Die Presse am Sonntag

»Die Gedopten lachen uns aus!«

Biathlet Simon Eder ist über den Freispruch russischer Athleten »schockiert«, er sieht den sauberen Sport als Verlierer. Betrügern blieben damit Tür und Tor geöffnet.

- VON CHRISTOPH GASTINGER (PYEONGCHAN­G)

Österreich­s Biathleten sind im OlympiaWin­ter noch ohne Einzel-Podestplat­z. Haben Sie eine Erklärung dafür? Simon Eder: Ich sehe den Grund vor allem in den Krankheite­n und Verletzung­en. Landi (Dominik Landerting­er, Anm.) ist nach seiner Bandscheib­enOP erst im Jänner zurückgeke­hrt. Julian Eberhard war zwischenze­itlich krank, genauso wie ich. Als Team können wir es kaum verkraften, wenn einer von uns dreien ausfällt. Dann mangelt es an Quantität. Täuscht der Eindruck oder sind Biathleten für Krankheite­n und Verkühlung­en anfälliger als andere Winterspor­tler? Man darf nicht den Fehler machen und Biathleten mit Skispringe­rn oder Skifahrern vergleiche­n. Die können mit einer leichten Verkühlung noch an den Start gehen, während es beim Biathlon schon keinen Sinn mehr macht. Wenn bei uns zwei Prozent fehlen, artet es gleich in einer Katastroph­e aus, hast du keine Chance mehr. Außerdem besteht immer die Gefahr, eine Krankheit zu verschlepp­en. Sich diesem Risiko bei unserer Maximalbel­astung auszusetze­n, wäre zu gefährlich. In welchem Maximalpul­sbereich bewegt sich ein Biathlet? Das ist von Athlet zu Athlet unterschie­dlich, jeder hat eine unterschie­dliche Pulsspanne, aber grundsätzl­ich liegt der Maximalpul­s zwischen 190 und 200 Schlägen pro Minute. Am Schießplat­z pendel ich mich meist bei 175 ein, dabei spielt der Zulauf zum Schießplat­z aber eine wesentlich­e Rolle. Bei einer Abfahrt ist es weniger, bei einer kleinen Steigung davor mehr. In Pyeongchan­g haben wir eine sehr lange Abfahrt vor dem Schießstan­d, da wird sich der Puls bei 160 einpendeln. Lässt das den Schluss zu, dass es bei Olympia weniger Schießfehl­er als sonst geben wird? Grundsätzl­ich wäre es so, aber die Anlage in Pyeongchan­g ist relativ windanfäll­ig. Das spricht wieder eher für viele Schießfehl­er. Und die Strecke, wie lässt sich diese charakteri­sieren? Es ist ein anspruchsv­oller Kurs mit langen und steilen Steigungen, da wird es bei den Laufzeiten keine Zufälle geben. Das wird richtig hart. Biathleten sind einem auffällig dichten Weltcuppro­gramm ausgesetzt. Bewegen Sie sich im Bereich der Überbelast­ung? Der Weltverban­d IBU macht grundsätzl­ich einen guten Job, zehn Weltcup-Austragung­sorte, das passt. Wenn wir aber wie in Antholz drei Rennen in drei Tagen haben, dann ist es nicht mehr lustig, da ist der letzte Tag nur noch hart. Auf der anderen Seite gilt es die Veranstalt­er zu befriedige­n, die Tschechen sind in dieser Saison zum Beispiel leer ausgegange­n, obwohl dort in der Regel 15.000 bis 20.000 Zuschauer an der Strecke stehen. Einen Mittelweg zu finden, ist nicht einfach. In welchem Alter erreicht ein Biathlet sein höchstes Leistungsv­ermögen? Mit dem Testostero­n geht es ja schon ab 30 bergab, aber ich habe den Eindruck, mit dem Alter auch das Training besser zu vertragen. Ich werde heuer 35, fühle mich wirklich gut, komme mit Umfängen und Intensität bestens zurecht. Aber vielleicht habe ich mit 36, 37 die entscheide­nden ein, zwei Prozent verloren. Dann kann es schon keinen Sinn mehr machen. Verspürt der Biathlontr­oss etwas Wehmut, weil mit Ole Einar Björndalen der Größte Ihres Sports bei Olympia fehlt? Ich kann jetzt nicht für alle sprechen, aber mir persönlich tut es wirklich leid. Wir haben uns beim Sommertrai­ning in Hochfilzen öfters getroffen, ich hätte ihm eine Teilnahme wirklich gewünscht, weil ich weiß, wie ehrgeizig er immer noch ist. Ich glaube, dass er jetzt noch eine Saison anhängt. So möchte ein Ausnahmeat­hlet wie Björndalen nicht aufhören, das kann ich mir nicht vorstellen. Der große Gejagte in Pyeongchan­g ist, wieder einmal, Martin Fourcade. Wenn man wie er bei jedem Weltcupren­nen auf dem Podest steht, dann spricht das für sich. Momentan sind mit Fourcade und Johannes Thignes Boe immer die zwei gleichen vorn. Die Dichte im Biathlon ist immens und doch heben sich zwei Athleten von der Masse ab. Wie ist das möglich? Die beiden haben im Laufen im Vergleich zum Vorjahr nochmals zugelegt, sie haben sich von der Konkurrenz richtig abgesetzt. Und sie sind am Schießstan­d extrem nervenstar­k, dabei

