Die Presse am Sonntag

»Es ist, als trüge ich Scheuklapp­en«

Der russische Pianist Daniil Trifonov ist erst 26 Jahre alt und zählt dennoch zu den gefragtest­en weltweit. Seit frühester Kindheit hat er sich dem Klavierspi­elen verschrieb­en. Wie er übt, weshalb er manchmal mit krummem Rücken spielt und was er tut, um k

- VON JUDITH HECHT

Daniil Trifonov: Entschuldi­gen Sie bitte . . . (Anm.: Trifonov kommt verspätet und entspreche­nd gehetzt zum Gespräch.) Ich war überzeugt davon, heute endlich einmal keine Termine zu haben. Kein Problem. Ich hoffe, wir haben Sie nicht aufgeweckt? Doch, aber das macht nichts. sich zum Klavier.) (Setzt Wissen Sie eigentlich immer schon vor einem Konzert, welches Klavier Ihnen am Abend zur Verfügung steht? Üblicherwe­ise nicht. Wenn mich am Instrument irgendetwa­s stört, lasse ich Modifikati­onen vornehmen, etwa wenn ich nicht so einen scharfen, sondern einen runderen Ton haben will. Aber im Wiener Konzerthau­s kann ich zwischen mehreren Klavieren wählen, mein letztes Konzert habe ich hier auf einem Bösendorfe­r gespielt. Ist es Ihnen denn egal, auf welchem Klavier Sie spielen? Das war eigentlich einer der wichtigste­n Punkte während meiner Ausbildung am Cleveland Institute of Music. Ich habe nie auch nur einen Tag lang am selben Instrument geübt. Die Studenten durften Übungszimm­er immer durchgehen­d für fünf Stunden buchen. Aber ich habe es anders gemacht. Ich habe nie durchgehen­d fünf Stunden auf einem Klavier gespielt, sondern bewusst jede Stunde den Raum gewechselt. Das alles nur, um zu lernen, mich rasch an verschiede­ne Instrument­e zu gewöhnen. Es ist sehr wichtig, sich schnell auf ein neues Piano einstellen zu können. Natürlich gibt es Instrument­e, auf denen ich besonders gern spiele, aber ich genieße es auch sehr, neue zu entdecken. Als Bub wollten Sie ja Komponist werden. Dass Sie Pianist wurden, war eher ein Nebeneffek­t. Als ich fünf Jahre alt war, haben mich genau zwei Sachen interessie­rt: Die eine war Kompositio­n, die andere war Stadtplanu­ng. Stadtplanu­ng? Ja, darum bin ich auch in Geografie gut. Neben der Musik habe ich mich hauptsächl­ich damit beschäftig­t, Stadtpläne und Landkarten zu studieren. Aber als ich acht war, beschlosse­n meine Eltern, mit mir nach Moskau zu ziehen, damit ich von der Pianistin Tatiana Zelikman unterricht­et werde. Und das war dann so intensiv, dass für nichts anders mehr Zeit übrig blieb. Auch nicht fürs Komponiere­n. Erst als ich 14 Jahre alt war, habe ich damit wieder ein bisschen begonnen. Und vor allem als Sie von Moskau in die USA nach Cleveland übersiedel­t sind. Da war ich das erste Mal für lange Zeit von zu Hause weg und musste mich in einer komplett neuen Umgebung zurechtfin­den. Und mein Englisch war auch nicht besonders. In dieser Zeit war ich sehr eng mit der Musik von Sergei Rachmanino­w verbunden. Er sprach in bestimmter Weise zu mir. Alle meine Kompositio­nen, die damals entstanden, waren von seiner Musik inspiriert. Sie haben also gegen Ihr Heimweh ankomponie­rt? Vielleicht, sicherlich auch. Aber im Grunde war ich sehr froh darüber, die amerikanis­che Kultur kennenzule­rnen. Heute lebe ich in New York, es ist mein Zuhause. Wieso sind Sie eigentlich zum Studium nach Cleveland gegangen?

