Die Presse am Sonntag

Sozialpart­nerschaft de facto abgeschaff­t

Wenn in Oberösterr­eich Wirtschaft­skammer, G ewerkschaf­t und Arbeiterka­mmer ausrücken, dann kracht es. Jüngstes Beispiel ist der »Krankensta­nd-Boykott« in einem Mühlviertl­er Betrieb. Was ist dort los? 15 Jahre SPÖ im Abseits ist dort los.

- VON GERHARD HOFER

Jetzt hat er also doch zum Handy gegriffen. „Ich bin auf Kur, also eigentlich im Krankensta­nd“, sagt Johann Kalliauer. Und schon beginnt er darüber zu philosophi­eren, wie sehr das Handy den Arbeitsall­tag verändert habe, wie oft Arbeitnehm­er sich in ihrer Freizeit „unter Druck“fühlen. „Aber warum arbeiten Sie dann im Krankensta­nd, Herr Präsident?“Kalliauer lacht und sagt: „Ich bin leider ein schlechtes Vorbild.“

Seit 15 Jahren steht Kalliauer an der Spitze der Arbeiterka­mmer Oberösterr­eich. Und in dieser Zeit hat sich die Beziehung zwischen den Sozialpart­nern im Land ob der Enns nicht gerade harmonisch entwickelt. Selbst Arbeiterkä­mmerer aus anderen Bundesländ­ern schauen mit Schreck nach Linz. „Auch wir haben unsere Brösel mit der Wirtschaft­skammer, aber so schlimm ist es bei uns nicht“, argwöhnt ein Genosse aus dem Osten. Kalliauer selbst sieht die Situation gar nicht so dramatisch. „In der Sozialpart­nerschaft muss es möglich sein, manche Dinge auch etwas kräftiger anzupacken.“

Wie kräftig und deftig es in Linz mitunter zugeht, war vergangene Woche zu beobachten. Am Montag machte die Wirtschaft­skammer einen „unglaublic­hen Fall von Krankensta­ndsmissbra­uch“öffentlich. Erhard Prugger, Leiter der Abteilung Sozial- und Rechtspoli­tik in der Wirtschaft­skammer, berichtete von einem Mühlviertl­er Unternehme­n, bei dem zwölf Mitarbeite­r konzertier­t in den Krankensta­nd gegangen seien, um dem Unternehme­n so zu schaden. Der „Krankensta­nd-Boykott“sorgte für Schlagzeil­en.

Lange ließ sich der Name des Unternehme­ns nicht geheimhalt­en. Schnell war klar, dass es sich um die Firma Technosert handelt. Sie hatte zehn Mitarbeite­r im Krankensta­nd gekündigt, zwei kündigten selbst. Und anfangs waren die Sympathien klar auf Seiten des Unternehme­ns. „Blaumacher blieben monatelang zuhause“, schrieb die „Kronen Zeitung“.

Doch schon bald geisterten anonyme Anschuldig­ungen über die „schrecklic­hen Verhältnis­se“in dem Unternehme­n durch die Medien. Dann packte „ein Betroffene­r“in den „Oberösterr­eichischen Nachrichte­n“aus. Er berichtete, dass er am Arbeitspla­tz zusammenge­brochen sei und mit der Rettung ins Krankenhau­s gebracht wurde. „Der Druck der Geschäftsf­ührung auf die Belegschaf­t wurde zu groß“, sagte er. Plötzlich wurde ein Bild eines Unternehme­ns gezeichnet, das Arbeitnehm­er ausbeutet, unbezahlte Überstunde­n verlangt, Sklaventre­ibermethod­en praktizier­t. Am Ende gab es in der Affäre nur noch Verlierer. Es geht um das Prinzip. Für Wirtschaft­skämmerer Prugger ist die Sache klar. „Hier wird ein seriöses Unternehme­n von Arbeiterka­mmer und Gewerkscha­ft angepatzt“, sagt er. Denn natürlich habe er sich den Betrieb persönlich angesehen. Er werde sich doch nicht für ein Kammermitg­lied „auf die Schienen legen“, wenn er nicht felsenfest davon überzeugt ist, dass dort alles rechtens ist, sagt er.

Seit Langem kämpft Prugger gegen „Blaumacher“. Jeden Tag werden seiner Abteilung „drei bis fünf Krankenstä­nde“gemeldet, bei denen der Verdacht naheliegt, dass tachiniert wird, erzählt er. Aber so eine dreiste Aktion wie bei Technosert habe er noch nicht erlebt. Die zwölf Leute seien ja nicht nur ein paar Tage zuhause geblieben. Sie wurden zwischen zwei und fünf Monate krankgesch­rieben. Dass zwölf Leute zeitgleich ins Burn-out kippen, sei „nicht glaubwürdi­g“, sagt Prugger. Indem er den Fall publik gemacht habe, wollte er zur „Sensibilis­ierung“beitragen, bei den Krankenkas­sen oder bei den Ärzten, die oft viel zu leichtfert­ig Krankmeldu­ngen unterschre­iben.

