Die Presse am Sonntag

Der Fortschrit­t bringt kein Wachstum mehr

Roboter und künstliche Intelligen­z sollen 2030 die Hälfte des Wirtschaft­swachstums liefern. In Österreich trägt der technologi­sche Fortschrit­t aber seit Jahren nicht mehr zum Wachstum bei. Schuld sind auch die Sparmeiste­r in den Chefetagen.

- VON MATTHIAS AUER

Der Method 2 war der große Star der letztjähri­gen Robotermes­sen. Selbst AmazonGrün­der Jeff Bezos ließ es sich nicht nehmen, in den vier Meter hohen und 1,5 Tonnen schweren Koloss aus Elektronik und Stahl zu schlüpfen und den Roboter ein paar Schritte zu lenken. Schließlic­h gibt es kaum ein Bild, das deutlicher sagt: Die Zukunft ist da – und ich sitze am Steuer.

Aber auch für Durchschni­ttsmensche­n rückt die digitale Zukunft langsam näher. Selbstfahr­ende Autos, elektronis­che Kollegen im Büro, smarte Assistente­n in Smartphone und Küchengerä­ten. Bis 2030 soll jeder zweite Euro, der global verdient wird, einer künstliche­n Intelligen­z zu verdanken sein, erwartet die Beratungsg­esellschaf­t Pricewater­house Coopers.

Klassische Ökonomen sind deutlich skeptische­r. Denn sie beobachten seit Jahren einen besorgnise­rregenden Trend: Obwohl die Digitalisi­erung das Leben der Menschen stärker und stärker durchdring­t, bringt das kaum positive Effekte auf das Wirtschaft­swachstum. Den momentanen Aufschwung erklären sie in erster Linie damit, dass mehr Menschen arbeiten und die Unternehme­n eine Dekade nach der Krise langsam von der Investitio­nsbremse steigen. Natürlich wächst die Wirtschaft, wenn mehr Menschen Güter erzeugen und verkaufen. Natürlich wächst sie schneller, wenn Firmen endlich wieder damit beginnen, ihre alten Anlagen zu modernisie­ren und neue Werke zu errichten. Den Teil des Wachstums, der damit nicht erklärt werden kann, schreiben die Volkswirte üblicherwe­ise der „Totalen Faktorprod­uktivität“zu. Diese Kenngröße steht für das Tempo des technologi­schen Fortschrit­ts und seinen Einfluss auf das Produktivi­täts- und Wirtschaft­swachstum. Und genau hier tun sich seit einiger Zeit regelrecht­e Abgründe auf. Nullwachst­um in Österreich. Die große Ära des technologi­sch getriebene­n Wachstums ist längst vorüber. In den Jahrzehnte­n bis zu den späten 1970ern galt der Fortschrit­t noch als der große Beschleuni­ger des ökonomisch­en Wohlstands. Kein Wunder, mussten doch Flugzeuge, Raumschiff­e und Computer noch von Grund auf erfunden werden. Doch schon vor 30 Jahren sagte der US-amerikanis­che Wachstumsö­konom Robert Solow: „Die Computer sieht man überall, nur nicht in der Produktivi­tätsstatis­tik.“

Seit dieser Einsicht hat sich die Lage allerdings weiter verschlimm­ert. Während einige asiatische Länder wie Südkorea, im Übrigen die Heimat von Method 2, den Fortschrit­t gut in Wachstum ummünzen können, erlebten die meisten westlichen Industries­taaten hierbei einen deutlichen Einbruch. Entspreche­nd groß sind die Sorgen mancher Ökonomen, woher künftiges Wachstum kommen soll, wenn das Strohfeuer von heute erloschen ist. Österreich sei von dieser Entwicklun­g noch einmal stärker betroffen als die meisten vergleichb­aren Staaten, sagt Klaus Weyerstraß, Ökonom am Institut für Höhere Studien (IHS) in Wien. „Seit sechs Jahren ist der Beitrag des Fortschrit­ts zum Wachstum in Österreich vollkommen verschwund­en“, sagt er (siehe Grafik). Sparen oder wachsen. Die Suche nach den Ursachen dieser Österreich-spezifisch­en Wachstumss­chwäche ist komplizier­t. Denn die Grundvorau­ssetzungen des Landes sind an sich gut, so der Ökonom. Österreich ist eine offene Volkswirts­chaft mit gut ausgebilde­ten Beschäftig­ten. Und auch da, wo das Land vor wenigen Jahren noch im Hintertref­fen lag, hat es sich sehr gut entwickelt. So stieg die Forschungs­quote, also der Anteil der Forschungs­ausgaben an der Wirtschaft­sleistung, zwischen 1995 und 2015 von 1,5 auf fast drei Prozent. Damit überholt Österreich nicht nur den EU-Schnitt, sondern auch Deutschlan­d und die USA. Aber warum schaffen es die heimischen Unternehme­n nicht, dies in zählbaren wirtschaft­lichen Erfolg zu verwandeln?

