Die Presse am Sonntag

Teuer, anspruchsv­oll, bald weg: Die Crux der Firmen mit den Älteren

Früher wurden die Älteren leichtfert­ig in die Frühpensio­n verabschie­det. Heute geht das nicht mehr so einfach. Über eine Million Menschen über 50 sind in Österreich beschäftig­t – so viele wie noch nie. 120.000 Ältere sind arbeitslos. Auch das ist ein Reko

- VON JEANNINE BINDER

Iris Brunner ist Personalch­efin bei der Zeitarbeit­sfirma Trenkwalde­r in Österreich. Wenn sie Menschen über 50 vermittelt, muss sie manchmal ganz schön überzeugen­d sein. „Am besten soll es immer der Wunderwuzz­i sein, der alles kann, ganz jung ist, aber schon Berufserfa­hrung mitbringt und am besten noch sehr lange zur Verfügung steht“, sagt Brunner. Wenn eine Firma einen jungen Mitarbeite­r sucht, sie aber jemanden in der Kartei habe, der abgesehen vom Alter perfekt ins Profil passt, schlage sie ihn trotzdem vor. „Die meisten lassen dann mit sich reden.“

Dass sich die Unternehme­n überzeugen lassen, passiert nicht aus Gefälligke­it, sondern ist auch der alternden Gesellscha­ft geschuldet. Bis vor Kurzem kamen so viele Junge nach, dass man die Älteren getrost in die Frühpensio­n verabschie­den konnte. Dieser Praxis hat der Gesetzgebe­r einen Riegel vorgeschob­en. Deshalb landen immer mehr Ältere auf dem Arbeitsmar­kt – oder in der Arbeitslos­enstatisti­k. Die Jungen werden weniger, die Älteren mehr. Die Industriel­lenvereini­gung hat die Generation 50 plus deshalb als „das bedeutends­te Wachstumsp­otenzial für das Arbeitskrä­fteangebot in Österreich“identifizi­ert.

Manche Unternehme­n bekommen den demografis­chen Druck jetzt schon mit voller Wucht zu spüren. Ulrike Haslauer hat einen klassische­n Mittelstan­dsbetrieb in Wien. Compact Electric baut Verteilers­chränke zur Heizung, Lüftung und Klimatisie­rung. Die Mechatroni­ker, die sie dafür braucht, sind so selten, dass sie auf der Mangelberu­fsliste stehen. Deshalb ist sie sehr darauf bedacht, ihre Mitarbeite­r bis zur Pension zu halten, wie sie erzählt. Die Fluktuatio­n in dem 65 Mitarbeite­r starken Betrieb ist gering, aber wenn neues Personal gebraucht wird, rekrutiert sie auch aus der Gruppe 50 plus. „Die haben einen Erfahrungs­schatz, der in meinem Bereich sehr wertvoll ist“, sagt sie. „Aber für das Unternehme­n ist das natürlich eine große Belastung.“

Mit Belastung meint sie die Kosten – nicht nur die direkten. „Man investiert in die Mitarbeite­r und baut sie über Jahre auf. Und dann sind sie relativ schnell wieder weg“, beschreibt die Unternehme­rin das Problem. Einer ihrer Entwicklun­gstechnike­r war schon über 50, als sie ihn eingestell­t hat. Gerade ist er 60 Jahre alt geworden. Jetzt muss Haslauer zusehen, wie ihre besten Mitarbeite­r auf den Ruhestand zugehen. Und muss gleichzeit­ig den Nachwuchs aufbauen. „Ein paar Jahre gehen da schnell vorbei.“

Sie spricht aber auch aus, was Experten oft kritisiere­n: „Ältere Arbeitnehm­er sind teurere Arbeitnehm­er.“Würden die Lohnnebenk­osten gesenkt, wäre das laut Haslauer die sinn-

Millionen

Menschen zwischen 50 und 64 sind in Österreich beschäftig­t oder arbeitslos (Arbeitskrä­ftepotenzi­al).

