Warum Amerika va banque spielt
Trumps Republikaner wagen ein riskantes Experiment: Mitten in der Hochkonjunktur befeuern sie die US-Wirtschaft mit massiver Neuverschuldung. Kann diese Rechnung aufgehen?
In Davos schwärmte Donald Trump von einem „großen, schönen Wasserfall“. Es ging aber nicht um die Schweizer Berge, sondern um seine Steuerreform. Diese lasse höhere Löhne auf amerikanische Arbeiter niederregnen, weil die Unternehmen die Steuerersparnis an sie weitergeben. Der US-Präsident träumt auch, wie sein Budgetentwurf diese Woche zeigte, von sieben goldenen Jahren mit märchenhaften Wachstumsraten von über drei Prozent, wie einst unter seinem Vorgänger Reagan.
So euphorisch sind nicht viele. Nach Trumps Rede trat IWF-Chefin Christine Lagarde ans Pult und nannte die US-Steuerreform eine der drei großen Risken für die Weltwirtschaft. Die Frage ist: Lässt sich in einer Epoche sinkenden Potenzials über so lange Zeit ein so starkes Wirtschaftswachstum schaffen? „Das ist ein Witz“, sagt Marc Goldwein vom neutralen „Komitee für ein verantwortungsvolles Budget“in Washington. Und spricht damit den meisten Prognostikern aus der Seele, wie jüngste Rundrufe zeigen.
Aber Trump muss seinen kühnen Optimismus einrechnen. Denn sonst würde das Defizit schon in der Planung des Weißen Hauses komplett aus dem Ruder laufen. Die Republikaner wagen ein höchst riskantes Experiment: Sie heizen mitten in der Hochkonjunktur, bei ausgelasteten Kapazitäten und einem fast leer gefegten Arbeitsmarkt, die Wirtschaft weiter an. Weniger Steuereinnahmen und die jüngst im Kongress beschlossenen Mehrausgaben treiben die Neuverschuldung 2019 wohl auf 1,2 Billionen Dollar oder 5,4 Prozent der Wirtschaftsleistung. So etwas hat es in den USA außer im Krieg und schweren Krisen noch nicht gegeben. Wohin führt „Trumponomics“?
Das Lehrbuch lehrt: Defizite darf es in schlechten Jahren geben. Keynesianer sind zudem überzeugt, dass der Staat gezielt die ausfallende private Nachfrage ersetzen soll. Aber selbst diese stärker staatsgläubigen Ökonomen sagen: In guten Jahren muss man den Haushalt wieder in Ordnung brin- gen und auf die Bremse steigen, um die Wirtschaft nicht zu überhitzen. Im Wahlkampf hatte auch Trump Einsparungen versprochen, jetzt aber brechen alle Dämme. Darüber stöhnen konservative ökonomische Berater. Hatten sie nicht den Republikanern erfolgreich eingeschärft, dass wachsende Schulden ein Teufelswerk sind?
Aber auch die linken, in den USA „liberal“genannten Volkswirte sind verwirrt. Endlich haben sie den Stimulus, den sie dauernd forderten. Aber sie können sich nicht freuen. Zu viel fließe an Militär und Kapitalbesitzer, zu wenig in Infrastruktur und Ausbildung. Vor allem aber komme der Schub zur Unzeit. „Es ist einer der seltenen Momente“, fürchtet Larry Summers, in dem die Fiskalpolitik „fast zur Gänze“verpufft. Der Ex-Obama-Berater sieht ein Verdrängen privater Aktivität, ein „Crowding-out“. Dass ausgerechnet ein Sprachrohr der „Liberals“diesen Kampfbegriff der Gegner im Mund führt, zeigt klar: Die Welt steht kopf. Strohfeuer-Szenario. Was aber müssen wir wirklich erwarten? Klar ist: Heuer wirkt der Impuls. Das ist kaum anders möglich, weil durch die Steuerreform die Kaufkraft zunimmt und die Firmen mehr Gewinn zu verteilen haben. Aber es kommt der Punkt, an dem die Arbeitslosigkeit nicht weiter sinken kann. Dann wird Arbeit knapp, die Löhne steigen stark, die Firmen wälzen ihre Mehrkosten auf die Preise ab. Das treibt die Inflation, die gewonnene Kaufkraft geht verloren. Die Notenbank muss die Zinsen aggressiver als geplant erhöhen. Werden Kredite teurer, erzielen Unternehmen weniger Gewinn und können weniger investieren. Auch private Haushalte müssen sich einbremsen. Das würgt das Wachstum ab. Dem Strohfeuer folgt 2019 ein Scherbenhaufen – mit viel zu hohen Schulden.
