Der Fortschritt bringt kein Wachstum mehr
Roboter und künstliche Intelligenz sollen 2030 die Hälfte des Wirtschaftswachstums liefern. In Österreich trägt der technologische Fortschritt aber seit Jahren nicht mehr zum Wachstum bei. Schuld sind auch die Sparmeister in den Chefetagen.
Der Method 2 war der große Star der letztjährigen Robotermessen. Selbst AmazonGründer Jeff Bezos ließ es sich nicht nehmen, in den vier Meter hohen und 1,5 Tonnen schweren Koloss aus Elektronik und Stahl zu schlüpfen und den Roboter ein paar Schritte zu lenken. Schließlich gibt es kaum ein Bild, das deutlicher sagt: Die Zukunft ist da – und ich sitze am Steuer.
Aber auch für Durchschnittsmenschen rückt die digitale Zukunft langsam näher. Selbstfahrende Autos, elektronische Kollegen im Büro, smarte Assistenten in Smartphone und Küchengeräten. Bis 2030 soll jeder zweite Euro, der global verdient wird, einer künstlichen Intelligenz zu verdanken sein, erwartet die Beratungsgesellschaft Pricewaterhouse Coopers.
Klassische Ökonomen sind deutlich skeptischer. Denn sie beobachten seit Jahren einen besorgniserregenden Trend: Obwohl die Digitalisierung das Leben der Menschen stärker und stärker durchdringt, bringt das kaum positive Effekte auf das Wirtschaftswachstum. Den momentanen Aufschwung erklären sie in erster Linie damit, dass mehr Menschen arbeiten und die Unternehmen eine Dekade nach der Krise langsam von der Investitionsbremse steigen. Natürlich wächst die Wirtschaft, wenn mehr Menschen Güter erzeugen und verkaufen. Natürlich wächst sie schneller, wenn Firmen endlich wieder damit beginnen, ihre alten Anlagen zu modernisieren und neue Werke zu errichten. Den Teil des Wachstums, der damit nicht erklärt werden kann, schreiben die Volkswirte üblicherweise der „Totalen Faktorproduktivität“zu. Diese Kenngröße steht für das Tempo des technologischen Fortschritts und seinen Einfluss auf das Produktivitäts- und Wirtschaftswachstum. Und genau hier tun sich seit einiger Zeit regelrechte Abgründe auf. Nullwachstum in Österreich. Die große Ära des technologisch getriebenen Wachstums ist längst vorüber. In den Jahrzehnten bis zu den späten 1970ern galt der Fortschritt noch als der große Beschleuniger des ökonomischen Wohlstands. Kein Wunder, mussten doch Flugzeuge, Raumschiffe und Computer noch von Grund auf erfunden werden. Doch schon vor 30 Jahren sagte der US-amerikanische Wachstumsökonom Robert Solow: „Die Computer sieht man überall, nur nicht in der Produktivitätsstatistik.“
Seit dieser Einsicht hat sich die Lage allerdings weiter verschlimmert. Während einige asiatische Länder wie Südkorea, im Übrigen die Heimat von Method 2, den Fortschritt gut in Wachstum ummünzen können, erlebten die meisten westlichen Industriestaaten hierbei einen deutlichen Einbruch. Entsprechend groß sind die Sorgen mancher Ökonomen, woher künftiges Wachstum kommen soll, wenn das Strohfeuer von heute erloschen ist. Österreich sei von dieser Entwicklung noch einmal stärker betroffen als die meisten vergleichbaren Staaten, sagt Klaus Weyerstraß, Ökonom am Institut für Höhere Studien (IHS) in Wien. „Seit sechs Jahren ist der Beitrag des Fortschritts zum Wachstum in Österreich vollkommen verschwunden“, sagt er (siehe Grafik). Sparen oder wachsen. Die Suche nach den Ursachen dieser Österreich-spezifischen Wachstumsschwäche ist kompliziert. Denn die Grundvoraussetzungen des Landes sind an sich gut, so der Ökonom. Österreich ist eine offene Volkswirtschaft mit gut ausgebildeten Beschäftigten. Und auch da, wo das Land vor wenigen Jahren noch im Hintertreffen lag, hat es sich sehr gut entwickelt. So stieg die Forschungsquote, also der Anteil der Forschungsausgaben an der Wirtschaftsleistung, zwischen 1995 und 2015 von 1,5 auf fast drei Prozent. Damit überholt Österreich nicht nur den EU-Schnitt, sondern auch Deutschland und die USA. Aber warum schaffen es die heimischen Unternehmen nicht, dies in zählbaren wirtschaftlichen Erfolg zu verwandeln?
