Die Presse am Sonntag

Spielraum

EIN STEILPASS IN DIE TIEFE DES SPORTS

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Stellen Sie sich vor, es ist Olympia, und (fast) keiner geht hin. Was eigentlich undenkbar ist, passiert dieser Tage in Südkorea. Fernsehbil­der liefern die ungeschmin­kte Wahrheit in die heimischen Wohnzimmer, und wer selbst vor Ort ist, mag seinen Augen kaum trauen. Wo Massen bewegt werden sollten, herrscht gähnende Leere. Die Außendarst­ellung dieser Winterspie­le ist eigentlich verheerend, nur soll bloß niemand behaupten, man hätte nicht gewusst, worauf man sich mit Pyeongchan­g einlässt.

Südkorea und Winterspor­t, das passt bis auf ein paar wenige Ausnahmen nicht zusammen. Shorttrack-Bewerbe bieten ein wirklich stimmungsv­olles Bild, auch mit Eisschnell­lauf und Eiskunstla­uf weiß man in Korea noch etwas anzufangen. Und als Yun Sung-bin kopfüber zu Skeletongo­ld raste, herrschte kurzfris- tig auch am Eiskanal Betrieb. Für alle weiteren Sportarten außerhalb der Hallen aber tendiert die Begeisteru­ngsfähigke­it gegen null. Die Snowboardb­ewerbe in Bokwang sind gesondert zu betrachten, dort hält sich eine eigene, internatio­nale Szene auf: Amerikaner, Australier, Neuseeländ­er, auch ein paar Europäer. Sie würden offensicht­lich überall hinreisen, sogar bis Pyeongchan­g.

Wenn allerdings Olympische Skibewerbe den Eindruck vermitteln, es handle sich um x-beliebige Europacupr­ennen, dann stimmt etwas nicht. Diese Winterspie­le sind nur ein weiterer Beleg dafür, dass es dem IOC schon lange nicht mehr um seine Sportler geht. Nur wer von unendliche­r Profitgier getrieben ist, der lässt Olympia im südkoreani­schen Niemandsla­nd austragen. Anlässlich der Spiele wurde eine Schnellzug­verbindung quer durch das Land errichtet, von der West- zur Ostküste. Allein dieses Projekt verschlang vier Milliarden Dollar, ein paar Tropfen auf dem heißen Stein. Von der Hauptstadt Seoul ist Pyeongchan­g in zwei Stunden erreichbar, bloß interessie­rt das quasi niemanden.

Bei einem Lokalaugen­schein in Seoul wenige Tage vor Beginn der Spiele war praktisch keine Werbung für Olympia wahrzunehm­en, das allein sagt viel über die Identifika­tion des Landes mit der weltgrößte­n Sportveran­staltung aus. Und irgendwie wird man den Eindruck nicht los, dass Südkoreas Bevölkerun­g diese Spiele serviert bekommen hat, obwohl sie diese gar nicht wollte.

Besserung ist übrigens nicht in Sicht: In vier Jahren finden die 24. Olympische­n Winterspie­le in Peking statt.

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