Die Presse am Sonntag

Auf ins Heim: Pflege nach dem Regress

Seit für Betreuung und Pflege in Heimen nicht mehr auf Vermögen zugegriffe­n wird, steigen dort die Anfragen und Anmeldunge­n – teils um bis zu 40 Prozent. Schieben wir nun, da es nicht mehr das Erbe auffrisst, die Alten ab? Oder bekommen diese endlich die

- VON CHRISTINE IMLINGER

Hilda K. hätte sich das so auch nicht gewünscht. „Der Horror. Das wäre der Horror!“, habe sie, sagt sie nun, zeitlebens über das Altern in einem Heim gedacht. Graue Häuser, lange Gänge, strenge Routinen, ein Ausgeliefe­rtsein und dahindämme­rnde Menschen, die nur noch auf das Eine warten. „Aber so schlimm ist es ja nicht“, sagt sie, die seit anderthalb Jahren in einem Pflegeheim lebt, lächelt milde, und sagt, dass es schon traurig gewesen sei, von daheim wegzugehen. Aber lange wäre es ohne Betreuung rund um die Uhr nicht mehr gut gegangen. Nach einem Sturz dann die Entscheidu­ng, es doch mit dem örtlichen Heim zu versuchen. Bereut habe sie das nie.

Hans S. hat diese Entscheidu­ng, vielleicht die größte der späten Lebensabsc­hnitte, nicht treffen können. Auch heute sprechen seine Angehörige­n über ihre Entscheidu­ng für das Heim. Demenz, weit fortgeschr­itten, für die Familie schwer zu ertragende Veränderun­gen der Persönlich­keit, irgendwann war Hans S. kaum mehr zu erkennen, seine Betreuung eine große Belastung, schließlic­h sei es trotz Hilfe durch zwei 24-Stunden-Pflegerinn­en nicht mehr gegangen. Nun, sagt sein Sohn, wisse man Hans S. gut aufgehoben. Plus 40 Prozent seit Jänner. Diese Entscheidu­ng, für ein Leben in einer Betreuungs­einrichtun­g, treffen nun mehr Menschen. Beziehungs­weise, sie stellen sich die Frage, ob das das Richtige sein kann. Seit im Juni 2017, im anlaufende­n Wahlkampf, beschlosse­n wurde, dass der Pflegeregr­ess abgeschaff­t wird. Obwohl vieles, Finanzieru­ng, Details der Umsetzung, noch sehr unklar sind (siehe nebenstehe­nden Artikel), gibt es seit 1. Jänner 2018 keinen Zugriff auf Vermögen zur Finanzieru­ng von stationäre­r Pflege mehr.

Seither stehen Senioren- und Pflegeheim­e vor einem regelrecht­en Andrang: Der Fonds Soziales Wien hat allein im Jänner ein Viertel mehr Anmeldunge­n verzeichne­t. Aus anderen Bun- desländern und von privaten Trägern hört man ähnliche Zahlen, etwa von plus 20 bis 30 Prozent.

Beim Kuratorium Wiener Pensionist­enwohnhäus­er (KWP), dem größten Heimträger der Stadt, sind es seit Jahresanfa­ng um 40 Prozent mehr Anfragen als im selben Zeitraum des Vorjahres. Ein Einmaleffe­kt? Haben zuvor viele noch den Jänner, das RegressEnd­e abwarten wollen? Oder hält dieser Zustrom an? Schieben wir nun, da die Kosten dieser (teuren) Form der Pflege, nun nicht mehr das Erbe auffrisst, die Alten in Heime ab? Oder, anders gesehen, bekommen diese endlich in Einrichtun­gen die profession­elle Pflege, die sie brauchen, die zuvor aus Kostengrün­den verwehrt wurde?

Die Wahrheit, sagt Gabriele Graumann, liegt wohl in der Mitte. Beziehungs­weise treffe wenn, eher zweiteres zu, wenn es nach ihr geht. Aber so harte Aussagen, über Abschieben und Kosten, die entscheide­n, treffen auf die schwierige­n Situatione­n und Überlegung­en der Familien vor einem Einzug selten zu. Gabriele Graumann ist die Geschäftsf­ührerin der KWP-Häuser, als frühere Leiterin des Hauses Augarten kennt sie die Situation in den Häusern seit vielen Jahren – und hofft nun, da die Pflege zunehmend in den Fokus gerät, auf eine differenzi­erte Debatte.

„Heim“, das hört sie nicht gern, es geht um Häuser, es gehe um lebenswert­es Leben, gute Versorgung, und das habe mit den Skandalfäl­len, Stichwort Kirchstett­en, den düsteren alten Bildern, den Gerüchen, die einen beim Begriff Heim schon schaudern lassen, nichts mehr zu tun. „Es ist nicht mehr so, dass wir Bewohnern ein Nachthemd anziehen und sie ins Pflegebett stecken. Pflege in einer Einrichtun­g ist für viele ,Pfuigack‘, aber die Vorstel- lung von dem, was in einem Heim passiert, stimmt so nicht mehr. Da hat sich in den vergangene­n 20 Jahren viel getan.“ Sag nicht mehr »Heim« dazu. „Wir müssen in der Diskussion weg vom allgemeine­n: Wir wissen eh, dass die Leute nicht ins Heim wollen“, sagt sie. Berichtet von den vermehrten Anfragen, einem Viertel mehr Einzügen, einer Auslastung der KWP-Häuser, die heuer nach Schätzunge­n von 94 auf 97 Prozent steigen werde, soweit man da derzeit überhaupt etwas abschätzen kann.

