»Die Gedopten lachen uns aus!«
Biathlet Simon Eder ist über den Freispruch russischer Athleten »schockiert«, er sieht den sauberen Sport als Verlierer. Betrügern blieben damit Tür und Tor geöffnet.
Österreichs Biathleten sind im OlympiaWinter noch ohne Einzel-Podestplatz. Haben Sie eine Erklärung dafür? Simon Eder: Ich sehe den Grund vor allem in den Krankheiten und Verletzungen. Landi (Dominik Landertinger, Anm.) ist nach seiner BandscheibenOP erst im Jänner zurückgekehrt. Julian Eberhard war zwischenzeitlich krank, genauso wie ich. Als Team können wir es kaum verkraften, wenn einer von uns dreien ausfällt. Dann mangelt es an Quantität. Täuscht der Eindruck oder sind Biathleten für Krankheiten und Verkühlungen anfälliger als andere Wintersportler? Man darf nicht den Fehler machen und Biathleten mit Skispringern oder Skifahrern vergleichen. Die können mit einer leichten Verkühlung noch an den Start gehen, während es beim Biathlon schon keinen Sinn mehr macht. Wenn bei uns zwei Prozent fehlen, artet es gleich in einer Katastrophe aus, hast du keine Chance mehr. Außerdem besteht immer die Gefahr, eine Krankheit zu verschleppen. Sich diesem Risiko bei unserer Maximalbelastung auszusetzen, wäre zu gefährlich. In welchem Maximalpulsbereich bewegt sich ein Biathlet? Das ist von Athlet zu Athlet unterschiedlich, jeder hat eine unterschiedliche Pulsspanne, aber grundsätzlich liegt der Maximalpuls zwischen 190 und 200 Schlägen pro Minute. Am Schießplatz pendel ich mich meist bei 175 ein, dabei spielt der Zulauf zum Schießplatz aber eine wesentliche Rolle. Bei einer Abfahrt ist es weniger, bei einer kleinen Steigung davor mehr. In Pyeongchang haben wir eine sehr lange Abfahrt vor dem Schießstand, da wird sich der Puls bei 160 einpendeln. Lässt das den Schluss zu, dass es bei Olympia weniger Schießfehler als sonst geben wird? Grundsätzlich wäre es so, aber die Anlage in Pyeongchang ist relativ windanfällig. Das spricht wieder eher für viele Schießfehler. Und die Strecke, wie lässt sich diese charakterisieren? Es ist ein anspruchsvoller Kurs mit langen und steilen Steigungen, da wird es bei den Laufzeiten keine Zufälle geben. Das wird richtig hart. Biathleten sind einem auffällig dichten Weltcupprogramm ausgesetzt. Bewegen Sie sich im Bereich der Überbelastung? Der Weltverband IBU macht grundsätzlich einen guten Job, zehn Weltcup-Austragungsorte, das passt. Wenn wir aber wie in Antholz drei Rennen in drei Tagen haben, dann ist es nicht mehr lustig, da ist der letzte Tag nur noch hart. Auf der anderen Seite gilt es die Veranstalter zu befriedigen, die Tschechen sind in dieser Saison zum Beispiel leer ausgegangen, obwohl dort in der Regel 15.000 bis 20.000 Zuschauer an der Strecke stehen. Einen Mittelweg zu finden, ist nicht einfach. In welchem Alter erreicht ein Biathlet sein höchstes Leistungsvermögen? Mit dem Testosteron geht es ja schon ab 30 bergab, aber ich habe den Eindruck, mit dem Alter auch das Training besser zu vertragen. Ich werde heuer 35, fühle mich wirklich gut, komme mit Umfängen und Intensität bestens zurecht. Aber vielleicht habe ich mit 36, 37 die entscheidenden ein, zwei Prozent verloren. Dann kann es schon keinen Sinn mehr machen. Verspürt der Biathlontross etwas Wehmut, weil mit Ole Einar Björndalen der Größte Ihres Sports bei Olympia fehlt? Ich kann jetzt nicht für alle