Mehr Licht in die Sonne!
An unserem Zentralgestirn ist vieles nicht verstanden, von einem möglichen Loch ganz im Inneren bis zu extremer Hitze ganz am Rand.
In den Augen der Griechen zog Helios in voller Pracht über den Himmel, im hohen Norden hingegen sah man Sol´ auf ihrer Bahn gehetzt vom Bösen, dem Wolf Skoll. Zu den Überirdischen gehörten beide, auch anderswo wurde die Sonne verehrt, oft als Mitglied einer Götterfamilie, einmal als Alleinherrscher, Echnaton inthronisierte ihn, es war der erste Monotheismus.
Alte Geschichten, in denen viel steckt: Helios gab sein Gespann einmal aus der Hand, es wäre fast abgestürzt, Sol´ konnte sich oft nur im letzten Moment den Fängen des Wolfs entziehen. Mit solchen Erzählungen versuchte man den Schrecken zu bannen, den die Sonne brachte, wenn sie am hellen Tag vom Himmel verschwand. Aber der blieb, auch als man Finsternisse wissenschaftlich erklären konnte, und wer eine erlebt, kann sich einem Frösteln immer noch nicht entziehen. Dabei warten viele begierig darauf, denn die Sonne ist für die heutigen Astrophysiker kaum weniger geheimnisvoll, als sie es für die antiken Sterndeuter war. Und bei Finsternissen kann man etwas von ihr sehen, was man sonst nicht sieht, ihre Krone, die Korona.
Das ist die äußerste Schicht der Sonne, und bei einer Finsternis am 7. August 1869 beobachtete man in ihr eine höchst seltsame grüne Spektrallinie, sie konnte keinem bekannten Element zugeordnet werden, also postulierte man ein Neues: Coronium. 70 Jahre später bemerkte der deutsche Astronom Walter Grotrian, dass das Element ein alter Bekannter war, Eisen, allerdings in einem ionisierten Zustand, in dem bis zu 13 der 26 Elektronen abhandengekommen waren. Dazu braucht es extreme Temperaturen – Millionen Grad Kelvin –, und so brachte die Lösung des einen Rätsels ein zweites: Wo kommt die Hitze her?
Im Kern der Sonne, in dem in Wasserstoff zu Helium verbrannt wird, herrschen 15 Millionen Kelvin, dann geht es zunächst weiter wie erwartbar: In der Fotosphäre, der sichtbaren Oberfläche der Sonne, hat es sich auf 6000 Kelvin abgekühlt, im unteren Teil der darüberliegenden dünnen Atmosphäre, der Chromosphäre, auf 4000. Dann dreht es sich um, oben hat die Chromosphäre 25.000 Kelvin, und ganz außen bringt es die Korona auf bis zu 30 Millionen.
Die kann man etwa aus der Ionisation des Eisens herausrechnen. Aber wo kommen sie her, und wie? Aus dem Kern der Sonne steigt die Hitze zunächst in Konvektion in die Höhe. Das lässt Magnetfelder entstehen, und die verknäueln sich, weil die Sonne sich am Äquator rascher als an den Polen dreht und außen rascher als innen. Dadurch kommt es zu Kurzschlüssen („reconnections“) zwischen entgegengesetzt gerichteten Feldlinien, und die dabei frei werdende Energie kann Plasma aus der Sonne schleudern, Jets. Heizen die die Korona? In den 1980erJahren setzte man darauf, aber dann zeigte sich, dass sie nicht heiß genug waren. Später kam eine Spielform wieder: kurzlebige kleine Jets – Spikulen –, sie haben Millionen Grad. Flares? Nanoflares? Aber wo die Spikulen ihre Energie hernehmen, ist wieder wenig klar, und zum Heizen der ganzen Korona würde selbst die nicht reichen. Deshalb setzt man auch früh auf Wellen, zunächst auf Schall, aber der bleibt in der Chromosphäre hängen, erreicht die Korona nicht. Magnetwellen kommen hin, bei ihnen liegt jedoch der Mechanismus der Umwandlung ihrer Energie in thermische im Dunkeln. Dann gibt es noch Flares, Eruptionen in der Chromosphäre, die wieder von Magnetfeld-Kurzschlüssen kommen. Aber wo die passieren, ist die Korona nicht sonderlich heiß, sie ist es dort, wo man keine Flares beobachtet. Gemessen hat das Shin-nosuke Ishikawa (Japan Aerospace Exploration Agency), er erklärt das Heizen nun mit zahllosen Nanoflares, aber die sind Postulat (Nature Astronomy 1, S. 771).
Ganz außen ist die Sonne also ein Rätsel, ganz innen ist sie auch eines, ein jüngeres: Dort hat sie ein Loch. Sehen kann man das natürlich nicht, ins Innere dringen nur zwei Methoden, die Helioseismologie, die auf die Wellen lauscht, die durch die Sonne laufen wie Beben durch die Erde, und die Spektroskopie, die aus den Abstrahlungen der Sonne auf ihren Kern schließt. Beide zeichneten lang das gleiche Bild: Die Sonne ist ein dichter Ball aus Was- serstoff und Helium und etwa zwei Prozent „Metallen“, dazu rechnen Astrophysiker alles, was schwerer ist als Helium.
Aber 2009 störte Martin Asplund (Kopenhagen) den Frieden: Ihm war mit verfeinerter Spektroskopie aufgefallen, dass von den Metallen ein Viertel weniger da ist als früher angenommen (Annual Review of Astronomy and Astrophysics 47:481). Das entspricht immerhin 1500 Erdmassen und bringt das herkömmliche Bild der Sonne ins Wanken. Deshalb wurden Asplunds Daten zunächst als Messfehler abgetan, inzwischen sucht man Erklärungen: Die geringere Masse an Metallen könnte doch zum alten Bild passen, wenn die Metalle sich im Inneren der Sonne anders verhalten, mehr Energie aufnehmen. Das tut auch zumindest regional eines, Eisen, Jim Bailey hat es unter entsprechenden Temperaturen und Drücken gezeigt, die von der Z-Maschine der Sandia National Laboratories erzeugt wurden (Nature 517, S. 56).
Im Kern hat es 15 Mio. Kelvin, nach außen wird es kühler, ganz außen aber extrem heiß. Im Kern sind weniger Metalle als lang gedacht, zudem dreht er sich viel schneller.
Aber alle Metalle und die ganze Sonne kann man nicht simulieren, und andere Ideen entziehen sich jeder Prüfbarkeit: Aldo Serenelli (Barcelona) setzt auf dunkle Materie mitten in der Sonne. Aber niemand weiß, was dunkle Materie ist. Und niemand weiß, ob es in der Sonne CNO-Neutrinos gibt, die entstehen theoretisch bei der seltenen Fusion von Kohlenstoff, Stickstoff und Sauerstoff. Von ihnen erhofft Michael Wurm, Neutrino-Jäger am Borexino-Detektor, ein direktes Bild vom Kern, aber im Borexino wurde noch nie ein CNO-Neutrino gesichtet, und anderswo auch nicht (New Scientist 21. 10.).
Stattdessen gibt es neue Verwirrung: Ganz innen, im Kern, dreht die Sonne sich rascher als an der Peripherie. Das wusste man, man hielt die Differenz für gering (und konnte sie nicht erklären). Aber der Kern dreht sich vier Mal so schnell, Eric Fossat vom Observatorium der Coteˆ d’Azur bemerkte es (Astronomy & Astrophysics 1. 8.). Damit wird so viel ungewiss, was man über die Sonne zu wissen glaubte, dass einem ganz schwindlig wird.