Die Presse am Sonntag

Im Kleinen zugleich das Große

Bonsai heißt frei übersetzt „Pflanze in der Schale“. Penjing hingegen formt ganze Landschaft­en in den flachen G efäßen aus, und das mitunter an unverhofft­en Orten.

- VON UTE WOLTRON

Am frühen Morgen, kurz nach Sonnenaufg­ang, pflegt der junge Likitt, Blumen zu gießen. Er ist einer dieser überschlan­ken Thais, neben denen sich jede halbwegs zierliche Mitteleuro­päerin wie eine Elefantenk­uh neben einer Gazelle vorkommt. Auf seinen blau verspiegel­ten Sonnenbril­len perlen Wassertröp­fchen. Sie werden bald verdunstet sein, es ist schon ziemlich heiß.

Wir befinden uns auf einer wenige Kilometer langen Insel im Golf von Thailand. Dschungelh­ügel, Kolibris an den Blüten, turnende Eichkätzch­en, dahinter weißer Sand und türkise Meereswell­en. Der Tourismus hat hier erst sanft Fuß gefasst, das soll auch so bleiben. Die Insel ist als Naturschut­zgebiet ausgewiese­n – und nein, fragen Sie erst gar nicht, wie sie heißt, ich habe versproche­n, es niemals zu verraten.

Likitt ist einer der wenigen in der Bucht, die ein paar Hütten am Meer vermieten. Seine Pflanzen zieht er in vielen Töpfen und Trögen unterschie­dlicher Größe. Bunte Arrangemen­ts säumen die Wege und Treppchen in solchen Mengen, dass gelegentli­ch das Gefühl aufkommen kann, man durchschre­ite eine kleine Gärtnerei. Unbemerkte Schätze. Die meisten Touristen bemerken nicht, an welchen Schätzen sie vorüberfla­nieren. Ihr Ziel ist das sandige Restaurant am Ende der Bucht, wo Deckenvent­ilatoren zumindest ein bisschen Kühle spenden. Nur manche bleiben in der Hitze doch stehen, nehmen sich die Zeit, um die Arrangemen­ts des 27-jährigen Thai genauer zu betrachten. Sie tun sozusagen einen Blick auf das Kleine im Großen, denn dieser Gedanke, bereits in der chinesisch­en Song-Dynastie (960– 1272) in Gedichten besungen, in Gemälden festgehalt­en, in Pflanzen zum Blühen gebracht, wird hier sichtbar: Likitt hat sich der Kunst des Penjing verschrieb­en, das bei uns in seiner japanische­n Variante als Bonsai bekannt ist.

Doch die chinesisch­e Ursprungsf­orm fasst das Thema etwas weiter. Bonsai heißt frei übersetzt „Pflanze in der Schale“. Penjing hingegen formt ganze Landschaft­en in den flachen Gefäßen aus. Vor etwa 2000 Jahren, genau weiß man es nicht, begannen chinesisch­e Gärtner Bäume in Gefäßen zu ziehen und sie sorgfältig über Jahre hinweg kunstvoll zu formen. Im Laufe der Jahrhunder­te entwickelt­en sich die verschiede­nsten Ausprägung­en dieser elaboriert­en Gartenkuns­t, die von den Japanern übernommen und in wieder eigenständ­iger Ausprägung zu Bonsai modifizier­t wurde. Likitt modelliert die meisten seiner Bäumchen und Sträucher wie die Chinesen zu lebenden Skulpturen und Miniaturla­ndschaften.

Er umwickelt Ästchen mit Drähten, verleiht ihnen hier eine gewisse Knorrigkei­t, lenkt sie da in eine Richtung. Er lässt besonders geformte Steine, die wie winzige Felsformat­ionen wirken, von Wurzeln umschlinge­n, als ob das oben sitzende Miniaturbä­umchen seit ewigen Zeiten damit befasst gewesen wäre, sich im Fels zu verankern. Geliebte Geschöpfe. Manche Schalen formt er aus angeschwem­mten, ausgehöhlt­en Korallenbl­öcken, andere aus Holz, die meisten sind klassische Steingut-, Töpfer- oder Porzellanw­aren. Wer nachfragt, bekommt detaillier­t Antwort, denn Likitt liebt seine Geschöpfe. Er verbringt täglich viele Stunden mit ihnen, jeweils am Morgen und am Abend. Jeder, der sich mit der Kunst der Abbildung des Großen im Kleinen befasse, meint er, mache das so.

Manche Bäumchen schauen uralt aus, mit verschlung­enen, verwittert­en und wie von zahllosen Stürmen zurechtges­chliffenen Stämmen. Wie geht sich das aus mit einem jugendlich­en Gärtner? Nach unseren westlichen Begriffen dauert es doch Jahrzehnte, bis ein ordentlich­er Bonsai entstanden ist? Seit wann er sich dem Bäumchensc­hnippeln widme, frage ich. Seit drei Jahren, meint er freundlich, und wenn ich mich der Mühe unterzöge, genau zu schauen, so könne ich bemerken, dass er die knorrigen Stämme mit neuen, geschickt entlanggel­eiteten Pflanzen wiederbele­bt habe. Gelernt im Netz. Tatsächlic­h! Ein erstaunlic­her Kerl, offensicht­lich extrem geschickt. Hat ja auch schon ein paar Preise für seine Pflanzen bekommen. Er habe viel Zeit, meint er, er liebe die Natur, den Gesang von Wellen und Vögeln. Oft sei er hier allein, nicht viele Freunde in der Gegend, man könne seine Zeit doch auch sinnloser vertrödeln.

Gelernt hat der Thai das BonsaiTrim­men und Penjing-Formen übrigens via YouTube. Dort gäbe es jede Menge Informatio­nen. Die Zeiten mischen sich in diesen Ausschnitt­en künstliche­r und doch naturnah wirkender Welten, an denen erst Blasse, dann Sonnenverb­rannte vorbeischl­apfen, immer andere, immer neue.

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Ute Woltron In Gefäßen gezogen, kunstvoll geformt.
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