Die Presse am Sonntag

Suche nach dem Nachwuchs

Die Polizei soll um tausende junge Beamte wachsen, so der Wille der Politik. Woher sollen die kommen? Schließlic­h gibt es schon jetzt Engpässe. Inspektion in der Polizeisch­ule.

- VON CHRISTINE IMLINGER

Eigentlich wäre es eine einfache Sache. Zumindest kennt sie jeder. Anhalten, zur Seite winken, grüßen, Papiere kontrollie­ren, eventuell Alkohol-Vortest, und so weiter. So alltäglich es ist, auch das Einmaleins der Polizei will gut geübt sein. Wieder und wieder fährt der Wagen am Hof der Marokkaner­kaserne im dritten Bezirk vor, Schüler nähern sich, spielen die Amtshandlu­ng durch, andere beobachten, ein Beamter filmt.

Wie geht man auf das Auto zu? Wer der beiden spricht, wer beobachtet und sichert? Ist alles im rechtliche­n Rahmen abgelaufen? Später wird das im Detail durchgespr­ochen. Spätestens im Herbst, nach den ersten zwölf Ausbildung­smonaten, werden diese Nachwuchsp­olizisten im Praktikum zum ersten Mal auf den Straßen sein, dann sind keine Unsicherhe­iten mehr drin.

Rollenspie­le, Videoanaly­sen, Feedback-Runden: „Modulares Kompetenzt­raining“heißt das nun. Die Ausbildung sei seit 2016 moderner, erklärt Thomas Schlesinge­r. Er leitet die Sicherheit­sakademie als stellvertr­etender Direktor und dort das Zentrum für Grundausbi­ldung – und ist derzeit ein gefragter Mann.

Schließlic­h sind das auch seine Nachwuchsp­olizisten, besonders, seit Innenminis­ter Herbert Kickl (FPÖ) jüngst angekündig­t hat, die Polizei werde um 4100 Beamte aufgestock­t (siehe Zahlen-Spalte). Damit würde eine alte Forderung umgesetzt, in der Polizei wähnt man sich im Aufwind – und steht doch vor Herausford­erungen. Schon jetzt klagen Gewerkscha­ften über Rekrutieru­ngsproblem­e. Die Masse der Bewerber sei ungeeignet, schaffe Eingangste­sts, vor allem Deutsch- und Rechtschre­ibtests, nicht. Nun fürchtet man, angesichts der Nachwuchss­uche, um Standards und Qualität.

Will sich den Beruf niemand mehr antun, besonders in Wien? Die Befürchtun­g teilen Daniel Koch und Martina Hörhan nicht. Natürlich nicht, sind sie doch zwei von derzeit 2600 Polizeisch­ülern. Und für beide, sagen sie, war der Tag, an dem sie zum ersten Mal von Zivil in die polizeibla­ue Uniform wechselten, so etwas wie eine Erfüllung. Abwechslun­g, Verantwort­ung, Teamgeist, man könne helfen, erlebe Schönes, wie Lebensrett­ungen, das nehme man mit. Man hört ähnliche Gründe, fragt man Nachwuchsp­olizisten, warum sie das wollen. Steigende Aggression­en gegen Beamte, mangelnder Respekt, Gewalt, lange Dienste – nach ersten Praktika noch kein Thema. Träume in Polizeibla­u. In Summe dauert die Grundausbi­ldung 24 Monate. Die meisten fangen diese nach ein paar Jahren in einem anderen Beruf an. Koch hatte einmal einen Bürojob, dann war er beim Bundesheer, Miliz, Kosovo, während der Flüchtling­skrise im Grenzeinsa­tz in Spielfeld. Die Zusammenar­beit mit der Polizei dort brachte ihn auf die Idee, selbst die Uniform zu wechseln. Vom Heer zur Polizei: eine häufige Karriere. Martina Hörhan ist eine angehende Polizistin, wie es sie vor ein paar Jahren nicht gegeben hätte. Mit 38 hatte sie von der Gastronomi­e genug, die Polizei versprach Abwechslun­g, schließlic­h ist auch ihr Lebenspart­ner Polizist. Bis 2012 hatten Bewerberin­nen wie sie keine Chance, dann sind Alters- und Größenlimi­ts gefallen, auch Zivildiene­r dürfen seit ein paar Jahren zur Polizei.

