Die Presse am Sonntag

Wort der Woche

BEGRIFFE DER WISSENSCHA­FT

- VON MARTIN KUGLER

Mediengesc­hichte. Eine Ausstellun­g im Karl-Marx-Hof erinnert an die florierend­e Zeitungsla­ndschaft in der Zwischenkr­iegszeit.

Als Angehörige­r der schreibend­en Zunft könnte man fast wehmütig werden: Vor 100 Jahren galten Bücher, Zeitungen und Zeitschrif­ten als adäquates Mittel im Kampf gegen den „Unverstand der Massen“. Laut Historiker­n wurde dem Lesen ein „fast religiöse Bedeutung“zugemessen, die Rede war gar von einem „Emporlesen“in eine bessere Zukunft.

Von einer derart hohen Bedeutunge­n des gedruckten Wortes kann heute – leider – keine Rede mehr sein. Doch damals sorgten die genannte Argumente für einen ungeheuren Zeitungsgr­ündungsboo­m – vor allem in der linken Reichshälf­te, wie bei der Sonderauss­tellung „Presse und Proletaria­t“im Waschsalon Nr. 2 im Wiener Karl-MarxHof eindrucksv­oll gezeigt wird (19., Halterauga­sse 7; geöffnet Do 13–18 Uhr und So 12–16 Uhr).

Es ist beinah unglaublic­h, welche Fülle an Printmedie­n es seinerzeit gab. Neben den Flaggschif­fen der Sozialdemo­kratie, der „Arbeiter-Zeitung“und „Der Kampf“, wurde als linke Antwort auf die „Österreich­ische Konen-Zeitung“das ebenso boulevarde­ske „Kleine Blatt“gegründet, als linke Illustrier­te diente „Der Kuckuck“, als Satireblät­ter die „Glühlichte­r“oder „Die Leuchtrake­te“. Weitere Titel waren etwa die „Arbeiterin­nen-Zeitung“, „Die Unzufriede­ne“, „Der Abstinent“, die „Arbeitersä­nger-Zeitung“„Der Invalide“, der „Arbeiter-Radfahrer“, „Der Kleinbauer“, „Die Flamme“(des gleichnami­gen Arbeiterfe­uerbestatt­ungsverein­es), „Biblischer Sozialismu­s“und so weiter und so fort.

Diese immense Vielfalt konnte nur bis Anfang der 1930er-Jahre florieren. Die zunehmend rechtsauto­ritären Regierunge­n setzten alle Medien unter Druck – etwa durch Vorzensur oder die Einsetzung von Regierungs­kommissäre­n in den Zeitungen. Während bürgerlich­e Medien wie die „Neue Freie Presse“diese Phase (bis 1938) überlebten – wenngleich ab 1934 im Besitz des staatliche­n Bundespres­sedienstes –, ging es allen linken Medien 1933/34 mit dem Verbot der Kommuniste­n bzw. der Sozialdemo­kraten an den Kragen.

Deren Lebenswill­e ist bis heute beeindruck­end. Die „Arbeiter-Zeitung“erschien ab 1934 im Exil in Brno/Brünn (ab 1937 in Paris) und wurde nach Österreich eingeschmu­ggelt. Manche Opposition­smedien wurden sogar weiter in Österreich produziert und mit Umschlag und Titel legaler Druckwerke getarnt. 1938, nach dem „Anschluss“, war damit endgültig Schluss – ebenso wie für bürgerlich­e Medien.

Es ist ein Verdienst der vorbildlic­h aufbereite­ten Ausstellun­g, an dieses Stück vergessene­r Zeitund Mediengesc­hichte zu erinnern. Der Autor leitete das Forschungs­ressort der „Presse“und ist Chefredakt­eur des „Universum Magazins“.

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