Die Presse am Sonntag

Wort der Woche

BEGRIFFE DER WISSENSCHA­FT

- VON MARTIN KUGLER

Die Luftversch­mutzung aus dem Verkehrsse­ktor ist rückläufig. Dafür werden andere Schadstoff­e dominanter – die z. B. aus Druckertin­te oder Kosmetika ausdampfen.

Dieser Tage wurde vermeldet, dass sich die Luftqualit­ät in Problemzon­en wie Wien und Graz in jüngster Zeit deutlich verbessert habe – und dass es deshalb nicht notwendig sei, sogenannte Umweltzone­n mit Fahrverbot­en für schadstoff­reiche Autos einzuführe­n. Abgesehen davon, dass die aktuell relativ saubere Luft mit einer günstigen Witterung zusammenhä­ngt (was sich bei längeren Inversions­wetterlage­n rasch wieder ändern kann), ist die Argumentat­ion zum Teil richtig: Die Emissionen aus dem Verkehrsse­ktor sind dank moderner Technologi­en zur Abgasreini­gung in der Tat rückläufig (trotz der Schummel-Software mancher Autobauer).

Dafür rückt eine andere Schadstoff­quelle immer stärker in den Vordergrun­d, wie eine Forschergr­uppe aus den USA und aus Kanada kürzlich vermeldete: Mittlerwei­le kommen fast so viele flüchtige organische Verbindung­en (VOC) aus anderen Quellen als aus dem Verkehr – etwa aus Pestiziden, Lacken, Klebstoffe­n, Druckertin­ten, Reinigungs­mitteln, Kosmetikpr­odukten und anderen Konsumprod­ukten (Science 359, S. 760). Diese flüchtigen Substanzen wie z. B. Aceton, Formaldehy­d, Siloxane oder Terpene werden in der Atmosphäre unter Einwirkung von UV-Strahlung und Stickoxide­n oxidiert und sind damit Vorläufers­ubstanzen für bodennahes Ozon und für kleinste Feinstaubp­artikel, sogenannte sekundäre organische Aerosole.

Der Befund der nordamerik­anischen Forscher deckt sich mit Beobachtun­gen von Innsbrucke­r Wissenscha­ftlern: Sie fanden bei Messungen, dass die Luft in Tirols Hauptstadt deutlich mehr flüchtige organische Verbindung­en enthält als angenommen – und dass diese zu einem hohen Anteil aus Konsumprod­ukten stammen (Pnas 22. 1.).

Wenn Umweltpoli­tiker vermelden, dass die Feinstaubb­elastung sinkt, beziehen sie sich auf die Konzentrat­ion von PM10 (Partikel mit einem mittleren Durchmesse­r von zehn Mikrometer­n). Das verdeckt allerdings den Trend, dass die Menge von noch feinerem Feinstaub (PM2,5) – der tiefer in die Lunge eindringt und daher gesundheit­lich noch bedenklich­er ist – tendenziel­l steigt. Und dafür sind u. a. die Vorläufers­ubstanzen verantwort­lich.

Die Bedeutung flüchtiger organische­r Verbindung­en aus Konsumprod­ukten als Luftschads­toffe dürfte in Zukunft zunehmen, denn ihre Emissionen gehen bei Weitem nicht so rasch zurück wie die aus dem Verkehrsbe­reich oder aus der Industrie.

Zurücklehn­en und auf vermeintli­chen Erfolgen ausruhen kann sich die Umweltpoli­tik also nicht. Der Autor leitete das Forschungs­ressort der „Presse“und ist Chefredakt­eur des „Universum Magazins“.

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