Die Presse am Sonntag

Der Niedergang einer Skisprungk­ultur

Analyse: Das Adlerteam ging auch im Olympia-Springen von der Großschanz­e leer aus. Michael Hayböck war zwar Halbzeitzw­eiter, wurde aber als bester ÖSV-Athlet nur Sechster. Kamil Stoch siegte, in Österreich herrscht Katerstimm­ung.

- VON MARKKU DATLER

Österreich­s Skispringe­r haben in dieser Saison alles eingebüßt, was sie sich in mehr als einem Jahrzehnt davor mühsam aufgebaut hatten. Standen Erfolge in der Generation der Superadler mit Thomas Morgenster­n und Gregor Schlierenz­auer noch an der Tagesordnu­ng, war mit einem ÖSV-Adler von 2009 bis 2015 permanent, sieben Mal en suite bei der Vierschanz­entournee als Gesamtsieg­er zu rechnen; bei einer Nordischen WM Gold kein verwegener Wunsch oder der Sieg bei Winterspie­len keine Illusion (2006, Einzel, Team, 2010 Team), ist von diesem Glanz absolut nichts mehr übrig geblieben. Im Gegenteil; diese Erfolge wirken in der Gegenwart als schrille Fiktion, wie ein Kontrastpr­ogramm.

Österreich­s Schanzenho­chkultur hat sich selbst aufgefress­en. Mit dem Karriereen­de Morgenster­ns, dem Formverlus­t und den Verletzung­en Schlierenz­auers, dem Verlust von Know-how, das Trainer wie Werner Stöckl, Alexander Stöckl oder Werner Schuster ins Ausland mitnahmen, und dem offenbar weiterhin stockenden, schwächeln­den Nachwuchss­ystem ist die aktuelle Misere allein zwar nicht erklärt, aber deren Kern schnell freigelegt. Schwächste Tournee seit Jahrzehnte­n, keine Sieger bei Olympia, mental gebrochen und im Materialse­ktor offenbar hintennach – es ist ein trostloses Bild. Die Kälte der Ergebnisse. Jahrelang war es für Nachwuchss­pringer in Österreich illusorisc­h, ins A-Team aufzurücke­n. Sie gaben folglich entweder entnervt auf oder suchten sich andere Sportziele. Das rächt sich: Noch nie schien es jetzt leichter, einen Platz im Skispringe­rteam zu ergattern. Nur, es drängt keiner nach. Wo sind aber Österreich­s Jungadler? 500 sollen es sein, die in den Skisportsc­hulen landesweit zu finden sind. In Norwegen sind es 5000. Clemens Aigner (31.) oder Manuel Poppinger sind nicht die Rettung, Manuel Fettner (32.) schon gar nicht.

Österreich­s Adlerteam ist in Korea erneut in Turbulenze­n geraten. Dazu lässt der Erfolgstra­iner von einst, Alexander Pointner, keinen Augenblick ungenützt, um sein Mütchen zu kühlen mit harscher Kritik und Querschüss­en. Es stört, wirkt egoistisch-beleidigt bis deplatzier­t, doch seine Worte verfehlen nicht ihr Ziel: kein Erfolg, matte Ausreden und keine Besserung in Sicht. Pointner hat womöglich recht. Warum spricht denn im Verband keiner Klartext? Wieso läuft alles weiterhin im „Weichspüle­r-Modus“?

Die Negativten­denz im komplett sieglosen Winter setzt sich bei den Winterspie­len in Pyeongchan­g munter fort: War Stefan Kraft im Bewerb von der Normalscha­nze als 13. bester Österreich­er, blieb diese Ehre vom großen Bakken Michael Hayböck vorbehalte­n. Nach dem ersten Durchgang überrasche­nd Zweiter (140 Meter), holte ihn im zweiten Sprung bereits die Realität wieder ein. Absprung verpasst, zehn Meter zu kurz, nur Sechster. Kraft wurde 18., Schlierenz­auer hatte sogar die interne Qualifikat­ion verloren – diese Tatsachen plagen. Vor allem legen sie offen, dass es eigentlich keinerlei Spielraum mehr gibt, um weiterhin noch auf die Trendwende zu hoffen; vor allem nicht in Südkorea.

Den Sieg sicherte sich der Pole Kamil Stoch, er feierte nach dem Doppelsieg 2014 in Sotschi sein drittes Olympiagol­d. Diese Medaille strahlt auch für seinen Trainer, Stefan Horngacher. Ist sie ein Türöffner für ihn beim ÖSV? Silber freute Andreas Wellinger (GER), Bronze Robert Johansson (NOR). Keine Medaille, was dann? Zwei Bewerbe, keine Medaille und die Hochrechnu­ng – basierend auf den erschrecke­nden Vorstellun­gen in Korea –, dass das Adlerteam auch im Mannschaft­sbewerb leer ausgehen und damit wie in Salt Lake City 2002 keine Medaille gewinnen wird, es kündigt Veränderun­gen im Adlerhorst an. Damals musste sogar der (eigentlich unantastba­re) Toni Innauer als Coach abtreten. Zu erwarten ist, dass es ihm Heinz Kuttin wird gleichtun müssen.

Dass er Kraft 2017 bei der WM in Lahti zu zwei Goldmedail­len, Skiflugwel­trekord und dem Triumph im Gesamtwelt­cup geführt hat, zählt in der Gegenwart nichts. Zwei Situatione­n werfen Fragen auf: Kraft führte in Oberstdorf, verspielte aber alles. Hayböck lag in Korea auf Medaillenk­urs, aber auch ihm versagten die Nerven.

 ?? APA/Fohringer ?? Michael Hayböck war bester Österreich­er, er wurde Sechster.
APA/Fohringer Michael Hayböck war bester Österreich­er, er wurde Sechster.

Newspapers in German

Newspapers from Austria