Das Geschäft mit dem Blackout
Fünf große Energieversorger teilen sich die Gewinne aus dem Kampf gegen den Netzkollaps. Bei der Industrie regt sich Unmut. Sie will am 320 Millionen Euro schweren Markt mitspielen.
Im Grund ist es paradox: Obwohl Europa mehr Strom erzeugt als je zuvor, steigt die Gefahr eines Blackouts auf dem Kontinent kontinuierlich. „Überschüsse sind eben genauso gefährlich wie zu wenig Elektrizität“, erklärt Gerhard Christiner, Technikvorstand des österreichischen Übertragungsnetzbetreibers APG. Und Stromüberschüsse gibt es in Europa mittlerweile mehr als genug. Ein windiger Sommertag in Deutschland reicht aus, um so viel Ökostrom zu erzeugen, dass Kilowattstunden oft schon verschenkt werden müssen, nur damit sie aus dem Netz verschwinden. Polen und Tschechien haben sich bereits abgeschottet, um eine Überlastungen ihrer Stromnetze zu verhindern. Österreichs Stromhändler kaufen hingegen munter deutschen Billigstrom zu und bringen damit das heimische Netz in Gefahr.
An 301 Tagen musste die APG im vergangenen Jahr Feuerwehr spielen, weil Österreich mehr Elektrizität gekauft hatte, als über die vorhandenen Leitungen ins Land kommen konnte. Um diese Importlücke auszugleichen und das Netz in Balance zu halten, kaufte der Netzbetreiber kurzfristig große Strommengen von Österreichs Pumpspeicher-, Gas- und Kohlekraftwerken. Die Kosten für diese Redispatch-Maßnahmen beliefen sich 2017 auf 324 Millionen Euro. Das ist das Dreifache von 2016 und 300 Mal mehr als noch vor fünf Jahren. Zwar trug Deutschland zuletzt zwei Drittel der Kosten, „aber das Problem verschiebt sich zusehends nach Österreich“, warnt Christiner. Zahlen, oder wir sperren zu. Schlecht (weil teuer) für die heimischen Stromkunden, gut für eine Handvoll österreichischer Energieversorger. Fünf Unternehmen teilen sich das Geschäft mit der Angst vor dem Blackout untereinander auf. Während die Kohle- und Gaskraftwerke in Zeiten der Energiewende die meiste Zeit des Jahres stillstehen, können der Verbund, die Wien Energie, die EVN, die Energie AG und Linz AG ihre fossilen Werke wenigstens im Kampf gegen den Netzkollaps noch gewinnbringend einsetzen. Wie viel die einzelnen Unternehmen damit verdie- nen, verraten sie nicht. Doch das Geschäft läuft immerhin so gut, dass der Verbund den geplanten Verkauf für das steirische Gaskraftwerk Mellach wieder gestoppt hat – auch wenn man damit den Plan, zu hundert Prozent CO2-frei zu werden, untergräbt.
Zurzeit lobbyieren die Energieversorger dafür, sich dieses Geschäft möglichst lang zu sichern. Ihr Ziel ist es, auf fünf, sechs Jahre die Garantie zu bekommen, dass sie für das Bereithalten der Kraftwerke bezahlt werden. Andernfalls müssten die Werke mangels wirtschaftlichen Erfolgs zusperren, drohen sie einmal mehr, einmal weniger offen. Kosten sollen sinken. Diese Entwicklung ruft auch die österreichischen Industriebetriebe auf den Plan. Sie sorgen sich um die stark steigenden Kosten für die Notmaßnahmen und drängen auf eine Öffnung des bis dato abgeschotteten Markts. Die Linzer Voest, die OMV, aber auch die gesamte Papierindustrie sehen sich in der Lage, der APG auf Zuruf Strom zu liefern oder mehr Strom abzunehmen, um das Netz stabil zu halten. „Der Redispatching-Markt sollte für zusätzliche Teilnehmer geöffnet werden.“, fordert etwa Rene´ Stadler, Chef des weltweiten Energieeinkaufs beim Papierkonzern Mondi. „Wir würden gern daran teilnehmen. Technisch schaffen wir das sicher. “Bei der Papierproduktion fällt Schwarzlauge als Nebenprodukt an, die von den Betrieben zur Stromerzeugung verbrannt wird. „Wir können innerhalb weniger Minuten reagieren und Strom ins System nachschießen.“
Auch der Mondi-Manager Stadler weiß, dass die Strommengen der Industrie nicht ausreichen werden, um alle Versorgungslücken zu schließen. Kosten für Notmaßnahmen zur Stabilisierung des Stromnetzes
Tage
im Vorjahr war das heimische Stromnetz nur deshalb stabil, weil die APG fossile Kraftwerke anwerfen ließ, um Versorgungslücken zu stopfen.
Millionen Euro
haben die heimischen Energieversorger für diese Noteinsätze eingenommen. Rund hundert Millionen davon müssen die heimischen Stromkunden bezahlen. Aber sie könnten genügen, um die Kosten für die Netzstabilisierung nach unten zu drücken. So war es zumindest vor drei Jahren, als die Industrie erstmals auf dem Regelenergiemarkt Strom anbieten durfte, um kurzfristige Leistungsschwankungen im Netz auszugleichen. Bis dahin war auch dieser Markt fest in der Hand der Energieversorger. Kaum war klar, dass neue Konkurrenz kommt, fielen die Preise schon vorab. Dasselbe sei wieder möglich.
„Wir haben keine Berührungsängste“, sagt APG-Vorstand Gerhard Christiner. „Wettbewerb ist ein Element, das jeden zwingt, knapper zu kalkulieren.“Bis Herbst wolle man das Potenzial ausloten und entscheiden, wie man die Industriebetriebe ins Boot hole. Eine teure Krücke. Wirklich lösen können sie das Problem aber nicht. Auch wenn die Industrie mithilft, bleiben die Redispatch-Maßnahmen nur eine Krücke für ein System, das für eine gänzlich andere Energiewelt gebaut wurde. „Die Versorgungssicherheit ist in erster Linie ein Transportproblem“, erinnert Christiner. „Wir haben lang von der Substanz gelebt, von den Reserven, die unsere Großeltern aufgebaut haben. Diese Reserven haben wir sukzessive verbraucht.“Nun müssten in ganz Europa Leitungen gebaut werden, um die Massen an Ökostrom auch dahin zu bringen, wo sie gebraucht werden.
Das Problem verschiebt sich zusehends aus Deutschland in Richtung Österreich. »Wir haben die Reserven, die unsere Großeltern aufgebaut haben, sukzessive verbraucht.«
Peter Püspök, Präsident des Lobbyvereins Erneuerbare Energie Österreich, sieht das anders: „Ob und welche Netze wir ab 2035, 2040 brauchen werden, ist mehr als offen. Beim Netzausbau ist daher mit großer Vorsicht vorzugehen.“Er vertraut darauf, dass Stromspeicher den Netzausbau unnötig machen werden. Das sei viel zu optimistisch, kontert die APG: Je mehr Wind- und Solarkraftwerke in Österreich stünden, desto extremer würden die Schwankungen. Im Sommer käme an nur einem Tag so viel Strom zusammen, dass der Verbund all seine Pumpspeicher und dazu noch jeder zweite Österreicher eine Hausbatterie Marke Tesla füllen könnte. Scheint tags darauf wieder die Sonne, wüsste das Land erst recht nicht, wohin mit all der Energie.