Suche nach dem Nachwuchs
Die Polizei soll um tausende junge Beamte wachsen, so der Wille der Politik. Woher sollen die kommen? Schließlich gibt es schon jetzt Engpässe. Inspektion in der Polizeischule.
Eigentlich wäre es eine einfache Sache. Zumindest kennt sie jeder. Anhalten, zur Seite winken, grüßen, Papiere kontrollieren, eventuell Alkohol-Vortest, und so weiter. So alltäglich es ist, auch das Einmaleins der Polizei will gut geübt sein. Wieder und wieder fährt der Wagen am Hof der Marokkanerkaserne im dritten Bezirk vor, Schüler nähern sich, spielen die Amtshandlung durch, andere beobachten, ein Beamter filmt.
Wie geht man auf das Auto zu? Wer der beiden spricht, wer beobachtet und sichert? Ist alles im rechtlichen Rahmen abgelaufen? Später wird das im Detail durchgesprochen. Spätestens im Herbst, nach den ersten zwölf Ausbildungsmonaten, werden diese Nachwuchspolizisten im Praktikum zum ersten Mal auf den Straßen sein, dann sind keine Unsicherheiten mehr drin.
Rollenspiele, Videoanalysen, Feedback-Runden: „Modulares Kompetenztraining“heißt das nun. Die Ausbildung sei seit 2016 moderner, erklärt Thomas Schlesinger. Er leitet die Sicherheitsakademie als stellvertretender Direktor und dort das Zentrum für Grundausbildung – und ist derzeit ein gefragter Mann.
Schließlich sind das auch seine Nachwuchspolizisten, besonders, seit Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) jüngst angekündigt hat, die Polizei werde um 4100 Beamte aufgestockt (siehe Zahlen-Spalte). Damit würde eine alte Forderung umgesetzt, in der Polizei wähnt man sich im Aufwind – und steht doch vor Herausforderungen. Schon jetzt klagen Gewerkschaften über Rekrutierungsprobleme. Die Masse der Bewerber sei ungeeignet, schaffe Eingangstests, vor allem Deutsch- und Rechtschreibtests, nicht. Nun fürchtet man, angesichts der Nachwuchssuche, um Standards und Qualität.
Will sich den Beruf niemand mehr antun, besonders in Wien? Die Befürchtung teilen Daniel Koch und Martina Hörhan nicht. Natürlich nicht, sind sie doch zwei von derzeit 2600 Polizeischülern. Und für beide, sagen sie, war der Tag, an dem sie zum ersten Mal von Zivil in die polizeiblaue Uniform wechselten, so etwas wie eine Erfüllung. Abwechslung, Verantwortung, Teamgeist, man könne helfen, erlebe Schönes, wie Lebensrettungen, das nehme man mit. Man hört ähnliche Gründe, fragt man Nachwuchspolizisten, warum sie das wollen. Steigende Aggressionen gegen Beamte, mangelnder Respekt, Gewalt, lange Dienste – nach ersten Praktika noch kein Thema. Träume in Polizeiblau. In Summe dauert die Grundausbildung 24 Monate. Die meisten fangen diese nach ein paar Jahren in einem anderen Beruf an. Koch hatte einmal einen Bürojob, dann war er beim Bundesheer, Miliz, Kosovo, während der Flüchtlingskrise im Grenzeinsatz in Spielfeld. Die Zusammenarbeit mit der Polizei dort brachte ihn auf die Idee, selbst die Uniform zu wechseln. Vom Heer zur Polizei: eine häufige Karriere. Martina Hörhan ist eine angehende Polizistin, wie es sie vor ein paar Jahren nicht gegeben hätte. Mit 38 hatte sie von der Gastronomie genug, die Polizei versprach Abwechslung, schließlich ist auch ihr Lebenspartner Polizist. Bis 2012 hatten Bewerberinnen wie sie keine Chance, dann sind Alters- und Größenlimits gefallen, auch Zivildiener dürfen seit ein paar Jahren zur Polizei.
