Tequila-Krise: Geht uns der Schnaps aus?
Vom Exporterfolg des Nationalgetränks überrascht, haben Mexikos Bauern viel zu wenig Agaven gepflanzt. Der Preis der langsam wachsenden Pflanze hat sich in zwei Jahren versechsfacht. Das macht sie auch für die Drogenmafia attraktiv.
Was bedeutet Glück? Wenn dir „an einem einzigen Tag sowohl ein Kuss als auch ein Tequila“zuteil wird, singt der populäre mexikanische Liedermacher Jose´ Alfredo Jimenez.´ Nun mögen manche meinen: „Sollen sie nur, die Mexikaner, aber Glück ist etwas anderes“. Solche Banausen verbinden mit dem Schnaps aus dem Hochland von Jalisco nur ein schrecklich scharfes Gebräu, das niemand ohne den neutralisierenden Geschmack von Zitrone und Salz durch die Kehle kriegt und dessen Konsum wir am nächsten Morgen bitter bereuen. Ihnen sei gesagt: Sie sind nicht auf der Höhe der Zeit.
Das Destillat aus dem Herzen der blauen Agave hat einen internationalen Siegeszug angetreten, feiert einen Exporterfolg nach dem anderen – und ist doch das Nationalgetränk Mexikos geblieben. Es gehört zu dem mittelamerikanischen Land wie MariachiCombos und breitkrempige Sombreros. Als 1994 die mexikanische Regierung nicht mehr in der Lage war, den Peso an den Dollar zu koppeln, und die Volkswirtschaft in schwerste Turbulenzen geriet, sprach alle Welt nur von der Tequila-Krise. Der Brand ist immer präsent, in glücklichen wie in schweren Zeiten. Nun aber gibt es eine kuriose Krise, in der sich tatsächlich alles um den Tequila dreht. Vorab ihr noch unvergorener Sukkus: Der unerwartete Erfolg droht dem Getränk zum Verhängnis zu werden. Es wird knapp, es wird wohl teurer, und damit in seiner traditionellen Form als studentischer Billigfusel nicht mehr kompetitiv. Was den Genuss seiner stark veredelten Varianten für die „Happy Few“aber keineswegs trüben sollte.
Schuld an der aktuellen Misere ist die Agave azul tequilana, nach ihrem botanischen Erstbeschreiber auch Weber genannt. Dieser Strauch hat eine für Landwirte lästige Eigenschaft: Sein saftig-süßes Herz, das 50 bis 90 Kilo wiegt und dessen Zucker die Basis für den Tequila liefert, wächst nur sehr langsam. Es braucht sieben bis neun Jahre, bis es reif ist und geerntet werden kann. Das Angebot lässt sich also nicht auf die Schnelle an eine sich ändernde Nachfrage anpassen, was bei rasch wachsenden Nutzpflanzen wie Mais oder Zuckerrohr problemlos möglich ist. Die Landwirte und die Schnapsbrenner mussten also schon ab 2009 abschätzen, wie viel sie wohl heute verkaufen können – und verschätzten sich dabei grob. Neue Nutzungsfelder. Der Boom war damals auch am Horizont nicht abzusehen: Die Exporte der Spirituose stagnierten. In ihrer Heimat verlor sie Terrain an internationale Konkurrenten wie Whiskey und Wodka. Die Folge: Die Farmer pflanzten viel weniger, als heute gebraucht würde. Denn seitdem schießen die Exportzahlen in die Höhe, allein in den letzten beiden Jahren um je acht Prozent. Auch am Heimmarkt geht es wieder bergauf.
Dazu kommen neue Nutzungsfelder. Der Agavendicksaft hat sich zu einem beliebten Zuckerersatz entwickelt, der in keinem Naturkostladen fehlen darf. Die Nahrungsmittelindustrie schwört auf Inulin (nicht zu verwechseln mit dem Hormon Insulin), das ebenfalls aus der blauen Agave gewonnen wird. Es sorgt beim Joghurt fürs angenehme Gefühl im Mund und erhöht den Ballaststoffanteil in der Wurst. Die zusätzlichen Abnehmer für die Agavenernte schnappen sich schon ein Fünftel der Gesamtmenge. Man tritt sich am Markt kräftig auf die Füße.
Die Bauern ernten nun auch unreife, zarte Herzen. Aber da kommt nicht viel Saft heraus, und es verschlimmert den Engpass in der Zukunft.
Das alles hat dazu geführt, dass sich der Agavenpreis in den vergangenen zwei Jahren versechsfacht hat: Von 3,8 Pesos pro Kilo auf aktuell 23 Pesos (einen Euro) – das ist ein Rekord. Zwar unterliegt der Markt einem rund zehnjährigen Zyklus, man ist also an Höhen und Tiefen gewohnt, aber ein solches Niveau wurde bisher bei weitem noch nie erreicht.
Das weckt auch Begehrlichkeiten einer Branche, die man in Mexiko nie außer Acht lassen darf: die Drogenbanden. Sie haben ein neues Geschäftsfeld entdeckt. Nachts rollen sie mit großen Lastwägen an, reißen die reifen Sträucher aus und machen sich damit von dannen. 15.000 Pflanzen wurden 2017 gestohlen, dreimal so viel wie im Jahr davor. Um das Übel einzudämmen, hat man die Strafen für die Raubzüge drastisch verschärft, auf bis zu 15 Jahre Haft.