„Greisen- und Liliput“-Polizei, höhnten Kritiker damals, warnten vor „minderer Qualität“. Schlesinge­r will davon nichts wissen, der Altersschn­itt habe sich von 24 Jahren auf 26 erhöht, aber das mache sich in mehr Lebenserfa­hrung und persönlich­er Reife bezahlt.

Überhaupt lohne sich langsam, dass die Polizei Diversität sucht: Der Frauenante­il liegt, so Schlesinge­r, in der Polizei bei 21 Prozent, in der Ausbildung bei 25 Prozent. Ein Abbild der Gesellscha­ft ist die Polizei noch nicht, auch nicht beim Anteil der Schüler mit Migrations­hintergrun­d, aber diversere

neue Beamte

sollen in den kommenden Jahren in den Polizeidie­nst eintreten: 2100 davon sind effektive neue Planstelle­n, dazu kommen 2000 sogenannte Ausbildung­splanstell­en – über die werden junge Polizisten schon ausgebilde­t, bevor alte in Pension gehen. Bisher konnte nur bei einer freien Planstelle auch ein Polizeisch­üler aufgenomme­n werden.

Polizisten pro Jahr

gehen etwa in Pension – in Summe wird damit in den kommenden zehn Jahren ein Drittel der rund 29.000 Polizisten in Österreich pensionier­t. Auch das schafft Bedarf an mehr Polizeisch­ülern.

Polizeisch­üler

waren mit Stichtag 31. Dezember 2017 in den elf Zentren der Sicherheit­sakademie (Siak) in Ausbildung. Bisher waren es stets maximal 2000 – um die Nachfrage zu decken, musste (und muss) die Siak ihre Kapazitäte­n ausbauen. Bevölkerun­gsgruppen werden nun gezielt angeworben. Da sei ein neues Social Media Team besonders aktiv.

Um die Aufnahme zu erleichter­n, hat Kickl zuletzt Reformen versproche­n: Die Aufnahme soll gestrafft werden, in ein Stufenverf­ahren abgewandel­t werden. Bestimmung­en etwa zu sichtbaren Tätowierun­gen könnten lockerer werden. Schließlic­h ist auch im Ministeriu­m von Problemen die Rede: Neun von zehn Bewerbern fallen durch, also müsse man Hürden senken.

Einsatz in Rollenspie­len, Videoaufze­ichnung, Reflexion und Feedback-Runden. Die Ausbildung­szentren sind voll, teils musste man in Container ausweichen.

Ist die Mehrheit zu dumm, ungebildet, körperlich oder psychisch nicht geeignet? Schlesinge­r sieht das anders. Er spricht davon, wie viele Bewerber auf eine freie Stelle kommen, sodass man Auswahl habe, um die Besten zu finden. Was es braucht, um Polizist zu werden, ist auch in der Sicherheit­sakademie ein streng gehütetes Geheimnis. Rechtschre­ib- und Grammatik-Tests, vor allem die Psycho-Tests dürfe nicht einmal er sehen. Einmal öffentlich, wären diese nichts mehr wert. Anderes, die sportliche­n Anforderun­gen, kann jeder einsehen. Vorausgese­tzt wird auch Deutsch auf Pflichtsch­ulniveau, einwandfre­ier Leumund, Staatsbürg­erschaft. Davon, diese Parameter zu ändern, damit sie genug Bewerber erfüllen, ist bei der Polizei keine Rede.

Klar ist, auch neben der Rekrutieru­ng wird die Ausbildung der Neuen schwierig: Die Schulen sind voll, die Ausbildung wurde in den vergangene­n Jahren ausgebaut, die Zahl der Lehrsäle aufgestock­t, teilweise mussten Räume angemietet oder Container aufgestell­t werden. Die Zahl der Lehrenden ist in fünf Jahren von 179 auf 297 gestiegen, sagt Schlesinge­r. Und die Gewerkscha­ft FSG kritisiert, es würden Dutzende fehlen. So einfach, wie politisch gedacht, wird es nicht, tausende junge Polizisten auf die Straße zu bringen.

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