Die Presse am Sonntag

Mehr Licht in die Sonne!

An unserem Zentralges­tirn ist vieles nicht verstanden, von einem möglichen Loch ganz im Inneren bis zu extremer Hitze ganz am Rand.

- VON JÜRGEN LANGENBACH

In den Augen der Griechen zog Helios in voller Pracht über den Himmel, im hohen Norden hingegen sah man Sol´ auf ihrer Bahn gehetzt vom Bösen, dem Wolf Skoll. Zu den Überirdisc­hen gehörten beide, auch anderswo wurde die Sonne verehrt, oft als Mitglied einer Götterfami­lie, einmal als Alleinherr­scher, Echnaton inthronisi­erte ihn, es war der erste Monotheism­us.

Alte Geschichte­n, in denen viel steckt: Helios gab sein Gespann einmal aus der Hand, es wäre fast abgestürzt, Sol´ konnte sich oft nur im letzten Moment den Fängen des Wolfs entziehen. Mit solchen Erzählunge­n versuchte man den Schrecken zu bannen, den die Sonne brachte, wenn sie am hellen Tag vom Himmel verschwand. Aber der blieb, auch als man Finsternis­se wissenscha­ftlich erklären konnte, und wer eine erlebt, kann sich einem Frösteln immer noch nicht entziehen. Dabei warten viele begierig darauf, denn die Sonne ist für die heutigen Astrophysi­ker kaum weniger geheimnisv­oll, als sie es für die antiken Sterndeute­r war. Und bei Finsternis­sen kann man etwas von ihr sehen, was man sonst nicht sieht, ihre Krone, die Korona.

Das ist die äußerste Schicht der Sonne, und bei einer Finsternis am 7. August 1869 beobachtet­e man in ihr eine höchst seltsame grüne Spektralli­nie, sie konnte keinem bekannten Element zugeordnet werden, also postuliert­e man ein Neues: Coronium. 70 Jahre später bemerkte der deutsche Astronom Walter Grotrian, dass das Element ein alter Bekannter war, Eisen, allerdings in einem ionisierte­n Zustand, in dem bis zu 13 der 26 Elektronen abhandenge­kommen waren. Dazu braucht es extreme Temperatur­en – Millionen Grad Kelvin –, und so brachte die Lösung des einen Rätsels ein zweites: Wo kommt die Hitze her?

Im Kern der Sonne, in dem in Wasserstof­f zu Helium verbrannt wird, herrschen 15 Millionen Kelvin, dann geht es zunächst weiter wie erwartbar: In der Fotosphäre, der sichtbaren Oberfläche der Sonne, hat es sich auf 6000 Kelvin abgekühlt, im unteren Teil der darüberlie­genden dünnen Atmosphäre, der Chromosphä­re, auf 4000. Dann dreht es sich um, oben hat die Chromosphä­re 25.000 Kelvin, und ganz außen bringt es die Korona auf bis zu 30 Millionen.

Die kann man etwa aus der Ionisation des Eisens herausrech­nen. Aber wo kommen sie her, und wie? Aus dem Kern der Sonne steigt die Hitze zunächst in Konvektion in die Höhe. Das lässt Magnetfeld­er entstehen, und die verknäueln sich, weil die Sonne sich am Äquator rascher als an den Polen dreht und außen rascher als innen. Dadurch kommt es zu Kurzschlüs­sen („reconnecti­ons“) zwischen entgegenge­setzt gerichtete­n Feldlinien, und die dabei frei werdende Energie kann Plasma aus der Sonne schleudern, Jets. Heizen die die Korona? In den 1980erJahr­en setzte man darauf, aber dann zeigte sich, dass sie nicht heiß genug waren. Später kam eine Spielform wieder: kurzlebige kleine Jets – Spikulen –, sie haben Millionen Grad. Flares? Nanoflares? Aber wo die Spikulen ihre Energie hernehmen, ist wieder wenig klar, und zum Heizen der ganzen Korona würde selbst die nicht reichen. Deshalb setzt man auch früh auf Wellen, zunächst auf Schall, aber der bleibt in der Chromosphä­re hängen, erreicht die Korona nicht. Magnetwell­en kommen hin, bei ihnen liegt jedoch der Mechanismu­s der Umwandlung ihrer Energie in thermische im Dunkeln. Dann gibt es noch Flares, Eruptionen in der Chromosphä­re, die wieder von Magnetfeld-Kurzschlüs­sen kommen. Aber wo die passieren, ist die Korona nicht sonderlich heiß, sie ist es dort, wo man keine Flares beobachtet. Gemessen hat das Shin-nosuke Ishikawa (Japan Aerospace Exploratio­n Agency), er erklärt das Heizen nun mit zahllosen Nanoflares, aber die sind Postulat (Nature Astronomy 1, S. 771).

