Die Frau von der Tankstelle
Wer denkt je über die Betreiber von Tankstellen nach? Die Schweizer Autorin Margrit Schriber war eine von ihnen. Und erzählt vom Leben im Niemandsland. Eine kleine Tankstelle in der Deutschschweiz. Eine Zapfsäule, eine kleine Werkstatt. Ein Juwel in den Anfangszeiten des Automobils, nun, Anfang der 1980er-Jahre, ein Relikt. Hier wohnt Pia. Das „Ladenmädchen“in der Latzhose, das „Igelchen“mit Stachelfrisur. Mädchen ist sie längst keines mehr, die Jahre sind ins Land gezogen, ihre Eltern sind tot, die Beziehung mit Luc, dem Charmeur und Filou, ist auch schon wieder ein Vierteljahrhundert her.
Er kommt freilich immer noch, im amerikanischen Schlitten mit Täubchen am Beifahrersitz, um sich den Tank kostenlos füllen zu lassen und Ansprüche zu stellen. Ansonsten ist das Leben ruhig an der Straße. Kunden kommen und gehen, manchmal kommt auch keiner. Ansonsten gibt es nur Gigi, den Gebrauchtwagenhändler von nebenan. Und Luisa, die Geliebte des Bauunternehmers, die in den Tankstellenshop kommt, wenn sie reden will, und die regelmäßig den Koffer packt, um das Leben zu suchen.
Pia bleibt an der Zapfsäule. Weigert sich, an eine große Kette zu verkaufen, den Plänen der Männer nachzugeben. Und wagt das Abenteuer – in Form einer Waschanlage, die einen Italiener anspült.
Margrit Schriber erzählt detailliert, weil sie weiß, wovon sie spricht: Sie hat selbst in jener Zeit eine Tankstelle geführt. Und sie schreibt unaufgeregt, vielleicht, weil sie schon weiß, was Pia lernt: Dass die großen Fragen nicht immer anderswo verhandelt werden. Sondern auch mitten im Niemandsland. Margrit Schriber: „Glänzende Aussichten“, Nagel & Kimche, 176 Seiten, 19,60 Euro.