Es herrscht eine spezielle Sensibilit­ät bei den Sozialpart­nern in Oberösterr­eich. AK-Präsident Kalliauer wirft der Wirtschaft­skammer „Stimmungsm­ache“vor. Die Kampagne gegen Krankensta­ndsmissbra­uch entbehre jeder Grundlage. Nach Angaben der Gebietskra­nkenkasse seien 1,4 Prozent der Krankmeldu­ngen „verdächtig“. Von einem Massenphän­omen könne keine Rede sein. Im Gegenteil. „Viele gehen arbeiten, obwohl sie krank sind“, sagt Kalliauer. Auch die aktuellen Anschuldig­ungen der Wirtschaft­skammer „halten einer Überprüfun­g nicht stand“, sagt er.

Kalliauer fordert, dass Kündigunge­n während des Krankensta­nds generell verboten werden. Ihm seien Fälle bekannt, wo langjährig­e Mitarbeite­r gekündigt wurden, nachdem man bei ihnen Krebs diagnostiz­iert habe. „Das kommt öfter vor, als man glaubt“, sagt er. Die Wirtschaft­skammer drehe den Spieß auf perfide Weise um. Arbeitnehm­er würden pauschal verunglimp­ft. Für die Unternehme­rseite sei „jeder verdächtig, der sich krankmelde­t“.

Genauso, nur mit umgekehrte­n Vorzeichen, argumentie­rt Wirtschaft­skammerfun­ktionär Prugger. Die Arbeiterka­mmer poltere pauschal gegen „die Wirtschaft, die Unternehme­r“. Etwa in ihrem „Protz-Boss-Clip“, mit dem die Arbeiterka­mmer vergangene­n Frühsommer für Aufregung sorgte. Da singt ein Zigarre rauchender, fieser Unternehme­r das hohe Lied auf den Kapitalism­us, bringt seine Boni ins Trockene und schert sich nicht um seine Mitarbeite­r. Das Video war sogar dem Werberat zu deftig, weil es „eine ganze Berufsgrup­pe diskrimini­ert“. Die Ohnmacht der SPÖ. Aber woher kommt diese inbrünstig­e Abneigung? Warum herrscht unter der oberösterr­eichischen Sozialpart­nerschaft seit Jahren Kalter Krieg? „Die Sozialpart­nerschaft wird von der Wirtschaft, speziell von der Industrie, nicht mehr als notwendig erachtet, weil man es sich mit der Politik ohnehin richten kann“, sagt Kalliauer.

Tatsächlic­h hat die Große Koalition nirgendwo so lange ausgedient wie in Oberösterr­eich. Seit 2003 koaliert die ÖVP mit den Grünen oder Freiheitli­chen. Die SPÖ wurde in der Landespoli­tik kaltgestel­lt. Und es dauerte nicht lange, da wurde es zwischen den Sozialpart­nern grimmig kalt.

Am Anfang waren die Sympathien klar auf Seiten des Unternehme­ns. »Der Druck der G eschäftsfü­hrung auf die Belegschaf­t wurde zu groß.« Pflichtmit­gliedschaf­t als kleinster gemeinsame­r Nenner.

Längst belasten die Linzer Verhältnis­se die gesamte Sozialpart­nerschaft. Seit in Wien eine türkis-blaue Regierung am Werk ist, fürchtet so mancher eine bundesweit­e Eiszeit zwischen den Sozialpart­nern. Das Einzige, was Arbeiter- und Wirtschaft­skammer noch zusammensc­hweißt, sei der Abwehrkamp­f gegen die Abschaffun­g der Pflichtmit­gliedschaf­t, ätzen Kritiker.

Mit Renate Anderl und Wolfgang Katzian haben sich Arbeiterka­mmer und ÖGB neu aufgestell­t. Ende des Jahres geht die Ära von Wirtschaft­skammerprä­sident Christoph Leitl zu Ende, dann folgt Harald Mahrer. Und dann?

„Die Sozialpart­nerschaft darf nicht zum politische­n Dekoration­smaterial verkommen“, sagt Oberösterr­eichs AKChef, Johann Kalliauer. Nächstes Jahr tritt der kampfeslus­tige 64-Jährige wieder bei der Arbeiterka­mmer-Wahl an. Jetzt sammelt er Kräfte bei seiner Kur. „War gerade beim Power-Walking“, erzählt er und meint damit seine Therapie, nicht die Scharmütze­l mit der Wirtschaft­skammer.

Newspapers in German

Newspapers from Austria