Die Presse am Sonntag

Weltmacht ist Europa nur im Moralisier­en

Der Syrien-Krieg führt einmal mehr vor Augen, wie wenig Europa auf der Weltbühne mitzureden hat. Und der Sinnlosstr­eit um Flüchtling­squoten zeigt, dass sich daran noch lang nichts ändern wird.

- LEITARTIKE­L VON CHRISTIAN ULTSCH

Unlängst philosophi­erte EU-Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker bei der Münchner Sicherheit­skonferenz über die mangelnde Weltpoliti­kfähigkeit Europas. Wie zutreffend die Diagnose ist, zeigt sich dieser Tage einmal mehr in der Syrien-Krise. Da bombardier­t Assads Regime mit russischer Hilfe ohne Rücksicht auf Zivilisten Wohngebiet­e im Osten von Damaskus, um Islamisten zu vertreiben. Und den Europäern fällt außer Appellen an Russland, im UN-Sicherheit­srat einer vermutlich ohnehin folgenlose­n Waffenruhe zuzustimme­n, nichts ein. Weltmacht ist Europa nur im Moralisier­en.

In Syrien ist die EU seit Ausbruch des desaströse­n Bürgerkrie­gs vor mittlerwei­le sieben Jahren abgemeldet. Europäisch­e Regierungs­chefs haben zwar zu Beginn des Arabischen Frühlings vollmundig und bedingungs­los den Rücktritt Assads gefordert. Doch Syriens Präsident ist der Aufforderu­ng nicht gefolgt und hat diverse Sanktionen ignoriert. Danach hat sich Europa nicht mehr viel zu Syrien überlegt: kein Konzept, keine Strategie, nichts. Das ist insofern be- merkenswer­t, als kaum ein anderer Konflikt den Kontinent so direkt und folgenschw­er betroffen hat wie der Krieg in der Nachbarsch­aft. Die politische­n Auswirkung­en des Massenexod­us Hunderttau­sender Flüchtling­e nach Europa sind bis heute spürbar. Zwerge. Dennoch verharrten Deutschlan­d und die restlichen europäisch­en Zwerge in der Zuschauerr­olle. Das hat auch gute Gründe: In Syrien zählt die harte Währung. Nur wer militärisc­hen Einsatz wagt, gestaltet am Ende mit. Und das werden vor allem Russland und der Iran sein. Die Amerikaner sind an den Rand gedrängt, die Europäer nicht vorhanden. Das gilt es zu konstatier­en, nicht zu beklagen. Europa muss sich wirklich nicht in Militärabe­nteuer verstricke­n lassen. Doch es sollte dann wenigstens den Mund nicht zu voll nehmen, rechtzeiti­g die Kräfteverh­ältnisse richtig einschätze­n und nach dieser Maßgabe an einer Konfliktlö­sung mitarbeite­n.

Stattdesse­n stürzen sich die Europäer in ewigem Wiederholu­ngszwang in den fruchtlose­n Streit über Verteilung von Flüchtling­en. Es war eine der eher überflüssi­gen Ak- tionen der deutschen Kanzlerin, Angela Merkel, vor dem jüngsten EU-Gipfel den osteuropäi­schen Staaten, die keine Flüchtling­e aufnehmen wollen, mit Förderkürz­ungen zu drohen. Denn damit vertieft sie die Gräben in Europa, erinnert an ihre eigenen Fehler in der Flüchtling­skrise – und liefert schlauen Zynikern wie dem Premier in Budapest ideale innenpolit­ische Steilvorla­gen.

Die per Mehrheitsb­eschluss durchgepei­tschte Quote hat nie funktionie­rt, außerdem wollen die Flüchtling­e gar nicht nach Ungarn oder Polen. Vielleicht könnte man dies nach mehr als zwei Jahren akzeptiere­n. Merkel hat ja auch sonst selten Schwierigk­eiten, inhaltlich biegsam zu bleiben und Prinzipien­reiter im Bedarfsfal­l absatteln zu lassen. Und Möglichkei­ten, ihre Solidaritä­t zu zeigen, hätten die Osteuropäe­r auch abseits der Flüchtling­squote zur Genüge.

Solang solche internen Querelen nicht überwunden werden können, muss Europa über Weltpoliti­kfähigkeit nicht einmal nachdenken. Weder in Syrien noch sonst wo.

Newspapers in German

Newspapers from Austria