Lebendiges Essen
Das Leben findet nicht nur auf zwei oder vier Beinen statt, es umgibt uns allerorten und findet die bemerkenswertesten Überlebensstrategien, wie ein paar botanische Experimente veranschaulichen.
Viele Gärtner sind, vorsichtig ausgedrückt, von einer Zuneigung zur botanischen Kreatur erfüllt, die möglicherweise für andere nicht leicht nachzuvollziehen ist. Wir sehen Leben, Sterben, Wiedergeburt und rund um das Jahr die unterschiedlichsten Kreisläufe des Entstehens und Vergehens.
Die Nachbarin beispielsweise umsorgt seit Monaten ein winziges Grüngeschöpf in einem Töpfchen, das von Anfang an Schwierigkeiten hatte, das Licht der Welt zu erblicken, und das von manch anderem längst aufgegeben auf dem Kompost gelandet wäre. Es handelt sich um einen EuphorbiaSämling, der vorigen Sommer nur mit Mühe aus einem Samenkorn spross.
Letzteres erwies sich als sehr hart und für den Keimling kaum zu knacken. Die Samengärtner unter Ihnen werden aufseufzend nicken und folgendes Bild vor Augen haben: Aus der Erde schießt ein grünes Stämmchen, oben zwei Keimblätter, die sich tagelang vergeblich abmühen, die eng sitzende Samenhülle abzuschütteln, um sich entfalten zu können.
Praktisch jeder von uns Anzuchtfreaks hat bereits solche botanischen Zangengeburten miterlebt, und die wenigsten konnten dem Drang widerstehen. Man ist zwingend versucht, dem Pflänzchen zu helfen, indem man die Samenschalen behutsam entfernt. Oft wird dabei aber zumindest eines der beiden Keimblätter abgerissen, so vorsichtig kann man gar nicht sein. Botanische Zangengeburten. Das unfreiwillig einkeimblättrige Euphorbiababy hatte genau diesen schlechten Start. Es erholte sich entsprechend langsam, mittlerweile besteht Hoffnung, dass es gut durch den Winter kommt und über den Sommer groß und stark wird wie seine bizarren Vorfahren. Die wurden übrigens ebenfalls via aus Afrika mitgebrachten Samen gezogen, weshalb ich Ihnen auch nicht exakt verraten kann, um welche Euphorbia-Art es sich handelt.
In der Samengärtnerei für Gemüsepflanzen herrscht hingegen derzeit noch eher Stillstand. Es ist zu früh für Tomaten, Kürbisse & Co, lediglich die bedächtig wachsende Familie Capsicum sollte jetzt schon vorgezogen werden. Draußen rieselt derweil noch der Schnee vom Himmel, drinnen kann einer Gärtnerseele entsprechend fad werden. Es sei denn, es stehen folgende Zutaten samt Experimentierlust bereit: Erde, Töpfe, pflanzliche Küchenabfälle. Genau. Abfälle. Wer die Liebe zu besagter botanischer Kreatur noch nicht in sich trägt, wird sie angesichts der nun beschriebenen Experimente höchstwahrscheinlich aufkeimen fühlen. Nehmen Sie beispielsweise einen Bund Stangensellerie zur Hand und bereiten Sie daraus zu, was immer Ihnen schmeckt. Der unterste Teil der Pflanze, dort wo die Stängel sich zum Strunk vereinen, wird normalerweise weggeworfen. Diesmal nicht.
Sie stecken diesen vielmehr in einen Blumentopf mit guter Erde, gießen nicht zu üppig an, setzen dem Ganzen für den förderlichen Treibhauseffekt ein transparentes Häubchen auf, stellen den Topf hell, aber nicht zu sonnig und warten ein bis zwei Wochen. Die gekappte Pflanze wird Wurzeln und neue Blätter treiben. Aus dem vermeintlich toten Grünzeugabfall entwickelt sich erstaunlich schnell eine kräftige Pflanze. Die Gourmets unter