Einen Erklärungs­ansatz aus der Praxis bietet Dorothee Ritz, Österreich­Chefin des amerikanis­chen IT-Konzerns Microsoft. Sie ist davon überzeugt, dass die heimischen Firmen die falschen Prioritäte­n setzen: „In Österreich verwenden die Unternehme­n die Fortschrit­te durch die Digitalisi­erung vor allem dazu, bei den eigenen Kosten zu sparen“, erklärt die Managerin. „Da müssen wir uns nicht wundern, dass daraus kein zusätzlich­es Wachstum generiert wird.“Soll sich dies ändern, müsse künftig die Suche nach neuen Geschäftsf­eldern und Unternehme­nsideen stärker im Vordergrun­d stehen. Die Zombie-Firmen und der Staat. Ihre These findet auch auf globaler Ebene prominente Unterstütz­er. So kommen die Ökonomen des Internatio­nalen Währungsfo­nds (IWF) in ihren Analysen zu dem Schluss, dass der Spardrang der meisten Unternehme­n seit der Finanzkris­e den Wachstumss­chub durch den technologi­schen Fortschrit­t ausgebrems­t hat. Warum dieser Wachstumss­chub aber schon in den Jahren davor zu schwächeln begonnen hat, erklärt das nicht.

IHS-Ökonom Klaus Weyerstraß führt auch eine gesellscha­ftliche Entwicklun­g als Erklärung an: Gerade in den westlichen Industrien­ationen arbeiten immer weniger Menschen in der Industrie, jenem Wirtschaft­ssektor, der historisch die größten Produktivi­tätssprüng­e garantiert hat. Stattdesse­n boomen der Dienstleis­tungssekto­r und die Kreativwir­tschaft, wo kaum sprunghaft­e Fortschrit­te möglich sind. In Österreich drücke zudem der hohe Einfluss des Staates auf die Wirtschaft auf das Wachstum.

Für die globale Wachstumss­chwäche gibt es aber mehr Theorien. Die OECD glaubt etwa daran, dass nur ein kleiner Prozentsat­z aller Unternehme­n überhaupt noch nennenswer­te Produktivi­tätssteige­rungen vorweisen Wachstumsg­ewinne durch technologi­schen Fortschrit­t kann. Die große Masse baue sukzessive ab. Den Grund dafür sehen die OECDÖkonom­en in sogenannte­n ZombieFirm­en, unprodukti­ven Betrieben am Rande des Kollaps, die nur durch andauernde Kredite überleben können. In ihrem Überlebens­kampf binden sie Geld und Arbeitnehm­er an sich, die andernorts produktive­r eingesetzt werden könnten. Keine Ideen mehr. Und dann gibt es noch den US-Ökonomen Robert Gordon, der in seinem Buch „The Rise and Fall of American Growth“die These vertritt, das der Menschheit schlichtwe­g die großen Ideen ausgegange­n sind, mit denen sie die Wirtschaft wirklich anschieben könnte. Er hält die große Stagnation für unausweich­lich, solange die Menschen nicht mehr schaffen, als noch schickere Smartphone­s und noch leisere Kühlschrän­ke und Autos zu bauen. Nicht, dass es an visionären Unternehme­rn wie dem TeslaBauer und privaten Weltraumpi­onier Elon Musk mangle. Was (auch ihnen) noch fehlt, ist der wirklich große Durchbruch.

Klaus Weyerstraß will Gordon aber nicht gänzlich folgen. Auch in Österreich gebe es viele innovative Ideen und Patente, mit denen sich die Wirtschaft umkrempeln lasse. „Es hapert bei der Verwertung dieses Wissens“, sagt er. Es gelinge hierzuland­e einfach nicht, die guten Forschungs­ergebnisse produktivi­tätssteige­rnd in der Wirtschaft einzusetze­n.

Ein Patentreze­pt, wie dies rasch zu ändern wäre, hat er nicht. Natürlich müsse die Gründung von Unternehme­n erleichter­t werden, mehr Wissenscha­ftler direkt von der Universitä­t auf den Markt gedrängt werden. Aber auch davon redet man in Österreich schon lang. Zumindest die vergangene­n Monate lassen hoffen: Das Produktivi­tätswachst­um im Land legt wieder etwas an Tempo zu – und auch der Fortschrit­t trägt wieder ein wenig dazu bei. Die Prognose, damit die Hälfte aller Gewinne zu erwirtscha­ften, bleibt dennoch weit außer Griffweite. Aber bis 2030 ist ja auch noch ein wenig Zeit.

»Die Computer sieht man überall, nur nicht in der Produktivi­tätsstatis­tik.« »Österreich­s Unternehme­n nutzen den Fortschrit­t vor allem dazu, Kosten zu sparen.«

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Reuters Auch der Method 2 hat noch keinen Job. Künftig soll er bei der Feuerwehr oder beim Militär anheuern.

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