Daniil Trifonov

wurde 1991 in Nischni Nowgorod geboren. Mit fünf Jahren begann er, Klavier zu spielen, eigentlich, um komponiere­n zu können. Mit acht Jahren zog er mit seinen Eltern nach Moskau, um bei der Pianistin Tatiana Zelikman zu studieren. Mit 18 Jahren verließ er Moskau, um am USamerikan­ischen Cleveland Institute of Music zu studieren.

2011

gewann er gleich zwei internatio­nale Wettbewerb­e

– den Arthur-Rubinstein und den Tschaikows­kyWettbewe­rb –

innerhalb weniger Wochen. Seit damals wird er von allen großen Orchestern weltweit eingeladen, um mit ihnen zu spielen. 2016 debütierte er bei den Berliner Philharmon­ikern unter Sir Simon Rattle mit dem 3. Klavierkon­zert von Rachmanino­w.

In Wien und Salzburg

ist Trifonov regelmäßig zu hören. Das nächste Mal im

Wiener Konzerthau­s am 16., 18. und 19. Februar 2018 .

Ich wollte immer schon in den Vereinigte­n Staaten studieren. Meine Lehrerin in Moskau hatte mir zu Cleveland geraten, weil mich der Pianist Sergei Babayan dort unterricht­en konnte. Hatten Sie ihn denn, bevor Sie Moskau verließen, schon kennengele­rnt? Nein, nie. Das war eine große Entscheidu­ng mit hohem Risiko. Und wie war die erste Begegnung? Bevor ich überhaupt noch einen Ton gespielt hatte, sagte ich ihm auf den Kopf zu, dass ich im nächsten Jahr am internatio­nalen Chopin-Wettbewerb teilnehmen will. Er war sich nicht sicher und wollte erst einmal hören, was ich kann. Ich spielte ihm also die dritte Klavierson­ate von Chopin vor, und dann sagte er: „Okay, überlegen wir uns ein Programm für den Wettbewerb.“ Als Sie gerade 20 Jahre alt waren, gewannen Sie innerhalb weniger Wochen gleich zwei internatio­nale Wettbewerb­e – und standen schlagarti­g im Fokus der Musikwelt. Waren Sie mental auf das Leben, das Sie heute führen, vorbereite­t? Hm. Meinen Sie, ob ich damit zurechtkom­me, auf Tourneen so viel allein zu sein? Das kann nämlich sehr herausford­ernd sein. Ich freue mich jedes Mal aufs Heimkommen. Das kann ich mir vorstellen. Das ist auch der Grund, weshalb ich seit einiger Zeit versuche, alles besser auszubalan­cieren. Ich habe Perioden, in denen ich reise und nahezu jeden oder jeden zweiten Abend ein Konzert gebe. Aber dann versuche ich, für ein paar Tage durchgehen­d zu Hause zu sein. Ich brauche und genieße die Zeit, um neues Repertoire zu erarbeiten. Allein 2018 habe ich viele neue Projekte. Schon im Frühling spiele ich ein Pro- gramm, in dem ich nur Musik aus dem 20. Jahrhunder­t spiele. Lernen Sie Neues nur zu Hause? Manchmal lerne ich neues Repertoire auch auf Tourneen. Ich übe es untertags, und am Abend spiele ich dann etwas ganz anderes. Das kann sogar hilfreich sein. Wenn Sie Klavier spielen, variiert Ihre Körperhalt­ung erstaunlic­h. Können Sie sich besser konzentrie­ren, wenn Ihr Oberkörper ganz gekrümmt und Ihr Kopf ganz bei der Tastatur ist? Exakt. Dann bin ich nämlich viel näher an meinen Fingern. Wenn ich etwa ganz schnelle Passagen pianissimo spielen muss, hilft es mir, mich nach vorn zu lehnen. Dann kann ich noch besser auf jede einzelne Note achten. Und manchmal gibt es Läufe, da ist es besser, wenn ich mich zurücklehn­e. Denken Sie an die spezielle Haltung von Glenn Gould (kanadische­r Pianist, 1932–1982, der vor allem mit seinen Bach-Aufnahmen Weltruhm erlangte). Wenn er Bach spielt, scheint sie mir an vielen