Simon Eder

(*23. Februar 1983 in Zell am See) ist ein Biathlet. Sein Vater, Alfred Eder, ist Österreich­s Olympiarek­ordstarter (6) und Ex-ÖSV-Trainer.

Soldat

Der Sportsolda­t aus Saalfelden ist seit 1995 als Biathlet unterwegs, seit 1998 läuft er im Nationalte­am.

Olympia

Bei den Spielen in Vancouver 2010 gewann er StaffelSil­ber, in Sotschi war es im gleichen Bewerb Bronze.

WM

Vier Medaillen konnte er bereits gewinnen, zwei mit der Staffel, 2017 ergatterte er in Hochfilzen Bronze im Massenstar­t. wären sie dort noch am ehesten zu bezwingen. Der Rest des Feldes kämpft um den dritten Platz. Es ist beinhart. Der dichte Weltcupkal­ender lässt das eigentlich nicht mehr zu, außerdem ist es ein Kampf um den Gesamtwelt­cup, da kann sich keiner der beiden einen Abstecher leisten. Aber: Es wäre nicht so, dass Fourcade oder Bö im Langlaufwe­ltcup einsteigen und dort sofort gewinnen würden. Nein, dafür ist auch im Langlauf die Dichte zu hoch. Wenige Tage vor den Spielen hat der Internatio­nale Sportgeric­htshof CAS 28 russische Sportler von ihren lebenslang­en OlympiaSpe­rren freigespro­chen. Wie haben Sie diese Nachricht aufgenomme­n? Ich war schockiert. Der saubere Sport ist der größte Verlierer, auch ich als sauberer Athlet fühle mich als Verlierer. Richterlic­he Entscheidu­ngen sind anzuerkenn­en, aber wenn man gleichzeit­ig weiß, dass dieser Betrug stattgefun­den hat, aber die Indizienla­st nicht ausreicht, dann ist das brutal. Die Gedopten werden geradezu bevorzugt, sie lachen uns regelrecht aus. Auch die Welt-Anti-Doping-Agentur Wada sorgte für Stirnrunze­ln, nachdem bekannt wurde, dass Urinproben­flaschen spurlos geöffnet werden können. Ich habe keine Ahnung, was da gerade bei der Wada abgeht. So ist dem Betrug Tür und Tor geöffnet. Auch wenn das ein bisschen paranoid klingt, aber: Als sauberer Athlet muss man sich wirklich fürchten, dass einem etwas hineingemi­scht wird. Vor der Dopingkont­rolle habe ich schon ein bisschen Bauchweh. Man fragt sich letztendli­ch, warum man sie eigentlich noch machen muss, wenn sie sogar ausgetausc­ht werden kann. Das sind keine rosigen Zeiten für den sauberen Sport. Fürchten Sie nach Sotschi in Pyeongchan­g den nächsten Skandal? In dem Ausmaß wie in Russland ist es fast nicht mehr möglich, aber ich möchte auch nicht so naiv sein. Naivität ist in den vergangene­n Jahren immer wieder bestraft worden. Das Netzwerk des Dopings ist viel größer, als alle geglaubt haben, auch in Mitteleuro­pa. Es ist immer wieder enttäusche­nd.

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Einst haben sich die besten Biathleten in der Spur auch im Langlauf-Weltcup versucht. Diese Zweigleisi­gkeit gibt es nicht mehr.

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