Werde ich nie sein«
wir 64 Fälle abgelehnt, weil sie nicht plausibel waren. Darum gibt es eine Beurteilung. Die Kommission, in der ich kein Stimmrecht habe, entscheidet das. Bei uns ist der Rechtsgrundsatz „In dubio pro reo“umgekehrt: Im Zweifel immer für den Betroffenen. Der Fall Karl Kahr hat Sie nicht überrascht. Sie haben dazu auch Hinweise bekommen. Wie geht die Kommission in diesem konkreten Fall vor? Sind Sie damit betraut? Wir haben vor einiger Zeit anonyme Hinweise bekommen, denen wir selbstverständlich nachgehen. Es hat sich allerdings bislang keine Betroffene bei uns gemeldet. Aufgrund der aktuellen Meldung in der „Süddeutschen“habe ich darüber hinaus jetzt Frau Werdenigg schriftlich um ein Gespräch ersucht. Unsere gemeinsamen Ziele sind doch ehrliche Aufarbeitung und Prävention für die Zukunft. Bisher hatten Sie keinen Kontakt mit ihr? Noch nicht, aber ich hoffe jetzt auf ein Gespräch mit ihr. Sind Sie froh über das, was Werdenigg ins Rollen gebracht hat? „Froh“ist nicht das richtige Wort. Aber Zivilcourage begrüße ich immer. Werdenigg hat wie einige andere Kritik an Ihrer Arbeit geübt. Sie würden etwa den Institutionen, die Sie bestellt haben, zu nahe stehen. Was sagen Sie dazu? Wenn jemand dieser Meinung ist, muss man das annehmen. Ich selbst suche in so einem Fall das persönliche Gespräch. Ich möchte sie wirklich kennenlernen und mehr erfahren. Auch damals beim Aufbau der Klasnic-Kommission hat man gesagt, ich bin der Kirche zu nahe. Die Vorwürfe waren damals sehr massiv, aber das hat sich gelegt. Konkret gibt es Kritik, weil die ÖSV-Hotline nur bis Mai eingerichtet werden soll. Wieso hat die Meldestelle ein Ablaufdatum? Der Expertenbeirat (siehe Kasten links unten) wird sich einmal mit dem befassen, was bis 31. Mai kommt. Dann gibt es einen Bericht. Und wenn es uns danach noch braucht, sind wir weiter da. Die Sorge, Sie könnten als vom ÖSV bestellte Opferschutzvertraute zu wenig Distanz haben, verstehen Sie also nicht? Jetzt sage ich Ihnen etwas: Ich kann ja nicht einmal Ski fahren. Wie haben Sie die Aufrollung der Vergewaltigungsakte Toni Sailer beobachtet? Ich wurde im Vorfeld einige Male von Journalisten gefragt, ob ich etwas weiß. Nachdem ich nie über Betroffene oder Beschuldigte spreche, habe ich keine klare Antwort gegeben. Dann habe ich einem der Herren einmal gesagt, ich weiß nichts, und er hat darauf gesagt: „Können Sie auch nicht, weil das war in Polen.“In der Geschichte wird man wahrscheinlich bei vielen Menschen etwas finden. Aber wenn es so war, wie es dargestellt wurde, dann ist es für die Frau sicher schwierig gewesen. Das klingt fast abgeklärt. Nach all den Jahren, den vielen Fällen: Hat sich Ihr Bild von den involvierten Institutionen verändert? Erstens lege ich Wert darauf, dass ich nie abgeklärt sein werde. Zweitens geht es mir nicht um die Institutionen, sondern um den einzelnen Menschen. Immer. Erst vor 14 Tagen hatte ich eine große Schwierigkeit zu bewältigen. Wenn eine Großmutter zu mir sagt, ich weiß, dass mit meinem Enkel etwas passiert, aber ich kann es meiner Tochter nicht sagen, weil das geht von meinem Schwiegersohn aus. Dann muss man einen Weg suchen, ohne dass man von außen unsanft in eine Familie eingreift. Das lässt einen nicht ruhen. Aber ich finde immer einen Weg. Der Fall Kahr unterscheidet sich vom Fall Sailer unter anderem, weil Kahr noch lebt und dazu Stellung nehmen kann. Es wird von mir an alle, die sich betroffen fühlen, die Einladung ausgesprochen, sich bei uns zu melden. Gern biete ich ein selbstverständlich völlig vertrauliches Gespräch an, das je nach Wunsch mit mir, aber auch Experten geführt werden kann. Mein Aufruf, meine Einladung ist, bitte melden Sie sich bei mir (Kontaktdaten im Kasten). Wie sehen Sie die MeToo-Debatte? Es ist eine Debatte, die ganz, ganz wichtig ist. Sie ist mir nur zu einseitig. Weil wenn ich Ihnen vorhin gesagt habe, ich habe 70 Prozent Männer, die sich bei mir melden, dann frage ich mich . . . . . . wobei Männer ja nicht ausgeklammert werden in der MeToo-Debatte. Aber es gibt noch eine Barriere. In Prozenten sind Frauen viel mehr betroffen. Dieses MeToo ist für mich eine Debatte für Menschen. Wenn sie mich fragen, was mir fehlt, dann ist es diese Seite. Sie waren lang in der männlich dominierten Spitzenpolitik tätig. Haben Sie je die Erfahrung einer Diskriminierung oder eines Übergriffs gemacht? Dass Frauen nicht bevorzugt werden oder es im Aufstieg schwerer haben, habe ich weniger an mir als an vielen anderen oft gesehen. Es gab auch einen konkreten Fall einer Mitarbeiterin des Landes. Ich habe selbstverständlich sofort mit ihr geredet, geschaut, dass sie an einen anderen Dienstposten kommt und ein Verfahren eingeleitet wird. Ich habe unlängst den Bruder dieser Frau getroffen, und er hat mir gesagt, er hat das Gefühl gehabt, dass ich damals alles getan habe. Und dann gab es den Fall von einem Mitarbeiter, der einen Witz erzählt hat, den sich die Frauen nicht haben gefallen lassen. Da habe ich gesagt: Entweder die Frauen reden das mit ihm aus – oder er geht. Ist es fair, wie derzeit mit Peter Pilz umgegangen wird? Das ist eine politische Frage, da sage ich ganz sicher nichts. Aber wenn ich von anderen Korrektheit in jeder Situation verlange, dann muss ich diese Korrektheit auch selbst einbringen.