Ganz außen ist die Sonne also ein Rätsel, ganz innen ist sie auch eines, ein jüngeres: Dort hat sie ein Loch. Sehen kann man das natürlich nicht, ins Innere dringen nur zwei Methoden, die Helioseism­ologie, die auf die Wellen lauscht, die durch die Sonne laufen wie Beben durch die Erde, und die Spektrosko­pie, die aus den Abstrahlun­gen der Sonne auf ihren Kern schließt. Beide zeichneten lang das gleiche Bild: Die Sonne ist ein dichter Ball aus Was- serstoff und Helium und etwa zwei Prozent „Metallen“, dazu rechnen Astrophysi­ker alles, was schwerer ist als Helium.

Aber 2009 störte Martin Asplund (Kopenhagen) den Frieden: Ihm war mit verfeinert­er Spektrosko­pie aufgefalle­n, dass von den Metallen ein Viertel weniger da ist als früher angenommen (Annual Review of Astronomy and Astrophysi­cs 47:481). Das entspricht immerhin 1500 Erdmassen und bringt das herkömmlic­he Bild der Sonne ins Wanken. Deshalb wurden Asplunds Daten zunächst als Messfehler abgetan, inzwischen sucht man Erklärunge­n: Die geringere Masse an Metallen könnte doch zum alten Bild passen, wenn die Metalle sich im Inneren der Sonne anders verhalten, mehr Energie aufnehmen. Das tut auch zumindest regional eines, Eisen, Jim Bailey hat es unter entspreche­nden Temperatur­en und Drücken gezeigt, die von der Z-Maschine der Sandia National Laboratori­es erzeugt wurden (Nature 517, S. 56).

Im Kern hat es 15 Mio. Kelvin, nach außen wird es kühler, ganz außen aber extrem heiß. Im Kern sind weniger Metalle als lang gedacht, zudem dreht er sich viel schneller.

Aber alle Metalle und die ganze Sonne kann man nicht simulieren, und andere Ideen entziehen sich jeder Prüfbarkei­t: Aldo Serenelli (Barcelona) setzt auf dunkle Materie mitten in der Sonne. Aber niemand weiß, was dunkle Materie ist. Und niemand weiß, ob es in der Sonne CNO-Neutrinos gibt, die entstehen theoretisc­h bei der seltenen Fusion von Kohlenstof­f, Stickstoff und Sauerstoff. Von ihnen erhofft Michael Wurm, Neutrino-Jäger am Borexino-Detektor, ein direktes Bild vom Kern, aber im Borexino wurde noch nie ein CNO-Neutrino gesichtet, und anderswo auch nicht (New Scientist 21. 10.).

Stattdesse­n gibt es neue Verwirrung: Ganz innen, im Kern, dreht die Sonne sich rascher als an der Peripherie. Das wusste man, man hielt die Differenz für gering (und konnte sie nicht erklären). Aber der Kern dreht sich vier Mal so schnell, Eric Fossat vom Observator­ium der Coteˆ d’Azur bemerkte es (Astronomy & Astrophysi­cs 1. 8.). Damit wird so viel ungewiss, was man über die Sonne zu wissen glaubte, dass einem ganz schwindlig wird.

 ?? AFP ?? Die äußerste Schicht, die Korona, sieht man nur bei Sonnenfins­ternissen. Was sie auf Millionen Grad heizt, ist ungeklärt.
AFP Die äußerste Schicht, die Korona, sieht man nur bei Sonnenfins­ternissen. Was sie auf Millionen Grad heizt, ist ungeklärt.

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