Es kann nur Einen geben
In einem Monat wählen die Russen einen neuen Präsidenten. Sicher ist: Es wird der alte werden. Wie führt man Wahlkampf, wenn das Ergebnis so gut wie bekannt ist? Und was soll man Menschen versprechen, wenn es keine Alternative gibt?
Natalia Smirnowa ist gekommen, um Wladimir Putin einen Vorschlag zu machen: Würde er nicht gern persönlicher Förderer ihres Kulturzentrums werden? Smirnowa ist eine offenherzige Frau jenseits der 50, sie trägt eine bunte Strickweste zu ihrem blonden Pagenkopf und leitet ein Kulturzentrum in Sergijew Posad unweit von Moskau. Dort bemalt sie mit Kindern Matrjoschki-Puppen, fertigt traditionelle Keramik an und stellt Ikonenkunst aus – das alles auf ein paar Quadratmetern in einem alten Haus.
Eine neue Bleibe, schon lange gewollt, würde mehrere Millionen Dollar kosten. Viel zu teuer für den Verein. „Kultur steht unter der Obhut des Staates“, sagt Smirnowa. Und damit letztlich unter Obhut des Präsidenten. Deshalb ist sie heute mit Klarsichtfolien voller Papiere und einem Fotoalbum mit Bildern aus Sergijew Posad nach Moskau gereist. Eineinhalb Stunden ist sie in der Elektritschka gesessen, dem Vorortzug, der das Umland mit Moskau verbindet, dann ist sie in die Metro gestiegen und hat schließlich die Treppen zu Wladimir Putins Bürgerbüro erklommen, das sich in einem Hochhaus der Stadtregierung Moskau befindet. Geduldig wartet sie im Wartezimmer, bis sie aufgerufen wird und an den Schalter treten kann.
Es ist kein gewöhnlicher Termin im Bürgerbüro, denn Frau Smirnowa sitzt keiner der üblichen Berater gegenüber, die die Anliegen der Bürger in einem Formular aufnehmen, sondern Jewgenij Petrosjan, ein bekannter Komiker und einer von Putins Gewährsmännern im Wahlkampf. Smirnowa erzählt ihm von dem Vorhaben. Seine Miene erhellt sich. „Es ist sehr wichtig, was Sie tun“, sagt er. „Sie verteidigen unsere Werte, unsere Kultur.“Und er verspricht Smirnowas Anliegen weiterzuleiten, an die Mitarbeiter des Wahlkampfstabs, auf dass es den Präsidenten höchstpersönlich erreiche. Es ist eine Szene wie gemacht für die Kameras der russischen und internationalen Journalisten, für die man dieses Treffen organisiert hat. Ein Kandidat wie alle? In Russland findet in genau einem Monat, am 18. März, die Präsidentenwahl statt. Dass der Sieger Wladimir Putin heißen wird, daran besteht kein Zweifel. Doch auch der Amtsinhaber muss sich formal dem Wählerwillen stellen und daher alles tun, was auch von den anderen Kandidaten verlangt wird: Unterschriften sammeln, Unterlagen bei der Wahlkommission einreichen, einen Kampagnenstab ernennen und schließlich einen Wahlkampf führen.
Das Bürgerbüro ist Teil der Kampagne ebenso wie Putins rund 500 der Öffentlichkeit wohlbekannte Vertrauensleute und Tausende junge Freiwillige. 15.000 Anfragen für Mitarbeit habe man erhalten, sagt der Pressesekretär des Stabs, Andrej Kondraschow. Kondraschow ist Starreporter beim staatlichen TV-Kanal Rossija und hat Putin oftmals interviewt. Seine Unterstützung für den Kreml-Chef beschreibt er als „hart wie Beton“. Dass man in der Kampagne 2018 auf Freiwillige setze, sei für Russland neu – und andererseits logisch. „Russland mobilisiert sich in schwierigen Zeiten“, sagt Kondraschow. „Deshalb mobilisiert sich jetzt die Jugend.“ In den betriebsamen Gängen des Bürgerbüros könnte man meinen, der Kreml sei nicht jener für seine hermetische Abgeschlossenheit berühmte Machtapparat. Putins Stabchefs haben die wichtigsten Lektionen in Sachen Basismobilisierung gelernt. Die Message ist: Es ist das Volk, das Putin will. An den Wänden hängt der Kreml-Chef in allen Lebenslagen: beim Eishockey, mit Kindern und beim Veteranentreffen. Und so ist er, den hier alle nur „den Präsidentschaftskandidaten“nennen, zwar nicht persönlich anwesend, aber doch allgegenwärtig. Doch Bürgernähe birgt auch Risken. Was, wenn Unzufrie- dene kommen? Wenn geschimpft und geflucht wird? Natalia Smirnowa und die anderen Antragsteller wurden für den Journalistentermin eigens ausgewählt. Man kennt ihre Anliegen, die authentisch und durchaus rührig sind: zwei Aktivisten einer Universität, einer davon im Rollstuhl, bitten um die Einrichtung eines Reha-Zentrums; eine Dame fragt um Unterstützung für Dokumentarfilmer an; ein junger Mann will den Schulsport fördern.