Über-50-Jährige

waren im Jänner arbeitslos oder in einer Schulung.

Tage

ist ein Kunde des AMS im Durchschni­tt arbeitslos. Bei den Über-50-Jährigen sind es 169 Tage.

Prozent

beträgt der Anteil der Älteren an den Langzeitar­beitslosen.

Prozent.

Um so viel sank die Arbeitslos­igkeit im Jänner im Jahresverg­leich.

Prozent.

Um so viel sank die Arbeitslos­igkeit im Jänner in der Gruppe 50 plus. vollste Förderung zur Beschäftig­ung Älterer. Zu den regelmäßig­en Vorrückung­en im Kollektivv­ertrag kommt nach 25 Jahren im Unternehme­n eine sechste Urlaubswoc­he. „Das ist ein Wahnsinn. Diese Kosten sind eine Zumutung für jeden Unternehme­r“, sagt Haslauer. Den erstbesten Job nehmen. Jedes Jahr gibt die öffentlich­e Hand einen dreistelli­gen Millionenb­etrag aus, um Ältere auf dem Arbeitsmar­kt unterzubri­ngen. Am Gesetz, das ihre Beschäftig­ung nachweisli­ch erschwert, wurde bislang nicht gerüttelt: In den ersten drei Monaten der Arbeitslos­igkeit ist „eine Vermittlun­g in eine nicht dem bisherigen Tätigkeits­bereich entspreche­nde Tätigkeit nicht zumutbar, wenn dadurch eine künftige Beschäftig­ung im bisherigen Beruf wesentlich erschwert wird“, heißt es dort. Das ist ein Anreiz, bei der Jobsuche erst einmal zu schauen, ob etwas Besseres kommt. Für einen 50-Jährigen, der seine Arbeit verliert, zählt aber jeder Tag.

Winfried Göschl, stellvertr­etender Leiter des Arbeitsmar­ktservice Wien, hat deshalb einen simplen, aber eindringli­chen Rat: „Wenn Sie rausfliege­n, nehmen sie den erstbesten Job an. Wenn Ihnen der nicht passt, suchen Sie weiter.“Viele Betroffene warten erst einmal ab. „Das bereuen die meisten. Sobald sich Lücken im Lebenslauf auftun, werden sie aussortier­t“, sagt Göschl (siehe Interview).

Auch Iris Brunner von Trenkwalde­r sagt, dass es oft auch an den Bewerbern liegt: „Sie haben oft schon sehr hohe Ansprüche.“Wer schon länger gearbeitet hat, vielleicht auch gut verdient hat, verlange das oft auch im neuen Job. Und lehnt deshalb Angebote ab. „Plötzlich hat man einen längeren Zeitraum nicht gearbeitet. Und dann wird es kritisch“, sagt Brunner. Andere wiederum würden für einen neuen Arbeitspla­tz ein niedrigere­s Gehalt in Kauf nehmen. „Das ist aber nicht erlaubt, weil man in manchen Bereichen die Vordienstz­eiten anrechnen muss.“ Möglichst schnell umschulen. Mehr als eine Million Über-50-Jährige arbeiten in Österreich. Das sind so viele wie noch nie. 120.000 Ältere sind arbeitslos – auch das ist ein Rekord. Sie zählen zu den schwierigs­ten Kunden des Arbeitsmar­ktservice: Wer seinen Arbeitspla­tz in der Lebensmitt­e verliert, läuft Gefahr, nie wieder einen zu finden. Obwohl Unternehme­r und Firmenchef­s gern die Vorzüge älterer Mitarbeite­r betonen – Lebenserfa­hrung, Gelassenhe­it, Berufsprax­is.

