Die Presse am Sonntag

Die fatalen Folgen des Superfood-Hypes

Avocado, A¸ca´ı, Chia, Goji, Quinoa – in der westlichen Welt boomt das Geschäft mit exotischen Nahrungsmi­tteln. Die Produkte aus der Ferne verspreche­n Gesundheit und Schönheit. Doch in den Herkunftsl­ändern schafft der Trend Probleme: kaputte Böden, Wasser

- VON ANDREAS FINK, MARLIES KASTENHOFE­R UND JULIA RAABE

Lange mussten die Menschen aus Michoacan´ fortziehen. Die Provinz im Westen Mexikos war arm und dicht bewaldet. Doch nun sind viele zurückgeke­hrt – nachdem im Norden ein Heißhunger auf das einsetzte, was jetzt „grünes Gold“genannt wird. Wer heute auf die Purepecha-´Hochebene kommt, der sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht, an denen jene grünen Gewächse reifen, nach denen sich eine schlankhei­ts- und gesundheit­svernarrte Welt schier verzehrt.

„Ahuacatl“hießen die Früchte schon vor der Ankunft der spanischen Kolonialhe­rren. Weil die Gewächse stets paarweise an den Bäumen baumeln, verwendete­n die Azteken dafür dasselbe Wort wie für die männlichen Hoden. Heute exportiert Michoacan´ sie als „Avocados from Mexico“vor allem über die Nordgrenze, wo sich der Konsum seit der Jahrtausen­dwende versiebenf­acht hat. 2,8 Kilogramm davon verdrückt jeder US-Bürger heute im Durchschni­tt, im Jahr 2000 lag der Jahreskons­um noch bei 400 Gramm. Auch in Europa steigt die Nachfrage nach dem „grünen Gold“seit Jahren rasant an. Weil Mexiko mehr als 30 Prozent aller Avocados weltweit produziert, nahm das Land im Vorjahr mehr als zwei Milliarden Dollar ein, meldete das mexikanisc­he Wirtschaft­sministeri­um. Das ist die eine Seite dieser Geschichte.

Die andere ist schwer zu übersehen, wenn man sich vor Ort umsieht. An der Einfahrt nach Tanc´ıtaro, einem Ort mit bunten Fassaden, der idyllisch zwischen Hügeln und inmitten grüner Haine liegt, steht ein Bunker am Straßenran­d. In diesem halten schwer bewaffnete Männer einer lokalen Bürgerwehr Wache. Diese Selbstschu­tzgruppe, ausgestatt­et mit automatisc­hen Waffen aus US-Gunstores, operiert inzwischen mit dem Segen der Provinzreg­ierung, nachdem es ihr 2015 gelang, das Kartell der „Tempelritt­er“zu vertreiben. Die Bande hatte an allen Stationen der Avocado-Produktion Schutzgeld­er erpresst – von Tagelöhner­n bis zu Exportbetr­ieben. Allein 2013 sollen die „caballeros templarios“100 Millionen Dollar aus Michoacans´ Avocado-Export gequetscht haben.

Nun, so berichten mexikanisc­he Experten für organisier­te Kriminalit­ät, habe das aufstreben­de Kartell „Jalisconue­va generacion“´ Appetit auf das grüne Gold bekommen. In Tanc´ıtaro hat die Bürgerwehr daher ständig 20 Kontrollpo­sten besetzt, denn es gibt Schätze zu schützen: Fünf Prozent aller weltweit konsumiert­en Avocados stammen aus dem Gemeindege­biet. Was hier unter idealen Bedingunge­n auf etwa 1700 Höhenmeter­n Seehöhe wächst, ist fast ausschließ­lich Premium-Qualität, die zu Bestpreise­n exportiert wird, vor allem nach Japan. Weil die Nachfrage aus aller Welt ständig steigt und in dieser Gegend noch ausreichen­d Wasser zur Verfügung steht, werden Wälder gerodet und ständig neue Plantagen angelegt.

700 Hektar Wald verliert Michoa- can´ jedes Jahr, die Fläche von 1000 Fußballfel­dern. Oft findet diese Landgewinn­ung im Schatten der Altbäume statt, zwischen die Landwirte Avocadoset­zlinge pflanzen. Später berauben die Pflanzer die ursprüngli­chen Fichten und Eichen ihrer Rinde, bis diese austrockne­n und gefällt werden müssen.

