Die fatalen Folgen des Superfood-Hypes
Avocado, A¸ca´ı, Chia, Goji, Quinoa – in der westlichen Welt boomt das Geschäft mit exotischen Nahrungsmitteln. Die Produkte aus der Ferne versprechen Gesundheit und Schönheit. Doch in den Herkunftsländern schafft der Trend Probleme: kaputte Böden, Wasser
Lange mussten die Menschen aus Michoacan´ fortziehen. Die Provinz im Westen Mexikos war arm und dicht bewaldet. Doch nun sind viele zurückgekehrt – nachdem im Norden ein Heißhunger auf das einsetzte, was jetzt „grünes Gold“genannt wird. Wer heute auf die Purepecha-´Hochebene kommt, der sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht, an denen jene grünen Gewächse reifen, nach denen sich eine schlankheits- und gesundheitsvernarrte Welt schier verzehrt.
„Ahuacatl“hießen die Früchte schon vor der Ankunft der spanischen Kolonialherren. Weil die Gewächse stets paarweise an den Bäumen baumeln, verwendeten die Azteken dafür dasselbe Wort wie für die männlichen Hoden. Heute exportiert Michoacan´ sie als „Avocados from Mexico“vor allem über die Nordgrenze, wo sich der Konsum seit der Jahrtausendwende versiebenfacht hat. 2,8 Kilogramm davon verdrückt jeder US-Bürger heute im Durchschnitt, im Jahr 2000 lag der Jahreskonsum noch bei 400 Gramm. Auch in Europa steigt die Nachfrage nach dem „grünen Gold“seit Jahren rasant an. Weil Mexiko mehr als 30 Prozent aller Avocados weltweit produziert, nahm das Land im Vorjahr mehr als zwei Milliarden Dollar ein, meldete das mexikanische Wirtschaftsministerium. Das ist die eine Seite dieser Geschichte.
Die andere ist schwer zu übersehen, wenn man sich vor Ort umsieht. An der Einfahrt nach Tanc´ıtaro, einem Ort mit bunten Fassaden, der idyllisch zwischen Hügeln und inmitten grüner Haine liegt, steht ein Bunker am Straßenrand. In diesem halten schwer bewaffnete Männer einer lokalen Bürgerwehr Wache. Diese Selbstschutzgruppe, ausgestattet mit automatischen Waffen aus US-Gunstores, operiert inzwischen mit dem Segen der Provinzregierung, nachdem es ihr 2015 gelang, das Kartell der „Tempelritter“zu vertreiben. Die Bande hatte an allen Stationen der Avocado-Produktion Schutzgelder erpresst – von Tagelöhnern bis zu Exportbetrieben. Allein 2013 sollen die „caballeros templarios“100 Millionen Dollar aus Michoacans´ Avocado-Export gequetscht haben.
Nun, so berichten mexikanische Experten für organisierte Kriminalität, habe das aufstrebende Kartell „Jalisconueva generacion“´ Appetit auf das grüne Gold bekommen. In Tanc´ıtaro hat die Bürgerwehr daher ständig 20 Kontrollposten besetzt, denn es gibt Schätze zu schützen: Fünf Prozent aller weltweit konsumierten Avocados stammen aus dem Gemeindegebiet. Was hier unter idealen Bedingungen auf etwa 1700 Höhenmetern Seehöhe wächst, ist fast ausschließlich Premium-Qualität, die zu Bestpreisen exportiert wird, vor allem nach Japan. Weil die Nachfrage aus aller Welt ständig steigt und in dieser Gegend noch ausreichend Wasser zur Verfügung steht, werden Wälder gerodet und ständig neue Plantagen angelegt.
700 Hektar Wald verliert Michoa- can´ jedes Jahr, die Fläche von 1000 Fußballfeldern. Oft findet diese Landgewinnung im Schatten der Altbäume statt, zwischen die Landwirte Avocadosetzlinge pflanzen. Später berauben die Pflanzer die ursprünglichen Fichten und Eichen ihrer Rinde, bis diese austrocknen und gefällt werden müssen.
