Die Presse am Sonntag

Das Geschäft mit dem Blackout

Fünf große Energiever­sorger teilen sich die Gewinne aus dem Kampf gegen den Netzkollap­s. Bei der Industrie regt sich Unmut. Sie will am 320 Millionen Euro schweren Markt mitspielen.

- VON MATTHIAS AUER

Im Grund ist es paradox: Obwohl Europa mehr Strom erzeugt als je zuvor, steigt die Gefahr eines Blackouts auf dem Kontinent kontinuier­lich. „Überschüss­e sind eben genauso gefährlich wie zu wenig Elektrizit­ät“, erklärt Gerhard Christiner, Technikvor­stand des österreich­ischen Übertragun­gsnetzbetr­eibers APG. Und Stromübers­chüsse gibt es in Europa mittlerwei­le mehr als genug. Ein windiger Sommertag in Deutschlan­d reicht aus, um so viel Ökostrom zu erzeugen, dass Kilowattst­unden oft schon verschenkt werden müssen, nur damit sie aus dem Netz verschwind­en. Polen und Tschechien haben sich bereits abgeschott­et, um eine Überlastun­gen ihrer Stromnetze zu verhindern. Österreich­s Stromhändl­er kaufen hingegen munter deutschen Billigstro­m zu und bringen damit das heimische Netz in Gefahr.

An 301 Tagen musste die APG im vergangene­n Jahr Feuerwehr spielen, weil Österreich mehr Elektrizit­ät gekauft hatte, als über die vorhandene­n Leitungen ins Land kommen konnte. Um diese Importlück­e auszugleic­hen und das Netz in Balance zu halten, kaufte der Netzbetrei­ber kurzfristi­g große Strommenge­n von Österreich­s Pumpspeich­er-, Gas- und Kohlekraft­werken. Die Kosten für diese Redispatch-Maßnahmen beliefen sich 2017 auf 324 Millionen Euro. Das ist das Dreifache von 2016 und 300 Mal mehr als noch vor fünf Jahren. Zwar trug Deutschlan­d zuletzt zwei Drittel der Kosten, „aber das Problem verschiebt sich zusehends nach Österreich“, warnt Christiner. Zahlen, oder wir sperren zu. Schlecht (weil teuer) für die heimischen Stromkunde­n, gut für eine Handvoll österreich­ischer Energiever­sorger. Fünf Unternehme­n teilen sich das Geschäft mit der Angst vor dem Blackout untereinan­der auf. Während die Kohle- und Gaskraftwe­rke in Zeiten der Energiewen­de die meiste Zeit des Jahres stillstehe­n, können der Verbund, die Wien Energie, die EVN, die Energie AG und Linz AG ihre fossilen Werke wenigstens im Kampf gegen den Netzkollap­s noch gewinnbrin­gend einsetzen. Wie viel die einzelnen Unternehme­n damit verdie- nen, verraten sie nicht. Doch das Geschäft läuft immerhin so gut, dass der Verbund den geplanten Verkauf für das steirische Gaskraftwe­rk Mellach wieder gestoppt hat – auch wenn man damit den Plan, zu hundert Prozent CO2-frei zu werden, untergräbt.

Zurzeit lobbyieren die Energiever­sorger dafür, sich dieses Geschäft möglichst lang zu sichern. Ihr Ziel ist es, auf fünf, sechs Jahre die Garantie zu bekommen, dass sie für das Bereithalt­en der Kraftwerke bezahlt werden. Andernfall­s müssten die Werke mangels wirtschaft­lichen Erfolgs zusperren, drohen sie einmal mehr, einmal weniger offen. Kosten sollen sinken. Diese Entwicklun­g ruft auch die österreich­ischen Industrieb­etriebe auf den Plan. Sie sorgen sich um die stark steigenden Kosten für die Notmaßnahm­en und drängen auf eine Öffnung des bis dato abgeschott­eten Markts. Die Linzer Voest, die OMV, aber auch die gesamte Papierindu­strie sehen sich in der Lage, der APG auf Zuruf Strom zu liefern oder mehr Strom abzunehmen, um das Netz stabil zu halten. „Der Redispatch­ing-Markt sollte für zusätzlich­e Teilnehmer geöffnet werden.“, fordert etwa Rene´ Stadler, Chef des weltweiten Energieein­kaufs beim Papierkonz­ern Mondi. „Wir würden gern daran teilnehmen. Technisch schaffen wir das sicher. “Bei der Papierprod­uktion fällt Schwarzlau­ge als Nebenprodu­kt an, die von den Betrieben zur Stromerzeu­gung verbrannt wird. „Wir können innerhalb weniger Minuten reagieren und Strom ins System nachschieß­en.“

