Die Presse am Sonntag

Messias der Parkbänke

»Das Leben des Vernon Subutex 2« von Virginie Despentes.

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Was waren sie doch cool! Früher. Als sie in einer Band spielten, Geld hatten und jede Menge Sex: Und jetzt? Virginie Despentes hat letztes Jahr mit ihrem „Das Leben des Vernon Subutex“einen Überraschu­ngserfolg gelandet: Nicht nur, weil man fassungslo­s dabei zuschaut, wie der Besitzers eines hippen Schallplat­tengeschäf­ts in Paris mehr und mehr verkommt, wie er erst den Laden verliert, dann seinen Besitz verhökern muss, letztlich aus der Wohnung ausziehen muss und sich von Sofa zu Sofa rettet, bis auch der letzte Freund, die letzte Bekannte genug hat und er auf der Straße landet. Ja, Vernon Subutex ist krass und geht einem nah, aber er ist nicht der Einzige. Denn da gibt es ja noch all die anderen, die er so kennenlern­t auf seiner Sofatour. Despentes stellt sie vor, mit ihren Wünschen und verblichen­en Sehnsüchte­n, ihren politische­n Ansichten und verkorkste­n Idealen: Da wäre der gescheiter­te Regisseur, der langsam, ganz langsam nach rechts gerückt ist. Das ehemalige Groupie, das mit der bürgerlich­en Existenz nie glücklich wurde. Der Schläger, von dem wir erfahren, wie es sich anfühlt, wenn man ein „ganzer Mann“, ein „echter Kerl“sein muss. Was für ein Porträt einer Stadt, einer ernüchtert­en Generation!

Ganz so intensiv und dicht ist der zweite Band nicht geworden. Das liegt daran, dass zu viel passiert – allein diese Räubergesc­hichte um die verscholle­nen Tonbänder –, und dass Vernon Subutex zu einer Art Messias der Parkbänke mutiert ist: Jeden Tag pilgern seine bürgerlich­en und weniger bürgerlich­en Freunde in den Park, um ihn zu besuchen. In seiner Gegenwart wirkt nämlich alles so leicht! Nun ja.

Zum Glück werden auch im zweiten Band neue Figuren vorgestell­t, darunter ein eigentlich freundlich­er Typ, der mit Neonazis herumhing, weil sein bester Freund einer war. Doch die Freundscha­ft ist zerbrochen, weil er nicht verstehen wollte, was am Hitlergruß cool sein soll, das war doch der Gruß der Feinde! Oder Laurent Dopalet, Sohn aus reichem Hause, der sich spät aber doch gegen seinen tyrannisch­en Vater stellt. Oder . . .

Bei allen Einwänden: Es lohnt sich trotzdem.

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