»45 war die Vorstufe zur Gruft«
Weil es noch genug Junge gibt, haben es Ältere auf dem Arbeitsmarkt schwer, sagt Winfried Göschl vom AMS. Es gibt aber ein Umdenken.
Unternehmen klagen über Fachkräftemangel. Gleichzeitig gibt es offenbar immer noch Hemmungen, Menschen über 50 einzustellen. Ändert sich das? Winfried Göschl: Es wird besser, weil das Bewusstsein steigt, dass die Gesellschaft altert. Altersdiskriminierung ist immer noch ein Thema. Aber auch die Personalverantwortlichen werden älter, die Babyboomer sind jetzt am Ruder. Und die rekrutieren ganz gern aus der eigenen Generation, weil man da ähnliche Einstellungen und Werte erwartet. Ältere sind besonders oft von verfestigter Arbeitslosigkeit betroffen. Ein durchschnittlicher AMS-Kunde ist 126 Tage arbeitslos, ist er über 50, sind es 169 Tage. Warum? Wenn sie ihren Job verlieren, warten viele erst einmal ab und lehnen Stellen ab, die ihnen nicht so gefallen, wo die Bezahlung nicht passt. Das bereuen die meisten. Spätestens nach einem halben Jahr, weil dann wird es deutlich schwieriger. Viele überschätzen ihre Chancen. Was raten Sie einem 50-Jährigen, der seinen Job verliert? Wenn Sie rausfliegen, nehmen sie den erstbesten Job an und wenn er Ihnen nicht passt, suchen sie weiter. Die Firmen selektieren nach Dauer der Arbeitslosigkeit, das schwöre ich Ihnen. Nach einem halben Jahr sinken die Chancen rapide ab. Es kommt dann gar nicht zum Vorstellungsgespräch, Sie werden aussortiert. Weil man Probleme mit den Betroffenen vermutet. Verstehen Sie es, wenn Unternehmen zögerlich sind, Ältere zu beschäftigen? Es gibt Faktoren, die ich nachvollziehen kann. Der Kündigungsschutz wurde gelockert. Aber es gibt immer noch das
Winfried Göschl
(55) arbeitet seit 1988 für das heutige Arbeitsmarktservice. Seit 2012 ist er stellvertretender Geschäftsführer des AMS Wien. Senioritätsprinzip bei der Bezahlung. Wenn ich eine 30-Jährige bekomme mit Berufserfahrung, warum soll ich einen 50-Jährigen nehmen, der mehr verdient? Das kann ich verstehen. Solange es ein Angebot gibt an Jüngeren, die weniger kosten, wird es für die Älteren notgedrungen schwierig bleiben. Aber die Frage ist, wie lange das so bleibt. Wir werden ein ziemliches demografisches Problem bekommen, vor allem in ländlichen Regionen. Mit 50 ist man heutzutage ja wirklich nicht mehr alt. Da hat man noch 15 Jahre bis zur Pension. Ist das den Firmen bewusst? Als ich vor 30 Jahren beim heutigen Arbeitsmarktservice angefangen habe, hätte man sich als Arbeitssuchender mit 45 gleich ins Grab legen können. Das war die Vorstufe zur Gruft. Das ist jetzt kein Thema mehr. Was können Ältere besser, was Jüngere? Ältere haben eine höhere Loyalität zum Unternehmen. Die Arbeitsmoral hat sich nach meinem Gefühl verändert: dass man sich für die Firma aufopfert, nicht auf die Überstunden schaut, arbeitet, wenn es nötig ist. Die Jungen wollen mehr Freizeit haben. Das protestantische Arbeitsethos ist nicht mehr so da wie früher. Ob das gut oder schlecht ist, traue ich mich nicht zu bewerten. Sind Ältere öfter krank? Das ist nach meiner Erfahrung eine Mär. Ältere haben ein höheres Risiko, länger krank zu sein, aber sie fallen nicht so oft aus. Jüngere haben deutlich mehr Ein- bis Zwei-Tages-Krankenstände. Das kann Unternehmer auf die Palme bringen.