Das letzte Jubiläum der Ingenieursmarke
Mit Lancia ließ der Fiat-Konzern eine der historisch bedeutendsten Automobilmarken langsam entschlafen. Wäre ein anderer Besitzer mit der Marke vielleicht glücklicher verfahren?
Nicht viele Automarken bringen es auf ein 100-jähriges Bestehen. Lancia feierte im Jahr 2006, aber bereits verhalten: Mit den Geschicken des seit 1969 zum Fiat-Konzern gehörenden Unternehmens stand es da schon nicht mehr zum Besten.
Man hatte das Gefühl, der einst glanzvollen Marke, die über so viele Jahrzehnte für Innovation und kluge, ästhetisch anspruchsvolle Lösungen stand, seien die Ideen ausgegangen. Oder sie fanden keinen Raum zur Verwirklichung. Nur ein Modell. Zehn Jahre später wurde praktisch das Ende der Marke erklärt: Lancia zog sich auf den italienischen Markt zurück, mit einem einzigen Modell im Angebot, dem Kleinwagen Ypsilon.
Bittere Tränen könnten Automobilenthusiasten über diesen Niedergang vergießen. 1906 von Vincenzo Lancia in Turin gegründet, ließ die Marke in ihrer Frühzeit mit jedem neuen Modell, traditionell nach Buchstaben des griechischen Alphabets benannt, eine Fülle von technischen Innovationen vom Stapel. Ob selbsttragende Karosserie, Sechszylinder in V-Bauweise oder beleuchtete Instrumente – Lancia prägte die Entwicklung des Automobils wie sonst nur wenige andere Hersteller.
Dasselbe gilt wohl auch für den Rallye-Sport – mit brutaler Konsequenz (und bereits Fiat-Geld im Hintergrund) beschritt Lancia neue Wege, indem man mit dem Stratos erstmals ein Fahrzeug rein für den Zweck erschuf. Preis des Unterfangens: Einige Hundert Stück des Autos für die Straße, um den Homologationsvorschriften (internationale Regeln für die Zulassung von Fahrzeugen und Fahrzeugteilen) zu entsprechen. Was heute zu den wertvollsten Modellen in hochkarätigen Sammlungen zählt, war in den frühen 1970er-Jahren nicht leicht oder gar Stilistisch herausragend – und ohne Nachfolger: Lancia Thesis, 2002 bis 2009. profitabel an den Mann zu bringen. Es folgte in der Spielart der Lancia 037.
Dass die großen Marken – Alfa, Ferrari, Lancia – bei Fiat landeten, ist zuvorderst Italiens Industriepolitik zuzuschreiben. Denn am in die Krise geratenen Hersteller Lancia waren BMW und Mercedes intensiv interessiert. Mittel und Fantasie. Mit dem Aufstieg von Volkswagen zum Global Player kam später ein weiterer Konzern ins Spiel, dem die Mittel und die Fantasie für eine gedeihliche Übernahme zuzutrauen gewesen wären. Ferdinand Piech¨ hatte seinen langen visionären Atem nicht zuletzt bei Bentley und Bugatti unter Beweis gestellt. BMW wiederum nährte Rolls-Royce zur überragenden Kühlerfigur des Überdrüber-Segments und verschaffte Mini ein new life. Der indische Tata-Konzern verfährt äußerst erfolgreich mit Jaguar und Landrover. Sogar die Chinesen haben Volvo wieder fein in Schwung gebracht. Vieles wäre also denkbar gewesen für Lancia.
Doch was sich schließlich zum FiatChrysler-Konzern entwickelte, zeigte unter Sergio Marchionnes Führung wenig Feinfühligkeit im Umgang mit dem stolzen Erbe der Marke. Das traurige Kapitel des „Badge engineering“mit Chrysler-Modellen war der Ansatz eines Zahlenmenschen. Er musste scheitern.