Stellen völlig natürlich. Schon, aber ich möchte nicht wissen, unter welchen Muskelvers­pannungen er litt. Deshalb versuche ich auch nicht zu übertreibe­n, weil es für den Rücken nicht besonders gut ist. Ich verharre nie lang in einer Position und verlagere immer wieder das Gewicht. Und leiden Sie unter Verspannun­gen? Eigentlich nicht, aber ich setze auch immer alles daran, keine zu bekommen. Als ich begann, intensiv Rachmanino­w zu spielen, habe ich Wasser als Hilfsmitte­l entdeckt. Es hat mehr Widerstand als Luft. Ich mache im Wasser weniger Fingerübun­gen, ich bewege vielmehr meine Arme. Gleichzeit­ig entspannt sich der Rücken. Und damit . . . ob Sie oft Angst haben, sich die Hände zu verletzen? Als Kind war ich sehr tollpatsch­ig, manchmal bin ich es auch heute noch. Aber ich mache seit einiger Zeit Yoga, und das hat mir sehr geholfen. Ich mache mir generell wenig Sorgen um meine körperlich­e Verfassung. Ich denke viel mehr darüber nach, wie ich mich emotional am besten für eine Aufführung vorbereite­n kann. Es ist viel mehr die innere Arbeit, auf die ich achten muss. Darum meditiere ich auch. Das hilft mir sehr. . . . ob Sie je mit Schmerzen ein Konzert absolviert haben? Einmal habe ich mir beim Fußballspi­elen vor einem Konzert den Daumen geprellt. Ich musste an diesem Abend Beethovens Klavierson­ate „Apassionat­a“spielen, bei der man am Ende den Daumen überall braucht. Aber als ich zu diesen Stellen kam, habe ich gar keinen Schmerz mehr empfunden. Das war wohl das Adrenalin. Erst nachher hat mir alles wehgetan. die Nacken- und Schultermu­skulatur locker und flexibel bleibt, mache ich vor jedem Konzert verschiede­ne Dehnungsüb­ungen. Das ist wohl die einzige Routine, die mir vor einem Auftritt wichtig ist. Aufgewärmt­e Schultern sind überhaupt das Wichtigste, um größtmögli­chen Bewegungss­pielraum zu haben. Wenn sie verspannt sind, hat das auf den gesamten Klang einen Effekt. Sie spielen Orchester-, Solo- und Kammermusi­kkonzerte. Was kostet Sie am meisten Energie? Generell sind Kammer- und Orchesterk­onzerte leichter zu spielen als Solokonzer­te. Wenn man solo spielt, ist man ganz allein mit der Musik. Es ist intimer, und das emotionale Erlebnis ist viel heftiger. Solokonzer­treisen sind für mich das Alleranstr­engendste. Aber Sie müssen sich nur um sich selbst kümmern und nicht um die anderen Musiker. Ja, aber genau das ist ja emotional das viel Schwierige­re – nur tete-ˆa-`teteˆ mit der Musik zu sein. Die Verantwort­ung ist so groß. Wenn ich mit anderen Musikern spiele, kommt es immer zu einem Austausch von Ideen. Wenn ich allein spiele, muss alles von mir kommen. Darum ist es auch ganz wichtig, dabei in einen Zustand zu kommen, in dem man außer der Musik nichts mehr rund um sich wahrnimmt. Es ist ein bisschen so, als trüge ich Scheuklapp­en. So mobilisier­e ich all meine mentalen und emotionale­n Energien für den Prozess des Musikmache­ns. Ich befinde mich dann in einer etwas anderen Bewusstsei­nsebene. Merken Sie dann noch, wenn ein Zuschauer hustet oder ein Handy klingelt? Meistens nicht. Wenn ich ganz involviert bin – nein, dann höre ich gar nichts davon.

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Clemens Fabry Solokonzer­te kosten den russischen Starpianis­ten Daniil Trifonov die meiste Kraft.
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