Die Presse am Sonntag

»Jazz ist Schweiß, Rauch, Spucke«

Die Jazzchante­use Melody Gardot liebt Gespräche in Paris. Im Interview ebendort warnt sie vor sterilen Jazzclubs und erklärt, warum sie auf ihrem neuen Albumcover nackte Haut zeigt.

- VON SAMIR H. KÖCK

Sie scheinen eine Schwäche für Paris zu haben. Immer wieder präsentier­en Sie ihre neuen Alben hier. Was mögen Sie an dieser Stadt? Melody Gardot: In Paris kann man an jeder Ecke Schönheit atmen, selbst bei Regen. Und überhaupt: Hat nicht jeder eine Romanze mit dieser schönen Stadt? All diese Architektu­r und Handwerksk­unst vergangene­r Zeiten anzuschaue­n, ist, vor allem wenn man in den USA aufgewachs­en ist, berauschen­d. Paris kann man, wie auch Wien, lesen wie ein reich illustrier­tes Buch. Was halten Sie als perfekt Französisc­h sprechende Amerikaner­in vom Pariser Lebensstil? Sehr viel. Die Kaffeehaus­kultur finde ich fasziniere­nd. Was ich am meisten schätze, sind die Gespräche mit den Menschen. Die Pariser sind weltoffen, kunstsinni­g, nicht selten sogar philosophi­sch. Da werden keine Floskeln ausgetausc­ht, da passiert Austausch echter Gedanken. Und das hilft meiner Musik, meinem Songwritin­g. Paris war in den 1940er-Jahren die erste europäisch­e Kapitale, in der der Jazz aufblühte. Wie sehen Sie die Szene heute? Persönlich habe ich sehr, sehr viele grandiose Musiker hier getroffen. Mit vielen davon durfte ich zusammenar­beiten. Aber auch hier leiden die kleinen Jazzclubs, weil nicht jeder 40, 50 Euro für ein Ticket zahlen kann. Der Kostendruc­k ist gewaltig. Das Rauchverbo­t hat die Jazzkultur auch nicht gerade bereichert. Aber es waren doch die Amerikaner, die mit dieser Prüderie begannen . . . Das stimmt wohl. Nichtsdest­oweniger bedeutet Jazz für mich immer noch Schweiß, Fingerabdr­ücke, Rauch, Tränen und die Spucke, die aus Trompeten tröpfelt. Jetzt besteht die Gefahr, dass die Clubs steril werden. In Paris mag ich das Sunset/Sunside, das Duc des Lombards und das New Morning. Sie verbreiten gute Atmosphäre, wenngleich sie mir als Amerikaner­in eine Spur zu wenig verschmudd­elt sind. Sie selbst treten in Paris aber bevorzugt im berühmten Olympia auf. Was bedeuten Ihnen derlei geschichts­trächtige Theater? Schon viel. Es ist, als ob man Fühlung mit früheren Epochen aufnimmt. Das Olympia ist nicht gerade klein, aber trotzdem hat man auf der Bühne das Gefühl, dass man die Köpfe in der letzten Reihe berühren könnte. Stadionkon­zerte wären nichts für meine Lieder. Die verlangen eine gewisse Intimität, die ich für mein Publikum wahren muss. Für die richtige Größe habe ich ein eigenes Maß: Wenn ich eine Rose in die letzte Reihe werfen kann, dann ist es richtig. Vor einigen Jahren haben Sie mit der berühmten Juliette Gr´eco gemeinsam das Chanson „Sous les ponts de Paris“aufgenomme­n. Wie war das für Sie? Da fühlte ich mich dann doch etwas klein. Leider ist sie in den USA einigermaß­en vergessen, weil dort die Köpfe durch sogenannte Reality-Soaps wie „The Kardashian­s“verpickt werden. Juliette Greco´ ist Symbol für eine Frau, die in Kunst und Leben auf jegliche Konvention pfiff. Haben Sie von der Grande Dame des existenzia­listischen Chansons denn etwas lernen können? Unendlich viel. Allein die Art, wie sie einen Raum betritt, ist höchst bemerkensw­ert. Sie versprüht sofort Drama. Die Gesten, mit denen Sie ihren Gesang illustrier­t, sind eine ganz eigene Kunstdiszi­plin. Und sie hat mich wieder daran erinnert, dass die Emotionen, die du beim Singen in die Worte legst, ge- nauso wichtig sind wie die Noten. Der Ton, das Timbre – das muss Authentizi­tät atmen. Perfektion wäre der Tod. Wie denken Sie über Gr´ecos Affäre mit Miles Davis? Miles Davis hat sie wirklich geliebt. Liebesbezi­ehungen von Menschen unterschie­dlicher Hautfarbe waren damals sogar in Paris nicht gänzlich unproblema­tisch. In den USA waren sie es erst recht. Miles sagte zu ihr, er nehme sie nicht nach Amerika mit, weil er ihr die zu erwartende­n, auf institutio­nalisierte­m Rassismus basierende­n Kontrovers­en ersparen wolle. Das finde ich sehr respektvol­l. Lauscht man Ihren Liedern wie „Goodbye“und „Deep Within The Corners Of My Mind“, dann könnte man glauben, dass Sie dem amourösen Happy End nur begrenzt etwas abgewinnen können. Ist dem so? Nicht ganz. Wenn man Balladen komponiert, dann bedeutet das nicht per se, dass in ihnen alles tragisch enden muss. Ein wenig Traurigkei­t würzt die Liebe, aber ich sehe mich nicht im Tragischen verortet. Die Idee, dass man jemanden immer in seinem Bewusstsei­n tragen wird, wie ich sie in „Deep Within The Corners Of My Mind“besinge, hat doch etwas sehr Schönes. „I never found the love in the way I always defined love – which was Cary Grant and Ingrid Bergman“, sagte Ron Mael von den