„Greisen- und Liliput“-Polizei, höhnten Kritiker damals, warnten vor „minderer Qualität“. Schlesinger will davon nichts wissen, der Altersschnitt habe sich von 24 Jahren auf 26 erhöht, aber das mache sich in mehr Lebenserfahrung und persönlicher Reife bezahlt.
Überhaupt lohne sich langsam, dass die Polizei Diversität sucht: Der Frauenanteil liegt, so Schlesinger, in der Polizei bei 21 Prozent, in der Ausbildung bei 25 Prozent. Ein Abbild der Gesellschaft ist die Polizei noch nicht, auch nicht beim Anteil der Schüler mit Migrationshintergrund, aber diversere
neue Beamte
sollen in den kommenden Jahren in den Polizeidienst eintreten: 2100 davon sind effektive neue Planstellen, dazu kommen 2000 sogenannte Ausbildungsplanstellen – über die werden junge Polizisten schon ausgebildet, bevor alte in Pension gehen. Bisher konnte nur bei einer freien Planstelle auch ein Polizeischüler aufgenommen werden.
Polizisten pro Jahr
gehen etwa in Pension – in Summe wird damit in den kommenden zehn Jahren ein Drittel der rund 29.000 Polizisten in Österreich pensioniert. Auch das schafft Bedarf an mehr Polizeischülern.
Polizeischüler
waren mit Stichtag 31. Dezember 2017 in den elf Zentren der Sicherheitsakademie (Siak) in Ausbildung. Bisher waren es stets maximal 2000 – um die Nachfrage zu decken, musste (und muss) die Siak ihre Kapazitäten ausbauen. Bevölkerungsgruppen werden nun gezielt angeworben. Da sei ein neues Social Media Team besonders aktiv.
Um die Aufnahme zu erleichtern, hat Kickl zuletzt Reformen versprochen: Die Aufnahme soll gestrafft werden, in ein Stufenverfahren abgewandelt werden. Bestimmungen etwa zu sichtbaren Tätowierungen könnten lockerer werden. Schließlich ist auch im Ministerium von Problemen die Rede: Neun von zehn Bewerbern fallen durch, also müsse man Hürden senken.
Einsatz in Rollenspielen, Videoaufzeichnung, Reflexion und Feedback-Runden. Die Ausbildungszentren sind voll, teils musste man in Container ausweichen.
Ist die Mehrheit zu dumm, ungebildet, körperlich oder psychisch nicht geeignet? Schlesinger sieht das anders. Er spricht davon, wie viele Bewerber auf eine freie Stelle kommen, sodass man Auswahl habe, um die Besten zu finden. Was es braucht, um Polizist zu werden, ist auch in der Sicherheitsakademie ein streng gehütetes Geheimnis. Rechtschreib- und Grammatik-Tests, vor allem die Psycho-Tests dürfe nicht einmal er sehen. Einmal öffentlich, wären diese nichts mehr wert. Anderes, die sportlichen Anforderungen, kann jeder einsehen. Vorausgesetzt wird auch Deutsch auf Pflichtschulniveau, einwandfreier Leumund, Staatsbürgerschaft. Davon, diese Parameter zu ändern, damit sie genug Bewerber erfüllen, ist bei der Polizei keine Rede.
Klar ist, auch neben der Rekrutierung wird die Ausbildung der Neuen schwierig: Die Schulen sind voll, die Ausbildung wurde in den vergangenen Jahren ausgebaut, die Zahl der Lehrsäle aufgestockt, teilweise mussten Räume angemietet oder Container aufgestellt werden. Die Zahl der Lehrenden ist in fünf Jahren von 179 auf 297 gestiegen, sagt Schlesinger. Und die Gewerkschaft FSG kritisiert, es würden Dutzende fehlen. So einfach, wie politisch gedacht, wird es nicht, tausende junge Polizisten auf die Straße zu bringen.