sprechen, aber mir persönlich tut es wirklich leid. Wir haben uns beim Sommertraining in Hochfilzen öfters getroffen, ich hätte ihm eine Teilnahme wirklich gewünscht, weil ich weiß, wie ehrgeizig er immer noch ist. Ich glaube, dass er jetzt noch eine Saison anhängt. So möchte ein Ausnahmeathlet wie Björndalen nicht aufhören, das kann ich mir nicht vorstellen. Der große Gejagte in Pyeongchang ist, wieder einmal, Martin Fourcade. Wenn man wie er bei jedem Weltcuprennen auf dem Podest steht, dann spricht das für sich. Momentan sind mit Fourcade und Johannes Thignes Boe immer die zwei gleichen vorn. Die Dichte im Biathlon ist immens und doch heben sich zwei Athleten von der Masse ab. Wie ist das möglich? Die beiden haben im Laufen im Vergleich zum Vorjahr nochmals zugelegt, sie haben sich von der Konkurrenz richtig abgesetzt. Und sie sind am Schießstand extrem nervenstark, dabei
Simon Eder
(*23. Februar 1983 in Zell am See) ist ein Biathlet. Sein Vater, Alfred Eder, ist Österreichs Olympiarekordstarter (6) und Ex-ÖSV-Trainer.
Soldat
Der Sportsoldat aus Saalfelden ist seit 1995 als Biathlet unterwegs, seit 1998 läuft er im Nationalteam.
Olympia
Bei den Spielen in Vancouver 2010 gewann er StaffelSilber, in Sotschi war es im gleichen Bewerb Bronze.
WM
Vier Medaillen konnte er bereits gewinnen, zwei mit der Staffel, 2017 ergatterte er in Hochfilzen Bronze im Massenstart. wären sie dort noch am ehesten zu bezwingen. Der Rest des Feldes kämpft um den dritten Platz. Es ist beinhart. Der dichte Weltcupkalender lässt das eigentlich nicht mehr zu, außerdem ist es ein Kampf um den Gesamtweltcup, da kann sich keiner der beiden einen Abstecher leisten. Aber: Es wäre nicht so, dass Fourcade oder Bö im Langlaufweltcup einsteigen und dort sofort gewinnen würden. Nein, dafür ist auch im Langlauf die Dichte zu hoch. Wenige Tage vor den Spielen hat der Internationale Sportgerichtshof CAS 28 russische Sportler von ihren lebenslangen OlympiaSperren freigesprochen. Wie haben Sie diese Nachricht aufgenommen? Ich war schockiert. Der saubere Sport ist der größte Verlierer, auch ich als sauberer Athlet fühle mich als Verlierer. Richterliche Entscheidungen sind anzuerkennen, aber wenn man gleichzeitig weiß, dass dieser Betrug stattgefunden hat, aber die Indizienlast nicht ausreicht, dann ist das brutal. Die Gedopten werden geradezu bevorzugt, sie lachen uns regelrecht aus. Auch die Welt-Anti-Doping-Agentur Wada sorgte für Stirnrunzeln, nachdem bekannt wurde, dass Urinprobenflaschen spurlos geöffnet werden können. Ich habe keine Ahnung, was da gerade bei der Wada abgeht. So ist dem Betrug Tür und Tor geöffnet. Auch wenn das ein bisschen paranoid klingt, aber: Als sauberer Athlet muss man sich wirklich fürchten, dass einem etwas hineingemischt wird. Vor der Dopingkontrolle habe ich schon ein bisschen Bauchweh. Man fragt sich letztendlich, warum man sie eigentlich noch machen muss, wenn sie sogar ausgetauscht werden kann. Das sind keine rosigen Zeiten für den sauberen Sport. Fürchten Sie nach Sotschi in Pyeongchang den nächsten Skandal? In dem Ausmaß wie in Russland ist es fast nicht mehr möglich, aber ich möchte auch nicht so naiv sein. Naivität ist in den vergangenen Jahren immer wieder bestraft worden. Das Netzwerk des Dopings ist viel größer, als alle geglaubt haben, auch in Mitteleuropa. Es ist immer wieder enttäuschend.