Auf ins Heim: Pflege nach dem Regress
Seit für Betreuung und Pflege in Heimen nicht mehr auf Vermögen zugegriffen wird, steigen dort die Anfragen und Anmeldungen – teils um bis zu 40 Prozent. Schieben wir nun, da es nicht mehr das Erbe auffrisst, die Alten ab? Oder bekommen diese endlich die
Hilda K. hätte sich das so auch nicht gewünscht. „Der Horror. Das wäre der Horror!“, habe sie, sagt sie nun, zeitlebens über das Altern in einem Heim gedacht. Graue Häuser, lange Gänge, strenge Routinen, ein Ausgeliefertsein und dahindämmernde Menschen, die nur noch auf das Eine warten. „Aber so schlimm ist es ja nicht“, sagt sie, die seit anderthalb Jahren in einem Pflegeheim lebt, lächelt milde, und sagt, dass es schon traurig gewesen sei, von daheim wegzugehen. Aber lange wäre es ohne Betreuung rund um die Uhr nicht mehr gut gegangen. Nach einem Sturz dann die Entscheidung, es doch mit dem örtlichen Heim zu versuchen. Bereut habe sie das nie.
Hans S. hat diese Entscheidung, vielleicht die größte der späten Lebensabschnitte, nicht treffen können. Auch heute sprechen seine Angehörigen über ihre Entscheidung für das Heim. Demenz, weit fortgeschritten, für die Familie schwer zu ertragende Veränderungen der Persönlichkeit, irgendwann war Hans S. kaum mehr zu erkennen, seine Betreuung eine große Belastung, schließlich sei es trotz Hilfe durch zwei 24-Stunden-Pflegerinnen nicht mehr gegangen. Nun, sagt sein Sohn, wisse man Hans S. gut aufgehoben. Plus 40 Prozent seit Jänner. Diese Entscheidung, für ein Leben in einer Betreuungseinrichtung, treffen nun mehr Menschen. Beziehungsweise, sie stellen sich die Frage, ob das das Richtige sein kann. Seit im Juni 2017, im anlaufenden Wahlkampf, beschlossen wurde, dass der Pflegeregress abgeschafft wird. Obwohl vieles, Finanzierung, Details der Umsetzung, noch sehr unklar sind (siehe nebenstehenden Artikel), gibt es seit 1. Jänner 2018 keinen Zugriff auf Vermögen zur Finanzierung von stationärer Pflege mehr.
Seither stehen Senioren- und Pflegeheime vor einem regelrechten Andrang: Der Fonds Soziales Wien hat allein im Jänner ein Viertel mehr Anmeldungen verzeichnet. Aus anderen Bun- desländern und von privaten Trägern hört man ähnliche Zahlen, etwa von plus 20 bis 30 Prozent.
Beim Kuratorium Wiener Pensionistenwohnhäuser (KWP), dem größten Heimträger der Stadt, sind es seit Jahresanfang um 40 Prozent mehr Anfragen als im selben Zeitraum des Vorjahres. Ein Einmaleffekt? Haben zuvor viele noch den Jänner, das RegressEnde abwarten wollen? Oder hält dieser Zustrom an? Schieben wir nun, da die Kosten dieser (teuren) Form der Pflege, nun nicht mehr das Erbe auffrisst, die Alten in Heime ab? Oder, anders gesehen, bekommen diese endlich in Einrichtungen die professionelle Pflege, die sie brauchen, die zuvor aus Kostengründen verwehrt wurde?
Die Wahrheit, sagt Gabriele Graumann, liegt wohl in der Mitte. Beziehungsweise treffe wenn, eher zweiteres zu, wenn es nach ihr geht. Aber so harte Aussagen, über Abschieben und Kosten, die entscheiden, treffen auf die schwierigen Situationen und Überlegungen der Familien vor einem Einzug selten zu. Gabriele Graumann ist die Geschäftsführerin der KWP-Häuser, als frühere Leiterin des Hauses Augarten kennt sie die Situation in den Häusern seit vielen Jahren – und hofft nun, da die Pflege zunehmend in den Fokus gerät, auf eine differenzierte Debatte.
„Heim“, das hört sie nicht gern, es geht um Häuser, es gehe um lebenswertes Leben, gute Versorgung, und das habe mit den Skandalfällen, Stichwort Kirchstetten, den düsteren alten Bildern, den Gerüchen, die einen beim Begriff Heim schon schaudern lassen, nichts mehr zu tun. „Es ist nicht mehr so, dass wir Bewohnern ein Nachthemd anziehen und sie ins Pflegebett stecken. Pflege in einer Einrichtung ist für viele ,Pfuigack‘, aber die Vorstel- lung von dem, was in einem Heim passiert, stimmt so nicht mehr. Da hat sich in den vergangenen 20 Jahren viel getan.“ Sag nicht mehr »Heim« dazu. „Wir müssen in der Diskussion weg vom allgemeinen: Wir wissen eh, dass die Leute nicht ins Heim wollen“, sagt sie. Berichtet von den vermehrten Anfragen, einem Viertel mehr Einzügen, einer Auslastung der KWP-Häuser, die heuer nach Schätzungen von 94 auf 97 Prozent steigen werde, soweit man da derzeit überhaupt etwas abschätzen kann.