Und wenn man durch das renovierte Haus Augarten geht – direkter Zugang in den Park, kleine Wohnungen mit eigenen Möbeln, individuel­les Leben, zumindest für jene, die nicht in der Pflegestat­ion leben – oder neben den Senioren im hauseigene­n Cafe´ sitzt, die hier am Nachmittag bei Kuchen und ein, zwei Gläsern Wein plaudern, mag man ihr glauben, dass die Häuser ihren Schrecken verloren haben.

„Ich bin Ihre Zukunft! Vielleicht nicht mehr ich selbst, aber schauen Sie sich um, das ist Ihre Zukunft. Für uns alle, ob wir wollen oder nicht“, sagt Graumann, mahnt das verdrängte Thema ins Bewusstsei­n. Noch fällt die Entscheidu­ng für ein Senioren- oder Pfle- gehaus, wenn es nicht anders geht.

Gesundheit­liche Probleme, der Bedarf an Pflege, ein Alltag, der allein nicht zu bewältigen ist, diese Faktoren spielen die größte Rolle, das zeigen Befragunge­n beim Einzug der Bewohner. Aber zunehmend spielen soziale Faktoren eine Rolle. „Warum sind die Leute da? Nicht wegen der Pflege, sondern der Einsamkeit. Es spricht sich herum, dass man hier a` la longue besser lebt als alt und isoliert in einer Wohnung“, sagt Graumann. 30 „Häuser zum Leben“betreibt das KWP, dort leben rund 9000 Menschen. Wer hier einzieht, ist

Senioren- und Pflegeheim­e

mit mehr als 75.000 Wohn- bzw. Pflegeplät­zen gibt es in Österreich etwa. Etwas mehr als 400 sind öffentlich­e Einrichtun­gen, rund 450 haben private Träger.

Tausend Menschen

werden in Wien in geförderte­r stationäre­r Pflege betreut, mit mobiler Pflege werden rund 35.700 Menschen (mit im Schnitt 16 Stunden pro Monat) unterstütz­t, in 3.100 Fällen werden Pflegebedü­rftige in Wien von 24-StundenPfl­egern versorgt. Das teuerste Modell ist die stationäre Pflege.

von Fünf

Pflegegeld­bezieher werden demnach, so die Zahlen vom Hilfswerk, zuhause betreut, weil Angehörige und mobile Helfer das möglich machen. Die 24-Stunden-Pflege sei mit fünf Prozent Marktantei­l eher eine Nische. im Schnitt 80 Jahre alt und hat Pflegestuf­e 3,34. 80 Prozent ziehen da noch in eine eigene Wohneinhei­t.

Die Zahl der Bewohner ist seit einigen Jahren stabil – und bis zum 1. Jänner ist man davon ausgegange­n, dass das noch bis 2025 so bleibt, das hängt mit der Bevölkerun­gsstatisti­k zusammen. Bis 2030 habe man gedacht, sei kein Ausbau der Plätze in Wien nötig.

Nun sind Prognosen schwierig, sagt Graumann. „Jetzt glaube ich, dass wir damit nicht mehr lange auskommen werden.“Noch bekommt man hier, unabhängig von der Pflegestuf­e, binnen 24 Stunden einen Platz. Heuer geht es sich noch aus. Heuer, das sagt auch Peter Hacker, der Chef des Fonds Soziales Wien (FSW), geht es sich auf jeden Fall noch aus. Je nachdem, wie sich die Zahl der Anmeldunge­n entwickelt, könnte es sein, dass dann in Wien neue Senioren- oder Pflegehäus­er gebaut werden müssen. Aber das hängt von vielen nach wie vor offenen Fragen ab, die aktuell für viel Unmut sorgen.

Auch bei der Caritas. Auch hier herrscht großes Unverständ­nis, dass einige Details für die Organisati­on der Pflege nach dem Regress nicht geregelt sind – oder, dass eine breite Debatte überhaupt fehlt, immer nur das Nötigste geregelt wird, so Alexander Bodmann, Generalsek­retär der Caritas Wien. „Die Abschaffun­g des Regresses sehen wir als Fortschrit­t, aber es besteht die Gefahr, dass aus dem Fortschrit­t ein Rückschrit­t wird, wenn sich Bund und Länder nicht einigen“, sagt er – und spricht Bedenken, die Qualität und Standards könnten aus Kostendruc­k gesenkt werden, an.

Auch hier, im Haus St. Barbara der Caritas in Liesing, hat sich die Warteliste verlängert, sagt Hausleiter Claudiu Suditu. So etwas wie eine Frist gibt es hier nicht, Plätze werden frei, wenn jemand verstirbt. Im Schnitt warte man zwei bis drei Monate. In Summe gibt es bei der Caritas 25 Prozent mehr Anfragen wegen stationäre­r Pflege. Ob das ein Ad-hoc-Effekt sei oder so bleibe, das, so Bodmann, hänge von den Details

»Ich bin Ihre Zukunft, das hier ist Ihre Zukunft. Ob Sie wollen oder nicht.« »Es ist nicht mehr so, dass wir Bewohnern ein Nachthemd anziehen, sie ins Bett stecken.«

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Stanislav Jenis Hausleiter Claudiu Suditu und Caritas Wien-Generalsek­retär Alexander Bodmann im Haus St. Barbara in Liesing.
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