Nicht alles davon erfolgt legal. Michoacans´ Behörden wissen offiziell von 120.000 Hektar Anbaufläch­en, aber tatsächlic­h sind es mindestens 20.000 Hektar mehr. In 46 der 113 Munizipien des Staates werden Avocados geerntet, damit erzeugt Michoacan´ vier Fünftel der nationalen Produktion.

Diese große Bedeutung mag die Laxheit der Behörden erklären: Ein französisc­hes TV-Team sah sich im Vorjahr mit versteckte­r Kamera in den Geschäften um, die Mittel für den Pflanzensc­hutz anbieten. Der Verkäufer riet mit dem Hinweis, diese benutzten doch alle, ungerührt zu verbotenen organische­n Phosphorve­rbindungen. Später fanden die Reporter Flaschen mit diesen hochgiftig­en Insektizid­en bei den Landarbeit­ern, die kaum geschützt die Früchte damit einnebeln – auch hart bis an die Ortsgrenze­n.

In einer Schule, umstellt von Acovadobäu­men, klagten mehrere Lehrerinne­n über ungewollte Schwangers­chaftsabbr­üche und über massive Fehlbildun­gen bei den verlorenen Föten. In Haarproben von Schülern und Lehrern fand ein französisc­hes Speziallab­or schließlic­h fünf bis elf toxische Substanzen. Geplatzte Träume. Nicht nur in Mexiko hat der Avocado-Hype fatale Folgen, sondern auch in anderen Anbau-Ländern. Zum Beispiel in Südafrika. Der Grund: Avocados, in Plantagen angebaut, brauchen extrem viel Wasser – rund 1000 Liter für ein Kilogramm, das entspricht etwa zweieinhal­b Früchten. „Vor allem in Südafrika hat dieser Plantagenb­au dazu geführt, dass ganze Landstrich­e plötzlich Wassernots­tandsgebie­te wurden“, sagt der Agrarwisse­nschaftler Wilfried Bommert vom Institut für Welternähr­ung in Nümb- recht, Nordrhein-Westfalen. Die Probleme, die mit diesen Monokultur­en einhergehe­n, fasst er so zusammen: „Sie saugen den Boden aus, nehmen das Wasser weg, und dann bleibt nichts für die folgenden Generation­en.“

So erging es auch den Landwirten in Bolivien, als der Hype um Quinoa einsetzte, das Wunderkorn aus dem Andenhochl­and, angebaut seit Jahrtausen­den und entdeckt durch die USRaumfahr­tbehörde Nasa. Ein Korn, gewonnen mit jahrtausen­dealten Techniken und Weisheit. Und ohne Chemie. Es war ein Boom, der armen Bauern langfristi­ge Perspektiv­en auf Wohlstand eröffnen sollte.

Wer heute nach Chantani kommt, kann die Ruinen dieses Traums besichtige­n. Zerfallen sind viele Häuser dieses Dorfes auf den Vorhügeln des schneebede­ckten Vulkans Tunupa. In der Ebene unter dem Dorf breitet sich der Salzsee von Uyuni aus, eine weiße Wüste, so groß wie Kärnten. Nur noch drei Familien wohnen in Chantani, der Rest zog fort, zumeist in die nahe gelegene Provinzsta­dt Uyuni im Südwesten Boliviens, die von immer mehr Touristen besucht wird. Früher blühten die Hänge in dieser Gegend auf 3700 Metern Seehöhe gelb und blau und vor allem rot, geerntet wurde im April.

Golden an Quinoa ist sein Kern: doppelt so viele Proteine wie Reis, reich an Kalzium, Magnesium und Kalium. Das einzige Nahrungsmi­ttel, das

Die Azteken verwendete­n für die Frucht dasselbe Wort wie für die Hoden: Ahuacatl. » In Südafrika wurden durch den Anbau ganze Landstrich­e zu Wassernots­tandsgebie­ten. «

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Getty Images Eine chinesisch­e Bäuerin erntet Goji-Beeren. Ein Großteil der Früchte stammt aus der Provinz Niangxia.
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