Und wenn man durch das renovierte Haus Augarten geht – direkter Zugang in den Park, kleine Wohnungen mit eigenen Möbeln, individuelles Leben, zumindest für jene, die nicht in der Pflegestation leben – oder neben den Senioren im hauseigenen Cafe´ sitzt, die hier am Nachmittag bei Kuchen und ein, zwei Gläsern Wein plaudern, mag man ihr glauben, dass die Häuser ihren Schrecken verloren haben.
„Ich bin Ihre Zukunft! Vielleicht nicht mehr ich selbst, aber schauen Sie sich um, das ist Ihre Zukunft. Für uns alle, ob wir wollen oder nicht“, sagt Graumann, mahnt das verdrängte Thema ins Bewusstsein. Noch fällt die Entscheidung für ein Senioren- oder Pfle- gehaus, wenn es nicht anders geht.
Gesundheitliche Probleme, der Bedarf an Pflege, ein Alltag, der allein nicht zu bewältigen ist, diese Faktoren spielen die größte Rolle, das zeigen Befragungen beim Einzug der Bewohner. Aber zunehmend spielen soziale Faktoren eine Rolle. „Warum sind die Leute da? Nicht wegen der Pflege, sondern der Einsamkeit. Es spricht sich herum, dass man hier a` la longue besser lebt als alt und isoliert in einer Wohnung“, sagt Graumann. 30 „Häuser zum Leben“betreibt das KWP, dort leben rund 9000 Menschen. Wer hier einzieht, ist
Senioren- und Pflegeheime
mit mehr als 75.000 Wohn- bzw. Pflegeplätzen gibt es in Österreich etwa. Etwas mehr als 400 sind öffentliche Einrichtungen, rund 450 haben private Träger.
Tausend Menschen
werden in Wien in geförderter stationärer Pflege betreut, mit mobiler Pflege werden rund 35.700 Menschen (mit im Schnitt 16 Stunden pro Monat) unterstützt, in 3.100 Fällen werden Pflegebedürftige in Wien von 24-StundenPflegern versorgt. Das teuerste Modell ist die stationäre Pflege.
von Fünf
Pflegegeldbezieher werden demnach, so die Zahlen vom Hilfswerk, zuhause betreut, weil Angehörige und mobile Helfer das möglich machen. Die 24-Stunden-Pflege sei mit fünf Prozent Marktanteil eher eine Nische. im Schnitt 80 Jahre alt und hat Pflegestufe 3,34. 80 Prozent ziehen da noch in eine eigene Wohneinheit.
Die Zahl der Bewohner ist seit einigen Jahren stabil – und bis zum 1. Jänner ist man davon ausgegangen, dass das noch bis 2025 so bleibt, das hängt mit der Bevölkerungsstatistik zusammen. Bis 2030 habe man gedacht, sei kein Ausbau der Plätze in Wien nötig.
Nun sind Prognosen schwierig, sagt Graumann. „Jetzt glaube ich, dass wir damit nicht mehr lange auskommen werden.“Noch bekommt man hier, unabhängig von der Pflegestufe, binnen 24 Stunden einen Platz. Heuer geht es sich noch aus. Heuer, das sagt auch Peter Hacker, der Chef des Fonds Soziales Wien (FSW), geht es sich auf jeden Fall noch aus. Je nachdem, wie sich die Zahl der Anmeldungen entwickelt, könnte es sein, dass dann in Wien neue Senioren- oder Pflegehäuser gebaut werden müssen. Aber das hängt von vielen nach wie vor offenen Fragen ab, die aktuell für viel Unmut sorgen.
Auch bei der Caritas. Auch hier herrscht großes Unverständnis, dass einige Details für die Organisation der Pflege nach dem Regress nicht geregelt sind – oder, dass eine breite Debatte überhaupt fehlt, immer nur das Nötigste geregelt wird, so Alexander Bodmann, Generalsekretär der Caritas Wien. „Die Abschaffung des Regresses sehen wir als Fortschritt, aber es besteht die Gefahr, dass aus dem Fortschritt ein Rückschritt wird, wenn sich Bund und Länder nicht einigen“, sagt er – und spricht Bedenken, die Qualität und Standards könnten aus Kostendruck gesenkt werden, an.
Auch hier, im Haus St. Barbara der Caritas in Liesing, hat sich die Warteliste verlängert, sagt Hausleiter Claudiu Suditu. So etwas wie eine Frist gibt es hier nicht, Plätze werden frei, wenn jemand verstirbt. Im Schnitt warte man zwei bis drei Monate. In Summe gibt es bei der Caritas 25 Prozent mehr Anfragen wegen stationärer Pflege. Ob das ein Ad-hoc-Effekt sei oder so bleibe, das, so Bodmann, hänge von den Details
»Ich bin Ihre Zukunft, das hier ist Ihre Zukunft. Ob Sie wollen oder nicht.« »Es ist nicht mehr so, dass wir Bewohnern ein Nachthemd anziehen, sie ins Bett stecken.«