Natalia Smirnowa verrät nicht, für wen sie stimmen wird. Doch sie befürwortet die Kulturpolitik des Präsidenten. Ihm gehe es, anders als den Lokalbehörden, nicht nur um Kommerz. Dass es vor der Wahl „mehr Gehör“gibt für ihr Anliegen, ist ihre Hoffnung.
Nach den Zahlen des Kreml-nahen Umfrageinstituts Wziom wollen 71,5 Prozent der Befragten am 18. März Putin wählen. Abgeschlagen an zweiter Stelle mit sieben Prozent liegt der Kandidat der Kommunisten, Pawel Grudinin. Kritiker der Staatsmacht wie der Moskauer Oppositionspolitiker Dmitrij Gudkow gehen davon aus, dass diese offiziellen Zahlen als Orientierungspunkt für die Wahlkommissionen dienen werden. Auch in russischen Medien ist seit einiger Zeit von einem „70/70“-Ergebnis die Rede: 70 Prozent Stimmen für Putin bei 70 Prozent Wahlbeteiligung. Alles andere würde den Amtsinhaber angeschlagen erscheinen lassen. Ein hohes Rating sei „Grundlage der Legitimität, wie man sie hierzulande versteht, und beeinflusst die Politik, wie man sie hierzulande realisiert“, schreibt der Philosoph Alexander Rubzow in der Zeitung „Wedomosti“.
Unabhängige Experten prognostizieren hingegen, dass nur 50 bis 60 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme abgeben werden. Es geht nur aufwärts. Anderntags in Putins Wahlstab im Gostinnij Dwor, einem alten Handelshaus im Zentrum Moskaus: Mit einer Bliniverkostung feiert man Masleniza, die Butterwoche vor dem Beginn der Fastenzeit, ein DJ legt „Katjuscha“in der Dance-Version auf. Sitzkissen in russischen Nationalfarben, darüber die alles und nichts sagenden Wahlsprüche „Ein starker Präsident – ein starkes Land“und „Nur aufwärts“. Viele der jungen Aktivisten, die eine Uniform aus weißen Kapuzenpullis mit rotem „Putin“-Schriftzug tragen, sind auch in der Putin-nahen Jugendorganisation Freiwillige des Sieges aktiv. Diese 2015 von Putin angeregte und mit öffentlichen Geldern unterstützte Organisation hält das Weltkriegsgedenken hoch, hilft Veteranen und organisiert patriotische Veranstaltungen. Aus Vereinigungen wie diesen speisen sich die aktiven Unterstützer des Präsidenten. Putins junge Freiwillige wollen dem Staatschef, so sagen sie, sein Engagement für die Jugend danken. Wie etwa die 21-jährige Dolmetschstudentin Jekaterina Kuftina. Sie kann dank eines Vollstipendiums studieren. „Putin unterstützt das, deshalb unterstütze ich ihn“, sagt das Mädchen mit den braunen Stirnfransen. Der Staatschef stehe für Stabilität, für ihre sichere Zukunft. „Er ist seit 18 Jahren Präsident und Premier. Er weiß genau, was zu tun ist.“
»Russland mobilisiert sich in schwierigen Zeiten«, sagt der Pressesekretär des Wahlstabs. Putins Unterstützer treibt nicht Euphorie an, sondern Pragmatismus.
Auch Jelena Schmelewa, eine der drei Vorsitzenden von Putins Stab, führt die Prosperität an, wenn man sie nach ihrer Unterstützung fragt. Damit das Land auf Kurs bleibe, die Veränderungen nachhaltig seien, müsse Putin weiter an der Macht bleiben, sagt die Leiterin des Bildungszentrums Sirius in Sotschi, wo Kinder außerschulisch gefördert werden. Sirius war Putins Idee. Putins Unterstützern ist gemein, dass nicht die Euphorie sie antreibt, sondern Pragmatismus. Er ist Garant des Status quo und die Hoffnung auf seinen Fortbestand. Eine sichere Aktie, eine politische Lebensversicherung.
In SMS, die jetzt kursieren, wird an positive Entwicklungen der Putin-Ära erinnert: die Steigerung des Budgets, der Verteidigungsausgaben, der Löhne, der Goldreserven. Und es wird das undankbare Volk gemaßregelt, das diese Erfolge für selbstverständlich hält: „Ja, noch leben nicht alle gut, noch ist nicht alles getan, vieles bleibt zu tun, aber das ist kein Grund, einen Menschen zu verraten, der das Land aus dem Ruin gezogen hat“, heißt es in dem Text.
Die Message ist klar: Selbst wer nicht für Putin ist, kann nur schwer gegen ihn sein.