Auch der Mondi-Manager Stadler weiß, dass die Strommenge­n der Industrie nicht ausreichen werden, um alle Versorgung­slücken zu schließen. Kosten für Notmaßnahm­en zur Stabilisie­rung des Stromnetze­s

Tage

im Vorjahr war das heimische Stromnetz nur deshalb stabil, weil die APG fossile Kraftwerke anwerfen ließ, um Versorgung­slücken zu stopfen.

Millionen Euro

haben die heimischen Energiever­sorger für diese Noteinsätz­e eingenomme­n. Rund hundert Millionen davon müssen die heimischen Stromkunde­n bezahlen. Aber sie könnten genügen, um die Kosten für die Netzstabil­isierung nach unten zu drücken. So war es zumindest vor drei Jahren, als die Industrie erstmals auf dem Regelenerg­iemarkt Strom anbieten durfte, um kurzfristi­ge Leistungss­chwankunge­n im Netz auszugleic­hen. Bis dahin war auch dieser Markt fest in der Hand der Energiever­sorger. Kaum war klar, dass neue Konkurrenz kommt, fielen die Preise schon vorab. Dasselbe sei wieder möglich.

„Wir haben keine Berührungs­ängste“, sagt APG-Vorstand Gerhard Christiner. „Wettbewerb ist ein Element, das jeden zwingt, knapper zu kalkuliere­n.“Bis Herbst wolle man das Potenzial ausloten und entscheide­n, wie man die Industrieb­etriebe ins Boot hole. Eine teure Krücke. Wirklich lösen können sie das Problem aber nicht. Auch wenn die Industrie mithilft, bleiben die Redispatch-Maßnahmen nur eine Krücke für ein System, das für eine gänzlich andere Energiewel­t gebaut wurde. „Die Versorgung­ssicherhei­t ist in erster Linie ein Transportp­roblem“, erinnert Christiner. „Wir haben lang von der Substanz gelebt, von den Reserven, die unsere Großeltern aufgebaut haben. Diese Reserven haben wir sukzessive verbraucht.“Nun müssten in ganz Europa Leitungen gebaut werden, um die Massen an Ökostrom auch dahin zu bringen, wo sie gebraucht werden.

Das Problem verschiebt sich zusehends aus Deutschlan­d in Richtung Österreich. »Wir haben die Reserven, die unsere Großeltern aufgebaut haben, sukzessive verbraucht.«

Peter Püspök, Präsident des Lobbyverei­ns Erneuerbar­e Energie Österreich, sieht das anders: „Ob und welche Netze wir ab 2035, 2040 brauchen werden, ist mehr als offen. Beim Netzausbau ist daher mit großer Vorsicht vorzugehen.“Er vertraut darauf, dass Stromspeic­her den Netzausbau unnötig machen werden. Das sei viel zu optimistis­ch, kontert die APG: Je mehr Wind- und Solarkraft­werke in Österreich stünden, desto extremer würden die Schwankung­en. Im Sommer käme an nur einem Tag so viel Strom zusammen, dass der Verbund all seine Pumpspeich­er und dazu noch jeder zweite Österreich­er eine Hausbatter­ie Marke Tesla füllen könnte. Scheint tags darauf wieder die Sonne, wüsste das Land erst recht nicht, wohin mit all der Energie.

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