Einen Erklärungsansatz aus der Praxis bietet Dorothee Ritz, ÖsterreichChefin des amerikanischen IT-Konzerns Microsoft. Sie ist davon überzeugt, dass die heimischen Firmen die falschen Prioritäten setzen: „In Österreich verwenden die Unternehmen die Fortschritte durch die Digitalisierung vor allem dazu, bei den eigenen Kosten zu sparen“, erklärt die Managerin. „Da müssen wir uns nicht wundern, dass daraus kein zusätzliches Wachstum generiert wird.“Soll sich dies ändern, müsse künftig die Suche nach neuen Geschäftsfeldern und Unternehmensideen stärker im Vordergrund stehen. Die Zombie-Firmen und der Staat. Ihre These findet auch auf globaler Ebene prominente Unterstützer. So kommen die Ökonomen des Internationalen Währungsfonds (IWF) in ihren Analysen zu dem Schluss, dass der Spardrang der meisten Unternehmen seit der Finanzkrise den Wachstumsschub durch den technologischen Fortschritt ausgebremst hat. Warum dieser Wachstumsschub aber schon in den Jahren davor zu schwächeln begonnen hat, erklärt das nicht.
IHS-Ökonom Klaus Weyerstraß führt auch eine gesellschaftliche Entwicklung als Erklärung an: Gerade in den westlichen Industrienationen arbeiten immer weniger Menschen in der Industrie, jenem Wirtschaftssektor, der historisch die größten Produktivitätssprünge garantiert hat. Stattdessen boomen der Dienstleistungssektor und die Kreativwirtschaft, wo kaum sprunghafte Fortschritte möglich sind. In Österreich drücke zudem der hohe Einfluss des Staates auf die Wirtschaft auf das Wachstum.
Für die globale Wachstumsschwäche gibt es aber mehr Theorien. Die OECD glaubt etwa daran, dass nur ein kleiner Prozentsatz aller Unternehmen überhaupt noch nennenswerte Produktivitätssteigerungen vorweisen Wachstumsgewinne durch technologischen Fortschritt kann. Die große Masse baue sukzessive ab. Den Grund dafür sehen die OECDÖkonomen in sogenannten ZombieFirmen, unproduktiven Betrieben am Rande des Kollaps, die nur durch andauernde Kredite überleben können. In ihrem Überlebenskampf binden sie Geld und Arbeitnehmer an sich, die andernorts produktiver eingesetzt werden könnten. Keine Ideen mehr. Und dann gibt es noch den US-Ökonomen Robert Gordon, der in seinem Buch „The Rise and Fall of American Growth“die These vertritt, das der Menschheit schlichtweg die großen Ideen ausgegangen sind, mit denen sie die Wirtschaft wirklich anschieben könnte. Er hält die große Stagnation für unausweichlich, solange die Menschen nicht mehr schaffen, als noch schickere Smartphones und noch leisere Kühlschränke und Autos zu bauen. Nicht, dass es an visionären Unternehmern wie dem TeslaBauer und privaten Weltraumpionier Elon Musk mangle. Was (auch ihnen) noch fehlt, ist der wirklich große Durchbruch.
Klaus Weyerstraß will Gordon aber nicht gänzlich folgen. Auch in Österreich gebe es viele innovative Ideen und Patente, mit denen sich die Wirtschaft umkrempeln lasse. „Es hapert bei der Verwertung dieses Wissens“, sagt er. Es gelinge hierzulande einfach nicht, die guten Forschungsergebnisse produktivitätssteigernd in der Wirtschaft einzusetzen.
Ein Patentrezept, wie dies rasch zu ändern wäre, hat er nicht. Natürlich müsse die Gründung von Unternehmen erleichtert werden, mehr Wissenschaftler direkt von der Universität auf den Markt gedrängt werden. Aber auch davon redet man in Österreich schon lang. Zumindest die vergangenen Monate lassen hoffen: Das Produktivitätswachstum im Land legt wieder etwas an Tempo zu – und auch der Fortschritt trägt wieder ein wenig dazu bei. Die Prognose, damit die Hälfte aller Gewinne zu erwirtschaften, bleibt dennoch weit außer Griffweite. Aber bis 2030 ist ja auch noch ein wenig Zeit.
»Die Computer sieht man überall, nur nicht in der Produktivitätsstatistik.« »Österreichs Unternehmen nutzen den Fortschritt vor allem dazu, Kosten zu sparen.«