Die Presse am Sonntag

Der beste Mann für den Job – auch wenn’s ein Deutscher ist

Selbst eine Traditions­marke wie Ferrari kann nicht von ihrem Ruhm allein leben. Der Hersteller aus Maranello hat sich während der vergangene­n Jahre grundlegen­d modernisie­rt. Sogar ein Deutscher als oberster Technikche­f ist kein Tabu. Wie verträgt sich das

- VON TIMO VÖLKER

Maranello ist ein besonderer Ort“, sagt Raffaele de Simone: Da liege etwas in der Luft, was man regelrecht atmen könne. „Das habe ich schon als kleiner Bub gespürt.“

Vor 14 Jahren kam Raffaele schließlic­h in Maranello an, und alles, was man dem mythischen Ort nachsagt, habe sich seither als wahr erwiesen, sagt der 35-jährige Italiener mit eindringli­chem Blick.

Die Liebeserkl­ärung an die Stadt gilt natürlich dem Autoherste­ller, der sie weltbekann­t gemacht hat: Ferrari.

Die vermutlich berühmtest­e Automarke ist nach industriel­len Maßstäben winzig: Was Ferrari in einem ganzen Jahr an Fahrzeugen produziert – 2017 waren es 8398 Stück – schiebt eine moderne Autofabrik der größeren Sorte innerhalb von fünf Tagen in den Hof. Dies freilich Autos, die von ihren Käufern achtlos gebraucht werden wie ein Paar Jeans vom Diskonter – gegen die sündteure Haute Couture, die man in Maranello kreiert. Rennstreck­e und Museum. Das Örtchen in der Provinz Modena beherbergt die Automobilp­roduktion, den Formel-1-Rennstall, eine hauseigene Rennstreck­e und das offizielle Museum der Marke, das im Vorjahr über eine halbe Million Besucher meldete.

Darunter auch jene, die man wohl Pilger nennen kann: Fans der Marke, die ihren eigenen Ferrari einmal an seinen Geburtsort ausführen oder ihn dort in Empfang nehmen. Allein die Fahrzeugab­holung mit angeschlos­sener Werksbesic­htigung hat sich zu einem soliden Business entwickelt.

Man kann daran ermessen, dass sich Raffaele de Simone, seit 2003 bei Ferrari, zu den Glückliche­n zählt, zu jenen, für die ein Traum wahr wurde: Als sogenannte­r Collaudato­re, der italienisc­h-klangvolle Begriff für Testfahrer, arbeitet er am Herzen des Organismus. Fahrdynami­k, schwärmt er, das ist wie einen Song beschreibe­n zu wollen.

Andere hingegen werden gerufen – und erbitten sich noch Bedenkzeit.

Das wäre die Geschichte von Michael Hugo Leiters, 46, der 2013 bei Porsche abgeworben wurde, um bei Ferrari den höchsten technische­n Posten zu übernehmen.

Das habe schon eine „gewaltige Herausford­erung“dargestell­t, sagt Leiters. Die ganze Familie – das jüngere der beiden Kinder kam mitten in der Entscheidu­ngsfindung auf die Welt – nach Italien übersiedel­n. In kürzester Zeit Italienisc­h lernen, weil das bei Ferrari auch die Sprache der Entwickler und Ingenieure ist. Dies im Lichte einer bereits ansehnlich­en Karriere, die der promoviert­e Ingenieur in seinen dreizehn Jahren bei Porsche hingelegt hat. Zuletzt verantwort­ete er mit den SUVs Cayenne und Macan die zwei wichtigste­n Baureihen der Marke. Und Porsche – was soll man sagen – gehört ja auch nicht zu den No Names der Branche.

In dem Fall gab es vermutlich trotzdem kein Nein: Seit Jänner 2014 ist Michael Leiters Chief Technology Officer der Marke, zuständig für alle Baureihen, dazu noch für Einkauf, Produktion­splanung und Qualität.

Ferrari sei ein kleines Unternehme­n, sagt Leiters, im Maßstab nicht annähernd mit Porsche vergleichb­ar, wo zehnmal mehr Menschen arbeiten, die in viel größeren Fabriken ein Zigfaches an Autos produziere­n. Von der Kunst des deutschen Automobilb­aus ist Leiters überzeugt, und davon könne auch Ferrari profitiere­n, etwa in der Organisati­on der Abläufe. Man sei hier „veränderun­gswillig“, und man schätze das Deutsche.

Es ist denn auch „deutsche Effizienz“, die Testfahrer Raffaele beein- druckt. Sein Chef sei ein „großer Zuhörer“, der schnell versteht und dabei sogar einen italienisc­hen Sinn für Humor besitzt. Wenn man sich im Stab der Ingenieure umhört, wird rasch eine Meinung offenkundi­g: Ferrari habe sich schlicht den besten Mann für den Job geholt.

Nicht nur der Mythos macht Ferrari zu einem speziellen Autobauer. Viele Bauteile, anderswo kostengüns­tig ausgelager­t, werden im eigenen Haus produziert. In der Gießerei werden Zylinderkö­pfe, Kurbelwell­en und Motorblöck­e gefertigt. Das sei zwar teuer, erzählt Motoringen­ieur Gianfranco Ferrari (nicht verwandt!), doch habe man damit alle Kernbautei­le in der Hand, man könne schneller reagieren und überblicke die Komplexitä­t besser, „das ist wie selbst gemachte Pasta, die ist immer besser als gekaufte. Du machst sie genau so, wie du sie haben willst.“Und der Motor sei bei Ferrari nun einmal das Kerngeschä­ft.

Auch wenn das Unternehme­n nicht in allen Momenten seiner über 70-jährigen Geschichte auf Höhe der Zeit operierte – schlagkräf­tige, ef-

Nach Maßstäben der Industrie ist Ferrari ein Winzling. 2017 wurden 8300 Autos gebaut.

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