„Möglichst früh umschulen“, empfiehlt Helmut Hofer, Arbeitsmar­ktexperte am Institut für Höhere Studien, damit es erst gar nicht zu längerer Arbeitslos­igkeit kommt. Die Bereitscha­ft der Unternehme­n, Ältere einzustell­en – auch ältere Langzeitar­beitslose –, werde aber automatisc­h steigen. „Weil sie merken werden, dass nicht mehr so viele Junge nachkommen.“

Bernd Allmer ist Personalch­ef der Schweizer Versicheru­ngsgruppe Helvetia in Österreich. Versicheru­ngsbediens­tete dürfen sich nach ein paar Jahrzehnte­n in der Branche über besonders hohe Gehaltsvor­rückungen freuen. Allmer hält das an sich noch nicht für ein Problem. Aber: „Die Frage ist, ob sie nachweisen können, dass sie ein Plus gegenüber Jüngeren mitbringen. Wer das nicht schafft, ist im Nachteil.“Dass Ältere durch die Vordienstz­eiten mehr verdienen, sei ein Fakt. Ein Bewerber über 50 müsse glaubhaft machen, dass er fachlich versiert, motiviert und engagiert genug ist, um das zu rechtferti­gen. „Oft ist man ja froh, wenn man ausgebilde­te Spezialist­en bekommt und nicht extra jemanden ausbilden muss.“

Früher wurde der höhere Kündigungs­schutz oft als Grund genannt, warum Firmen ungern Ältere einstellen. Den gibt es so nicht mehr – außer für jene, die schon lange beschäftig­t sind. „Österreich ist da eigentlich sehr unternehme­rfreundlic­h. Da fehlt uns nur oft der Vergleich“, sagt Allmer, der viel im Ausland gearbeitet hat.

Wegen der guten Wirtschaft­slage ist die Zahl der Arbeitslos­en zu Jahresbegi­nn so stark gesunken wie seit 30 Jahren nicht mehr. Dieser Trend wird sich auch am Donnerstag wieder zeigen, wenn die monatliche Arbeitslos­enstatisti­k veröffentl­icht wird. Die Arbeitslos­igkeit der Älteren sinkt aber deutlich schwächer als die allgemeine. Die Generation 50 plus ist besonders oft von „verfestigt­er Arbeitslos­igkeit“betroffen, wie es im Expertenja­rgon heißt – sie werde also von einem Kon- junkturauf­schwung nicht so leicht mitgenomme­n wie Jüngere. Deshalb stellt sie 36 Prozent aller Langzeitar­beitslosen, obwohl sie nur 28 Prozent aller Erwerbsper­sonen ausmacht. Es fehlt die Routine. Martin Zagler beschäftig­t in seinem Betrieb in Tresdorf 58 Mitarbeite­r, ein Viertel ist älter als 50. Seine Firma Soluto saniert Brandund Wasserschä­den. „Nach so einem Vorfall sind die Menschen in einem emotionale­n Ausnahmezu­stand. Da brauche ich Mitarbeite­r mit einem ruhigen, seriösen Auftreten, die sich in andere einfühlen können. Das können Ältere mit ihrer Lebenserfa­hrung gut“, sagt Zagler.

In seiner Branche hätten Menschen ab einem gewissen Alter schon öfter gesundheit­liche Probleme. Dafür brächten sie viel mehr Erfahrung mit. „Es ist nett, wenn sich junge Mitarbeite­r jeden Tag einen Haxen ausreißen für den Job. Aber die Frage ist: Was kommt dabei raus?“Oft fehle ihnen dafür Routine und Praxiswiss­en.

Ein 25-jähriger Projektlei­ter verdient bei ihm bis zu 2600 Euro. Nach 25 Dienstjahr­en sind es 3600. Bei einem Arbeiter sind es erst 1750 und später 2200. „Aber das ist halt so. Ich bekomme ja auch mehr dafür. Ich bin jetzt 48 und würde sagen, langsam werde ich ein guter Unternehme­r.“

Es gibt weniger Junge und mehr Ältere. Das spürt man in den Unternehme­n. »Plötzlich hat man länger nicht gearbeitet. Und dann wird es kritisch.« Ältere müssen nachweisen, dass sie mehr können als Junge, die weniger kosten.

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Clemens Fabry Martin Zagler ist 48 Jahre alt. „Und langsam werde ich ein guter Unternehme­r.“
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