Was bedeutet das nun alles für den Tequila? Die Schmerzgrenze für die Massenproduktion des klaren Schnapses („blanco“) liegt bei einem Einkaufspreis von 12 Pesos pro Kilo Agave, also der Hälfte des aktuellen Preises. Damit könnten die Hersteller ihre internationalen Kontrakte nicht mehr erfüllen. Doch seltsam: Bis jetzt hält sich die Tequila-Inflation noch im Rahmen. Auch die Produktionsmengen der letzten zehn Jahre zeigen nicht die dramatische Zunahme wie bei den Verkäufen. Des Rätsels Lösung: Die Schnapsbrenner haben nach der Wirtschaftskrise von 2008 auf Lager produziert. Teils notgedrungen, weil sie höhere Verkäufe erwartet hatten, teils absichtlich, weil sie die in den Keller gefallenen Agavenpreise nutzten. Aber nun schmelzen diese Reserven, die jederzeit auf den Markt geworfen werden können, rapide dahin. Sie sind auch nicht gleichmäßig verteilt und bei einigen Destillerien schon aufgebraucht. Für den Weißen sieht man rot. Experten sagen deshalb für die nächsten Jahre eine arge Knappheit voraus. Der explodierende Agavenpreis wäre dafür ein vorauseilender Indikator. In ernsthafte Bedrängnis könnte dadurch der einfache weiße Tequila kommen. Er wird oft als „Mixto“-Verschnitt verkauft. Bei der Alkoholproduktion ist hier bis zur Hälfte normaler Rohrzucker erlaubt. Das Gebräu landet hoch konzentriert in Tanks, ein entfernter Abfüller streckt es dann mit Wasser. Wie die Beschreibung des Hergangs vermuten lässt, handelt es sich dabei um kein sehr edles Getränk. Wenn es sich deutlich verteuert, stellen sich Wirkungstrinker weltweit die Sinnfrage: Warum nicht einen anderen „Klaren“, der günstiger ist und genauso fröhlich macht? Aber das ist nur die eine, etwas schäbige Seite der Medaille. Tequila-Verkauf Lagerbestand Historisch war der Tequila immer ein Getränk der kleinen Leute. Die Ureinwohner der Westküstenprovinz Jalisco tranken den vergorenen Saft der blauen Agave, die dort auf der vulkanisch roten Erde üppig wächst. Noch heute ist er als „Pulque“bekannt und beliebt. Erst die spanischen Eroberer kamen auf die Idee, ihn zu destillieren. Die gesellschaftliche Wirkung dieser Innovation war offenbar verheerend, denn die Kolonialverwaltung musste den Trank alsbald verbieten. Ein Jahrhundert lang fristete er ein klandestines Dasein. Zum Sprung nach Amerika setzte der Tequila erst mit dem Zweiten Weltkrieg an. Treiber waren die beliebten Cocktails Margherita und Tequila Sunrise. Heute gehen über sieben von zehn Flaschen ins Ausland, und davon wiederum 80 Prozent in die USA, wofür die vielen dort lebenden Latinos sorgen.
Die Banden kommen in der Nacht mit Lastwagen und reißen reife Sträucher aus. Der Billigfusel gerät durch hohe Agavenpreise unter Druck, die Edelmarken nicht.
Ein folgenreicher Zufall. Aber dass sich das Image beträchtlich gewandelt hat, ist einem einzigen Mann zu verdanken: Julio Gonzalez.´ Der spätere Gründer der renommierten Marke „Don Julio“hatte als junger Händler in den 1940er-Jahren die ganz private Idee, Tequila in einem Eichenfass reifen zu lassen, um das Ergebnis irgendwann später mit seinen Freunden verkosten zu können. Erst in den 1980er-Jahren erinnerte er sich daran – und die Überraschung der Tafelrunde war groß: Der Jahrgangstequila erwies sich als erlesene Entdeckung, ebenbürtig einem alten Rum. Aus purem Zufall geboren, eröffneten die „Reposados“und „An˜ejos“weltweit ganz neue Käuferschichten im Qualitäts- und Luxussegment.
So sehr in Mode kam das veredelte Getränk, dass nun auch Berühmtheiten aus der Glitzerwelt von Film und Populärmusik ins Business einsteigen: George Clooney, Justin Timberlake und der Rapper Puff Daddy haben sich Marken gekauft oder selbst geschaffen.
Eine preisliche Kostprobe: Eine Flasche von Puff Daddys „DeLeon“´ in der Sorte Leona,´ zur Riserva gereift in Sauternes-Weinfässern, schlägt mit 850 Dollar zu Buche, ein Stamperl davon in der Bar mit 90 Dollar. Die Agavenkosten spielen ein wenig verrückt? Na und? Den Destillerien mit den klingenden Namen liegt solche Peso-Fuchserei ganz fern. Und deshalb gehört ihnen die Zukunft des Tequila.