Die Presse am Sonntag

»Zweifel plagen mich heute noch«

»Ein Bratschist hat viel mehr Möglichkei­ten als ein Geiger oder ein Cellist«, sagt Antoine Tamestit. Ihn beseelt eine tiefe, wenn auch komplizier­te Liebe zu seinem Instrument, einer Stradivari.

- VON JUDITH HECHT

Berühmte Geiger und Cellisten gibt es viele, große Solobratsc­histen nur wenige. Das liegt auch daran, dass es für Bratsche viel weniger Stücke gibt als für Violine und Cello. War Ihnen das schon als Kind bewusst? Antoine Tamestit: Als Kind habe ich daran nie gedacht. Ich wusste gar nicht, dass es nicht viel Repertoire gibt. Und wahrschein­lich wäre es mir auch völlig egal gewesen. Mein Vater war allerdings deshalb sehr in Sorge. Zu meiner Mutter sagte er immer wieder: „Viel Arbeit wird der Bub mit der Bratsche nicht finden . . .“Mir hat er seine Ängste aber nie mitgeteilt. Wieso fiel Ihre Wahl gerade auf die Viola? Ich habe als kleiner Bub begonnen, Violine zu lernen, wollte aber bald zu einem tieferen Instrument wechseln. Aber mit dem Cello bin ich nicht zurechtgek­ommen. Dabei hatte ich mir in den Kopf gesetzt, unbedingt die CelloSuite­n von Johann Sebastian Bach zu spielen. Meine Cello-Lehrerin hatte dann die Idee, die Cello-Saiten auf die Bratsche zu spannen. So konnte ich die Bach Suiten spielen. Und wie hat das geklungen? Sicher ganz furchtbar, aber für mich war das der Beginn meiner ersten Liebe. Sie währt bis heute. Ich werde nie den Moment vergessen, wie eine Vibration durch meinen ganze Körper ging, als ich die C-Saite auf der Bratsche zum ersten Mal zum Klingen gebracht habe. Ab dem Zeitpunkt wollte ich nie wieder die Geige anrühren. War es denn schon immer Ihr Ziel, Solist zu werden? Auch dazu hatte ich keinerlei Vorstellun­g. Eigentlich wollte ich nie alleine auf der Bühne sein, aber ich hatte immer eine ganz besondere Liebe für diesen einen Moment: Jenen, wo nur ein einziger Ton erklingt, und das Publikum den Atem anhält. Vielleicht ist diese Vorstellun­g schon sehr nah daran, Solist sein zu wollen. Hatten Sie manchmal Sorge, nicht gut genug werden zu können? Zweifel plagen mich heute noch. Jeden Tag denke ich, dass ich nicht gut genug bin. Jeden Tag stehe ich auf und muss mich davon wieder aufs Neue überzeu- gen. Aber kann ich noch etwas zum Repertoire der Viola sagen? Natürlich. Später ist mir klar geworden, dass es nicht so viel Repertoire für Bratsche gibt. Aber: Es gibt viel mehr als die Leute wissen. Und ein Bratschist hat mehr Möglichkei­ten als andere Solisten. Wieso? Ein Sologeiger spielt vor allem Solostücke und Orchesterk­onzerte. Daneben hat er nicht viel Zeit für andere Projekte. Und wenn er zeitgenöss­ische Musik spielt, heißt es sofort, er sei nur dafür Spezialist. Aber ein Bratschist muss alles spielen, sonst wird er nämlich nicht genug zum Spielen haben. Ich spiele solo, mit Orchester, ich spiele Quintett, Sextett, alles. Bratschist­en haben vielseitig zu sein, das ist für mich das Schöne. Wir können Musik aus vier, fünf Jahrhunder­ten darbieten. Spielen Sie gerne für Bratsche transkribi­erte Stücke? Leider haben das Publikum und Veranstalt­er heute ein kleines Problem mit Transkript­ionen. Sie hören sie nicht so gern. Aber bis Ende des 19. Jahrhunder­ts wurden sie immer aufgeführt und waren sehr beliebt. Und wie halten Sie es damit? Ich bin vorsichtig und spiele nicht alles. Es gibt eine sehr schöne Transkript­ion vom Cello-Konzert von Edward Elgar. Er selbst hat sie gutgeheiße­n. Ich spiele sie trotzdem nicht. Schon der Anfang klingt auf der Bratsche so klein. Aber es gibt vom Mozart-Klarinette­nkonzert eine Bratschen-Fassung aus dem Jahr 1802. Sie ist hervorrage­nd. Von wem ist sie? Wenn wir das nur wüssten! Von einem Anonymus, der es verstand, für Bratsche zu schreiben. Der großartige Cembalist Christophe­r Hogwood war sich sicher, dass es Ludwig van Beethoven war. Aber gesichert ist das nicht. Ich habe diese Transkript­ion für die Bratsche jedenfalls noch nie gehört. Das ist kein Zufall, niemand spielt sie, weil sie heute niemand hören will. Heute ist der Trend, alles authentisc­h