Nicht alles davon erfolgt legal. Michoacans´ Behörden wissen offiziell von 120.000 Hektar Anbauflächen, aber tatsächlich sind es mindestens 20.000 Hektar mehr. In 46 der 113 Munizipien des Staates werden Avocados geerntet, damit erzeugt Michoacan´ vier Fünftel der nationalen Produktion.
Diese große Bedeutung mag die Laxheit der Behörden erklären: Ein französisches TV-Team sah sich im Vorjahr mit versteckter Kamera in den Geschäften um, die Mittel für den Pflanzenschutz anbieten. Der Verkäufer riet mit dem Hinweis, diese benutzten doch alle, ungerührt zu verbotenen organischen Phosphorverbindungen. Später fanden die Reporter Flaschen mit diesen hochgiftigen Insektiziden bei den Landarbeitern, die kaum geschützt die Früchte damit einnebeln – auch hart bis an die Ortsgrenzen.
In einer Schule, umstellt von Acovadobäumen, klagten mehrere Lehrerinnen über ungewollte Schwangerschaftsabbrüche und über massive Fehlbildungen bei den verlorenen Föten. In Haarproben von Schülern und Lehrern fand ein französisches Speziallabor schließlich fünf bis elf toxische Substanzen. Geplatzte Träume. Nicht nur in Mexiko hat der Avocado-Hype fatale Folgen, sondern auch in anderen Anbau-Ländern. Zum Beispiel in Südafrika. Der Grund: Avocados, in Plantagen angebaut, brauchen extrem viel Wasser – rund 1000 Liter für ein Kilogramm, das entspricht etwa zweieinhalb Früchten. „Vor allem in Südafrika hat dieser Plantagenbau dazu geführt, dass ganze Landstriche plötzlich Wassernotstandsgebiete wurden“, sagt der Agrarwissenschaftler Wilfried Bommert vom Institut für Welternährung in Nümb- recht, Nordrhein-Westfalen. Die Probleme, die mit diesen Monokulturen einhergehen, fasst er so zusammen: „Sie saugen den Boden aus, nehmen das Wasser weg, und dann bleibt nichts für die folgenden Generationen.“
So erging es auch den Landwirten in Bolivien, als der Hype um Quinoa einsetzte, das Wunderkorn aus dem Andenhochland, angebaut seit Jahrtausenden und entdeckt durch die USRaumfahrtbehörde Nasa. Ein Korn, gewonnen mit jahrtausendealten Techniken und Weisheit. Und ohne Chemie. Es war ein Boom, der armen Bauern langfristige Perspektiven auf Wohlstand eröffnen sollte.
Wer heute nach Chantani kommt, kann die Ruinen dieses Traums besichtigen. Zerfallen sind viele Häuser dieses Dorfes auf den Vorhügeln des schneebedeckten Vulkans Tunupa. In der Ebene unter dem Dorf breitet sich der Salzsee von Uyuni aus, eine weiße Wüste, so groß wie Kärnten. Nur noch drei Familien wohnen in Chantani, der Rest zog fort, zumeist in die nahe gelegene Provinzstadt Uyuni im Südwesten Boliviens, die von immer mehr Touristen besucht wird. Früher blühten die Hänge in dieser Gegend auf 3700 Metern Seehöhe gelb und blau und vor allem rot, geerntet wurde im April.
Golden an Quinoa ist sein Kern: doppelt so viele Proteine wie Reis, reich an Kalzium, Magnesium und Kalium. Das einzige Nahrungsmittel, das
Die Azteken verwendeten für die Frucht dasselbe Wort wie für die Hoden: Ahuacatl. » In Südafrika wurden durch den Anbau ganze Landstriche zu Wassernotstandsgebieten. «