So plausibel das Szenario klingt: Es ist kein Naturgesetz. Vielleicht können die Firmen höhere Löhne nicht so leicht auf die Preise abwälzen – wenn ein scharfer Wettbewerb dafür sorgt, dass sie stattdessen ihre Margen, die durch die Steuerreform weiter gestiegen sind, reduzieren müssen. Dann hätte ausgerechnet der Milliardär Trump dafür gesorgt, dass sich die USEinkommen weniger ungleich verteilen. Die Republikaner setzen aber auf anderes: Es gehe nicht um die Nachfra-
Billionen Dollar
wird die Neuverschuldung der USA 2019 nach jüngsten Schätzungen von Morgan Stanley betragen. Das sind 5,4 Prozent der Wirtschaftsleistung.
Prozent
von 556 Firmen, die Goldman Sachs aktuell befragt hat, wollen die Ersparnisse aus der Steuerreform für höhere Dividenden und Aktienrückkäufe nutzen. Sehr viel weniger planen, zu investieren oder höhere Löhne zu zahlen. ge, sondern ums Angebot – das Potenzial der Volkswirtschaft weite sich aus und schaffe Platz für zusätzliches Wachstum. Zuerst auf dem Arbeitsmarkt: In der Krise verloren viele Amerikaner die Hoffnung auf einen einigermaßen gut bezahlten Job, meldeten sich nicht mehr im Arbeitsamt und fielen aus der Statistik. Jetzt sollen sie zurückkommen, die Beschäftigung steigern und so den Lohnanstieg dämpfen. Die Rückkehrer gibt es: Schon seit Ende 2015 wächst die Beschäftigung kräftig. Die Frage ist nur, wann sich diese Reservearmee erschöpft. Aber selbst wenn dann die Löhne stark steigen: Dann werden Firmen mehr investieren, sagen Optimisten. Modernste Maschinen und Roboter ersetzen teures Personal. Damit steige die Produktivität wieder stärker an, nach langer Flaute (siehe Seite 19). Und mehr Produktivität ist, wie jeder weiß, letztlich die einzige Quelle von nachhaltigem Wachstum.
Womöglich sorgt Milliardär Trump noch dafür, dass die Ungleichheit in den USA sinkt. Umfragen unter Unternehmen zeigen: Die Pessimisten dürften recht behalten.
Wer hat nun recht? Ein Indikator ist, was die Unternehmen als die großen Profiteure der Steuerreform mit dem Geldsegen anfangen. Hier gibt eine aktuelle Goldman-Sachs-Umfrage den Pessimisten recht: 43 Prozent der befragten Firmen wollen ihre Dividenden auffetten und Aktien rückkaufen. Jede fünfte will die zusätzlichen Mittel nutzen, um Konkurrenten zu schlucken. Nur 17 Prozent wollen damit produktiv investieren, gar nur 13 Prozent die Löhne erhöhen – freiwillig, also ohne Preisund Inflationsdruck, so wie Trump sich das vorstellt. Der schöne, große Wasserfall ist also eher ein Rinnsal.
Damit würde das Lehrbuch weiterhin gelten: Man kann das Wachstum einer Volkswirtschaft nicht längere Zeit über ihrem Potenzial halten. Und dieses Potenzial lässt sich in einer alternden Gesellschaft ohne echte technologische Durchbrüche nicht beliebig erweitern. Was bleibt, ist eine schwere Hypothek für die Zukunft: Früher oder später kommt es sicher wieder zu einer Rezession. Und dann fehlen dem hoch verschuldeten Staat die Mittel, um wirksam gegenzusteuern – der Wasserfall aus dem Feuerwehrschlauch.