Melody Gardot.

1985 in New Jersey geboren, studierte sie Design und sang nebenbei in Clubs. 2003 wurde sie von einem SUV angefahren und dabei beinah getötet. In einem jahrelange­n, zähen Prozess wurde sie wieder heil. Nebenprodu­kt ihrer Musikthera­pie ist eine Weltkarrie­re mit selbst komponiert­en Liedern.

Neues Album.

Nach vier Studioalbe­n wurde jetzt „Live in Europe“(Decca/ Universal) veröffentl­icht.

Konzert.

Am 4. Juli 2018 tritt Melody Gardot beim Jazz Fest Wien in der Wiener Staatsoper auf. Sparks jüngst. Hat uns Hollywood die Idee der Liebe verdorben? Da wird wohl manipulier­t, aber so generalisi­erend würde ich die Folgen nicht formuliere­n. Letztlich hat doch jeder seine ganz persönlich­en Vorstellun­gen von Liebe und Romanze. Im Extremfall entscheide­n sich manche für die Lust am Leiden, andere machen aus der Liebe ein schnödes Tauschgesc­häft. Für mich persönlich sind es die Kontraste, die die Liebe schön und interessan­t machen. Jeder wählt sich seinen eigenen Pfad durch den Dschungel der Gefühle. Auf dem Cover von „Live In Europe“zeigen Sie Ihre nackte Kehrseite. Dürfen wir damit eine klandestin­e Botschaft verbinden oder ist das bloß ein Nackte-Haut-Marketing? Ich nehme nicht an, dass Menschen meine Musik kaufen, weil sie glauben, dadurch schöner zu werden. Nur die, die meine Geschichte nicht kennen, können dieses Bild für eine Provokatio­n halten. Ihnen sei gesagt, dass ich einen furchtbare­n Unfall hatte, der mir das Gedächtnis raubte und mich in den Rollstuhl zwang. Jahrelang ging ich am Stock. Mittlerwei­le nicht mehr. Meine künstleris­che Reise in die Musik war auch eine in die Genesung. Dass ich eines Tages wieder stehen und dabei Gitarre spielen kann, das war lange Zeit unvorstell­bar. Dieses Wunder ist in dieser Fotografie festgehalt­en. Das Bild sagt: Ich bin nackt und ich bin stark.

 ?? Universal Music ?? „Perfektion wäre der Tod“, sagt Melody Gardot. Im Juli wird sie in der Wiener Staatsoper singen.
Universal Music „Perfektion wäre der Tod“, sagt Melody Gardot. Im Juli wird sie in der Wiener Staatsoper singen.

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