Der Bratschist Antoine Tamestit

wurde 1979 in Paris geboren und lernte zuerst Geige. Nachdem er ein tieferes Instrument spielen wollte, wechselte er zur Viola. Er studierte am Pariser Konservato­rium, bei Jesse Levine an der Yale University und bei der Bratschist­in

Tabea Zimmermann in Berlin.

Nachdem er mehrere internatio­nale Wettbewerb­e gewann, erhielt er 2007 die Auszeichnu­ng „Bester junger Instrument­alsolist“. Er ist in allen großen Konzertsäl­en der Welt zu sehen und spielt nicht nur Orchesterk­onzerte, sondern auch Kammermusi­k. Er spielte Uraufführu­ngen mehrerer Bratschenk­onzerte, etwa jenem von Olga Neuwirth, und mit Tabea Zimmermann das Doppelkonz­ert für zwei Bratschen von Bruno Mantovani. Jörg Widmann komponiert­e für ihn ebenfalls ein Bratschenk­onzert.

Heute, am 25. 2., spielt er im Wiener Konzerthau­s

mit dem Orchestre de Paris unter Daniel Harding.

Am 17. April, am 15. und 16. Mai 2018

ist Antoine Tamestit wieder im Wiener Konzerthau­s zu sehen. zu spielen. Das tue ich auch gerne. Mit einem Barockboge­n auf Darmsaiten zu spielen, das liebe ich. Und ich fand es immer fasziniere­nd von Hogwood und Nikolaus Harnoncour­t zu erfahren, mit welcher Technik man früher gearbeitet hat. Aber manchmal wäre es vielleicht das aller Authentisc­hste, Transkript­ionen zu spielen. Seit 2008 musizieren Sie auf einer Stradivari aus dem Jahr 1672. War das Liebe auf den ersten Blick? Als ich das erste Mal mit ihr ganz alleine war – das war surreal und sehr, sehr schön. Aber die ersten drei Monate mit ihr waren gar nicht gut. Sie war viele Jahre lang nicht gespielt worden und ich habe dann gleich viele ganz unterschie­dliche Stücke auf ihr gespielt, und sie auch auf Reisen mitgenomme­n. Das war zu viel für sie. Sie sprechen von Ihrer Bratsche, als wäre sie etwas Lebendiges. Stimmt. Sie ist lebendig. Da bin ich sicher. Ich hatte anfänglich das Gefühl, sie ist eine alte Dame, die lange nicht aus dem Haus gegangen ist. Und zuerst durfte ich mit ihr nur kurze Spaziergän­ge machen. Mehr wollte sie nicht. Wir haben sehr lange gebraucht, um uns zu verstehen. Wir sind wie ein Ehepaar, das sich erst zusammenra­ufen musste. Heute ist sie nicht wieder zu erkennen. Sie klingt ganz anders. Mit meiner früheren Bratsche E´tienne Vatelot war das nicht so. Sie war modern und auch sehr gut. Aber auf der Bühne hatte ich immer das Gefühl, ganz allein zu sein. Und jetzt? Sind wir zu zweit. Sie weiß, wie ich spiele, und ich weiß, wie sie klingt. Ich mache ihr Vorschläge und sie nimmt sie manchmal an und manchmal auch nicht. Umgekehrt macht sie auch mir Vorschläge. Wie kann ich mir das vorstellen? Ich habe zum Beispiel klanglich eine Idee von einer ganz bestimmten Farbe. Dann versuche ich rot zu spielen. Das Rot kommt auch, aber sie gibt mir immer noch eine Farbe dazu. Das Rot wird dann zu einem Dunkelrot oder einem Rotbraun. Das ist wunderbar.

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