Die Suche nach dem Paradeschwung
Im Riesentorlauf greift Anna Veith ins Olympiageschehen ein. Doch in ihrer einst stärksten Disziplin fahren die ÖSV-Damen nur hinterher.
Der Riesentorlaufschwung ist die Basis für alle Disziplinen im alpinen Rennsport, er wird am meisten trainiert, ehe man sich auf die einzelnen Disziplinen konzentriert. Das gilt für den Nachwuchs- wie für den Weltcupfahrer. Und doch ist es die mit Abstand schwächste Disziplin der österreichischen Alpindamen. Seit zwei Jahren sind die Riesentorlaufergebnisse des ÖSV ein Trauerspiel und einer erklärten Skination nicht würdig. Am 7. März 2016 siegte Eva-Maria Brem im slowakischen Jasna, seither sind die heimischen Damen nur Zuseherinnen, wenn die Stockerlplätze erklommen werden, 17 Weltcup-Riesentorläufe hält diese Serie nun schon an. Der Tiefpunkt: Am 7. Jänner 2017 in Maribor war Ricarda Haaser als 23. beste Österreicherin – so schlecht war es um die ÖSV-Damen in dieser Disziplin überhaupt noch nie bestellt gewesen.
Diese Talsohle scheint zumindest durchschritten, mit der 23-jährigen Stephanie Brunner mischt eine Spezialistin in der erweiterten Weltklasse mit. Die Tirolerin hat ihre besten Jahre außerdem noch vor sich; ihr erster Podestplatz ist wohl nur eine Frage der Zeit, auch wenn sie nach einem starken Start in den Olympiawinter (zwei vierte und zwei fünfte Plätze) in den jüngsten beiden Rennen außerhalb der Top Ten gelandet ist.
Brunner ist also gesetzt für den Olympia-Riesentorlauf im Yongpyong Ski Resort (Montag, 2.15/5.45 Uhr, live ORF eins). Bei Bernadette Schild und Ricarda Haaser waren ein neunter bzw. ein elfter Rang als beste Saisonplatzierung völlig ausreichend für einen ungefährdeten Startplatz. Denn DamenCheftrainer Jürgen Kriechbaum formulierte das Riesentorlauf-Dilemma so: „Es hat sich nicht wirklich eine Vierte aufgedrängt.“Eva-Maria Brem, Gewin- nerin der Riesentorlauf-Kugel 2015/16, ist nach ihrem Schienbeinbruch für Südkorea noch keine Option. Und so darf nun Anna Veith starten, die seit ihrer Rückkehr in den Weltcup im Riesentorlauf bisher nicht über einen 21. Platz (Lienz am 29. Dezember 2017) hinausgekommen ist.
Vor über zwei Jahren, am Höhepunkt ihrer Karriere, nach zwei Gesamtweltcupsiegen in Folge, als Weltmeisterin und Olympiasiegerin wurde sie von einer Knieverletzung gestoppt. Während für die Salzburgerin in Super-G und teilweise auch in der Abfahrt Topplatzierungen wieder greifbar sind, warf ihr Comeback im Riesentorlauf bisher mehr Fragen auf, als es Antworten lieferte. In ihrer einstigen Paradedisziplin, in der sie 2014 in Sotschi Silber geholt und elf ihrer 15 Weltcupsiege gefeiert hatte, verpasste sie in diesem Winter bei zwei ihrer drei Starts den zweiten Durchgang. Als Anna Fen- ninger hatte sie dank ausgezeichneter Technik und Risikobereitschaft ihre letzten vier Riesentorläufe noch allesamt gewonnen (inklusive WM-Gold 2015). Nun sind die enormen Belastungen der kurzen Radien bei Geschwindigkeiten von rund 70 km/h offenbar noch zu viel für die Patellasehne.
Den Riesentorlauf Montagfrüh soll für Veith deshalb auch nicht mehr als eine Gelegenheit sein, gut in diese Winterspiele zu starten. „Ich sehe den Start als Vorteil, weil das den Druck für den Super-G nimmt“, sagt die 28-Jährige. Der Super-G steigt am Samstag, dort ist sie die Titelverteidigerin. Nicht ausgeschlossen aber, dass die einst so erfolgsverwöhnte Athletin trotz der gering gehaltenen Erwartungen im Riesentorlauf eine erste Olympiaenttäuschung verkraften muss. Der Riesentorlaufschwung mag die Basis sein, aber er ist auch jener, der am schwierigsten wiederzufinden ist.