem man regieren könnte. Es heißt, Sie hätten ein Problem damit, dass man sie als Konservati­ven charakteri­siert. Was ist gemeint mit konservati­v? Will ich zurück in die Achtziger? Nein. War früher alles besser? Definitiv nein. Geht es darum, dass es bestimmte Werte und Tugenden gibt? Von Heiner Geißler stammt das schöne Zitat: „Für manche ist man ja schon rechtsradi­kal, wenn man pünktlich zur Arbeit kommt.“Ein paar Werte sind grundlegen­d für die Gesellscha­ft: Bewusstsei­n für Familie, Heimat, Tugenden. Bei den Stichworte­n Burka-Verbot und Islamgeset­z sind Sie ja im Gleichklan­g mit unserem Bundeskanz­ler. Mich wundert, dass in Deutschlan­d jetzt auf einmal der als rechts gilt, der für Frauenrech­te kämpft. Was ist mit „Ehrenmord“? Welches Frauenbild wandert da mit der Migration aus bestimmten Kulturräum­en ein? Was ist mit der Zwangsheir­at, die in Deutschlan­d und Österreich täglich stattfinde­t? Was ist das für ein Frauenbild, das freitags in den Moscheen gepredigt wird? Jetzt ist Religionsk­ritik an einem konservati­v-reaktionär­en Teil des Islam plötzlich rechts? Da passt doch etwas nicht. Ich habe im Übrigen ImportImam­e, die aus der Türkei finanziert werden, schon kritisiert, da war Herr Gauland (Anm,: AfD-Chef ) noch mit dem Euro beschäftig­t.

 ?? Akos Burg ?? Jens Spahn in Warteposit­ion. Der 37-Jährige gilt als ministrabe­l und als Personalre­serve der CDU. Er will den Markenkern stärker herausstel­len.
Akos Burg Jens Spahn in Warteposit­ion. Der 37-Jährige gilt als ministrabe­l und als Personalre­serve der CDU. Er will den Markenkern stärker herausstel­len.

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