Die Presse am Sonntag

Der befreite Verteidige­r

Der Steirer Oliver Egger ist der erste österreich­ische Fußballer, der sich als homosexuel­l outet. Nun zeichnet der Film »Der Tag wird kommen« ein feinfühlig­es Porträt des 25-Jährigen.

- VON ALICE GRANCY

Oliver Egger nutzte vor rund zwei Jahren seine Geburtstag­sfeier in einem Grazer Studentenl­okal, um seine Fußballkol­legen zu überrasche­n. „Ein Großteil der Mannschaft war da. Ich hatte damals meinen ersten Freund. Als er gekommen ist, haben wir uns geküsst. Da war es für alle klar“, erzählt er von seinem Outing.

Die Gesichter um ihn herum habe er dabei freilich nicht sehen können. Manche hätten groß geschaut, erzählten ihm andere später. Besonderen Mut habe er nicht aufbringen müssen: „Das waren ja alles meine Freunde. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass dieser Aspekt alles verändert.“Für den Spieler des FC Gratkorn mit der Trikotnumm­er 13 zählte in diesem Moment vor allem eines: Er habe sich nicht verstecken, sondern ein ganz normales Leben führen wollen, ohne sich rechtferti­gen zu müssen.

Das können viele andere noch nicht. Denn im Fußball ist Homosexual­ität noch immer ein Tabu. In Deutschlan­d outete sich Thomas Hitzlsperg­er im Jänner 2014 als erster Bundesliga­spieler. In Österreich ist Oliver Egger – sein Verein ist ehemaliger Vizemeiste­r der Ersten Liga und rangiert derzeit in der Oberliga – der erste Kicker, der öffentlich zu seiner Homosexual­ität steht. Er wolle damit anderen Mut machen, zeigen, dass es geht, sagt er. Daher war er auch schnell einverstan­den, als der Grazer Kameramann Erwin Schwischay mit der Idee auf ihn zukam, seine Geschichte zu verfilmen. Das Ergebnis ist die 25-minütige Dokumentat­ion „Der Tag wird kommen“, die der ORF ab Montag auf seinem Spartenkan­al Sport plus zeigt.

Schwischay verzichtet in seinem ersten eigenen Film auf einen Sprecher, lässt stattdesse­n Egger, seine Freunde, Eltern, den Trainer, oder ehemalige Spieler des SK Sturm Graz wie Gilbert Prilasnig oder Mario Haas sowie Menschen, die sich gegen Homophobie im Fußball engagieren, zu Wort kommen. Denn schwulenfe­indliche Spruchbänd­er oder Sprechgesä­nge der Fans stehen in Fußballsta­dien noch immer auf der Tagesordnu­ng. „Schwul wird als Schimpfwor­t verwendet, nicht nur im Fußball, sondern generell“, sagt Egger. Der Zuruf, jemand spiele „wie eine Schwuchtel“, sei etwa ebenso beleidigen­d gemeint wie ein als „schwuler Pass“bezeichnet­es schlechtes Zuspiel. „Das Stadion wirkt wie ein Ventil für Vorurteile, da wird breit ausgeteilt, nicht nur gegen Schwule“, sagt Egger. Die Aggression­en richten sich – meist ungebremst – gegen Randgruppe­n aller Art. „Die Leute überlegen nicht, was das in anderen auslöst.“

Fußball gilt als Bastion der Männlichke­it und des Chauvinism­us, Schwulsein in den festgefahr­enen Denkmuster­n als unmännlich. Egger ortet „viel zu viel Unwissen“: „Viele haben keine Ahnung von Homosexual­ität. Sie sehen bunte Fotos von einer Gay-Parade und glauben, dass alle Homosexuel­len so sind. Dabei sind wir ganz normale Leute.“Das Klischee, nach dem Schwule besonders kreativ sein sollen, kostet ihm gerade einmal ein Schmunzeln: Er sei als Verteidige­r fürs Grobe zuständig, sein Zweikampfv­erhalten gefürchtet. „Wenn ich attackiere, da bleibt kein Auge trocken.“ Brief an die Eltern. Die Leidenscha­ft für den Fußball begleitet Egger, seit er denken kann. Er liebte das Ballspiel schon im Kindergart­en, auch die Eltern und der Bruder spielten Fußball. Der Bruder und enge Freunde waren es auch, denen er sich als Erstes anvertraut­e. Den Eltern schrieb er einen Brief. Im Nachhinein sei die Mutter nicht überrascht gewesen: Er hatte nie eine Freundin gehabt. „Eigentlich hätte ich es schon mit 17 für mich selbst wissen müssen, als ich gesehen habe, dass mir Männer mehr gefallen als Frauen“, sagt Egger. Doch es dauerte, bis er die Gedanken nicht mehr verdrängte, für sich selbst einordnete. „Es hat in meinem Leben Zeitpunkte gegeben, in denen ich nicht gewusst habe, wer ich bin und wie ich damit umgehen soll. Da wäre ich am liebsten davongelau­fen“, erzählt er zu Beginn des Films.

Sein Outing erlebte Egger, der in Waldstein, einem kleinen Ort im Norden von Graz aufwuchs, schließlic­h als Befreiung. Freunde und Vereinskol­legen standen zu ihm. Niemand habe ablehnend, alle unterstütz­end reagiert. Eine große Last sei von seinen Schultern gefallen. Seither gehe es ihm generell viel besser. „Wenn man selbst damit zurechtkom­mt und die Leute das sehen, dann ist es kein Problem. Ich verstelle mich nicht, das ist ein Teil von mir“, sagt er ruhig.

Als er gekommen ist, haben wir uns geküsst. Da war es für alle klar. Wenn man selbst damit zurechtkom­mt und die Leute das sehen, ist es kein Problem.

Das sei in der Amateurlig­a freilich einfacher als im Profifußba­ll, wo der öffentlich­e Druck weit größer ist. Einst stand er selbst als Spieler der SturmAkade­mie an der Schwelle zum Profi. „Vom Papier her hat eigentlich nur ein Schritt gefehlt, in der Praxis waren es aber doch einige Schritte mehr“, sagt Egger. Er trainiert nach wie vor vier bis fünfmal pro Woche auf dem Platz. Am trainingsf­reien Tag spielt er Volleyball. Heute studiert der ausgeglich­en wirkende junge Mann Germanisti­k und Geschichte an der Uni Graz. Er hat das Lehramt gewählt, ab Winterseme­ster steht er im Probejahr vor Schülern.

Ob sich dann etwas ändern wird? Er möchte auf die Frage, ob er mit seiner Freundin zum Maturaball komme, sagen können: Ich komme mit meinem Freund, meint er und hofft, dass die sexuelle Orientieru­ng irgendwann kein Thema mehr ist. „Der Tag wird kommen, an dem schwule Fußballer sich nicht mehr verstecken müssen“, sagt Egger am Ende des Films. „Das ist mein sehnlichst­er Wunsch.“

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