Warum der »Young Man Blues« wieder aktuell ist
Die Teenager-Rebellion ist ein zentrales Motiv der Popkultur – die heute aber längst allen Altersgruppen gehört.
„Im Grunde lief alles darauf hinaus, dass mit größerer Vollbeschäftigung die Teenager jetzt eine Menge Geld ausgeben konnten“: Dieser nüchterne Satz ist nicht aus einem Buch für Volkswirtschaft, sondern aus Nik Cohns sonst gar nicht so sachlicher „Pop History“. Cohn erklärte den Siegeszug des Rock’n’Roll in den 1950er-Jahren als Ergebnis einer riesigen Marktlücke: „Es war vorauszusehen, die Teens kauften einfach alles, was man ihnen vorsetzte – Motorräder, Blue Jeans, Haaröl, Pferdeschwänze, Milkshakes und, hauptsächlich, Musik. Man musste etwas nur Teen nennen, dann mussten sie es haben.“
Tatsächlich kam der Begriff „Teenage“, der in den USA etwa ab Mitte der 1930er-Jahre aufgekommen war, bald in einem Rock’n’Roll-Song vor, allerdings in durchaus wertkonservativem Zusammenhang: Von einer „teenage wedding“sang Chuck Berry 1964 in „You Never Can Tell“. Später sollten ganz andere Wortkombinationen folgen. The Who konstatierten schon 1971 in „Baba O’Riley“kulturpessimistisch (und kommerzkritisch“) ein „teenage wasteland“; 1974 sang die gewiss nicht sonderlich politische Teenie-Band The Sweet in „Teenage Rampage“hysterisch und fast apokalyptisch: „All over the land the kids are finally startin’ to get the upper hand, they’re out in the streets, they turn on the heat. And soon they could be completely in command.“
Natürlich kann man – wie Jon Savage in seinem Buch „The Creation of Youth“– diverse Vorformen dieses Teenage-Mythos suchen und finden, doch seine Blüte erreichte er erst in den Sixties – mit der Idee, dass es an der Jugend, an den Teenagern liege, die Gesellschaft zu ändern, zu revolutionieren, an den Alten vorbei, die, wie’s Bob Dylan in „The Times They Are A-Changin’“besang, einfach nicht verstehen, was da passiert: „The old world is rapidly agin’.“Mit dem Argument der zahlenmäßigen Überlegen- heit – das soziologisch in diesen geburtenstarken Jahren durchaus eine Basis hatte – kam Jim Morrison in „Five To One“: „They got the guns, but we got the numbers , we’re takin’ over!“
„In Sitten und Gebräuchen sucht die rebellierende Jugend sich so scharf wie nur möglich von der Elterngeneration zu distanzieren“, schrieb Konrad Lorenz 1974 – und beklagte, „dass die heutige, jüngere Generation ganz unzweideutig beginnt, die ältere als eine fremde Pseudospezies zu behandeln.“Davon kann heute längst nicht mehr die Rede sein. Im Gegenteil: Die Kultur und das Lebensgefühl, die einst für die Teens typisch waren, haben allmählich auch die älteren Lebensjahrzehnte erobert: Heute können Fünfzigjährige mit Teens und Twens in denselben Bars stehen und (wenn die Haarwurzeln noch mitmachen) dieselben Frisuren tragen, während der DJ „Teenage Kicks“von den Undertones oder „Teenage Riot“von Sonic Youth auflegt . . .
Man kann das positiv sehen: Wie in der Evolution höhere, kognitiv flexiblere Tiere eine längere Kindheit haben und später reifen als primitivere, so geht auch der kulturelle Fortschritt in Richtung der Verlängerung der Jugend, der Adoleszenz, der Lehr- und Wanderjahre. Das kann eine Gesellschaft dynamischer, flexibler machen, das hat auch die Aufbruchsstimmung im Österreich der Siebzigerjahre, von der sogar Konservative schwärmen, katalysiert. Heute freilich läuft in den meisten Industriestaaten parallel zur Verjugendlichung des Lebensstils eine De-facto-Alterung.
Was eine paradoxe Folge haben kann: Wenn alle immer jung sein wollen, was bleibt dann den Jungen? Kulturell, aber auch finanziell? „The young man ain’t got nothing in the world these days“, sang Mose Allison 1957 im „Young Man Blues“: Diese Klage gewinnt im laufenden Umbau der Sozialsysteme ganz neue Aktualität.