Auf Tauchgang in einer diffusen
Die 68. Berliner Filmfestspiele boten dieses Jahr – wie immer – Vielfalt an der Grenze zur Beliebigkeit und einen durchwachsenen Wettbewerb, der Kritik an politischen Missständen übte, insbesondere an reaktionär-autoritären Systemen. Aber auch ein paar Üb
Der Mann mit der Gesichtsbandage sitzt auf dem Balkon und streichelt seinen weißen Pudel. Vor ihm eine Lücke im Geländer, geschlossen durch ein Absperrband. Von links kommen zwei Polizisten – oder sind es Privatdetektive? – und beginnen mit dem Verhör. Was hier wohl passiert ist? Doch während man sich das fragt, fährt die Kamera langsam zurück und öffnet den Blick auf einen weiteren Balkon. Und einen weiteren. Und einen weiteren. Ein regelrechtes BalkontheaterMosaik füllt plötzlich die Leinwand, und jedes Teilstück birgt eine andere Geschichte, ein anderes Schicksal, ein neues Thema. Überfordert springt das Auge von einer Mini-Erzählung zur nächsten, meist zu spät, um die wesentlichen Details zu erfassen. Haben die Handlungsstränge etwas miteinander zu tun? Sind die Bildparzellen durchlässig, oder bleibt jede in ihrer eigenen Raumzeit gefangen? Manchmal glaubt man, einen Austausch auszumachen, doch ganz sicher ist man sich nie. Und am Ende geht alles wieder von vorn los – als hätte es nie einen Anfang gegeben.
„Accidence“, ein Kurzfilm von Guy Maddin, Evan und Galen Johnson, zählt zu den bestechendsten Experimentalminiaturen der diesjährigen Berlinale. Und er funktioniert ganz gut als Metapher für das Festival, auf dem er läuft. Man braucht sich statt Balkonen bloß Kinos denken – oder Programmsektionen – und man bekommt eine ungefähre Vorstellung von der Zerstobenheit des weitläufigen Filmevents. An die 400 Filme laufen hier jedes Jahr in quer über die Spreemetropole verteilten Spielstätten und unterschiedlich profilierten Sparten. Es ist völlig unmöglich, sich über alle einen Überblick zu verschaffen. Journalisten, Cinephile, Kuratoren, Fans und das von den Leitern beschworene, „ganz normale“Publikum: Letztlich erlebt jede Gruppe ein anderes Festival. Ganz zu schweigen von den Besuchern des wuselnden Filmmarkts, die in ihrer eigenen Parallelwelt bereits im Bilderpool der Zukunft fischen. Nur in der klirrenden Kälte am Potsdamer Platz sind alle unter graublauem Himmel im Zittern und Zähneklappern vereint. Festival ohne Charakter? Das alles kann man – wie Direktor Dieter Kosslick – als Triumph der Vielfalt feiern, passend zum Schmelztiegel Berlin. Oder man kann es – wie Kosslicks Kritiker, die ihn heuer noch vehementer an die Kandare nahmen als sonst – als Zeugnis einer Beliebigkeit schelten, die dem Festival jeden Charakter raubt. So oder so muss man zugeben, dass gerade das Diffuse und Verschwommene am Programm der Berlinale ihr zentrales Alleinstellungsmerkmal darstellt.
Bei A-Festivals wie Cannes und Venedig fährt man weitgehend auf Schiene. Berlin ist eine Wolke, die kein Oben und kein Unten kennt. Es sei denn, man reduziert die Veranstaltung auf ihren Wettbewerb, der sich schon seit längerer Zeit als welt- und gesellschaftspolitischer Problemkatalog versteht. Jeder zweite Beitrag ist ein Hinweisschild: Dies ist ein Missstand, nehmen Sie ihn zur Kenntnis! Daneben gibt es traditionsgemäß ein paar deutsche Filme, ein paar Starfilme und eine Handvoll qualitativer Ausreißer mit ästhetischem Anspruch. Das war auch dieses Jahr nicht anders.
Eine Sorgenfalte galt dabei dem Rechtsruck in Europa und anderswo. Mehrere Arbeiten widmeten sich reaktionär-autoritären Systemen und ihren Ausgrenzungs- und Unterdrückungsmechanismen. Schon der vergnügliche Eröffnungsfilm, das Hunde-Animationsabenteuer „Isle of Dogs“, war in einer für den Guckkastenbastler Wes Anderson ungewohnten Weise direkt in seiner Anklage von Populismus und Hetze. „Twarz“von Małgorzata Szumowska (eine von vier Regisseurinnen im Wettbewerb) verpackte Kritik an den politischen Entwicklungen in Polen in eine simple, aber berührende Provinzparabel über einen Mann, der sich nach einem Arbeitsunfall einer Gesichtstransplantation unterziehen muss – und sich daraufhin auf der Außenseite der eingeschworenen Dorfgemeinschaft wiederfindet.
Der Russe Alexey German Jr. ließ in „Dovlatov“die bleierne Post-Tauwetter-Zeit der Sowjetunion wieder auferstehen, deren künstlerische Kältestarre große Dichter wie den Titelhelden oder Joseph Brodsky ins Exil trieb. Der Vergleich mit dem Russland der Gegenwart bietet sich an, ohne sich aufzudrängen. Auch der philippinische Nationalchronist Lav Diaz setzte in seinem vierstündigen A-cappella-Musical „Ang Panahon ng Halimaw“Opfern einer Diktatur ein Denkmal, gießt das Leid seiner Heimat unter der Präsidentschaft von Ferdinand Marcos in kraftvolle Klagegesänge und gemeißelte Schwarz-Weiß-Bilder.
Jeder zweite Beitrag ist wie ein Hinweisschild auf dem steht: Dies ist ein Missstand! Eine Sorgenfalte des Festivals galt dem Rechtsruck in Europa und anderswo.
Diese zwei Filme zählen mit ihrer markanten Formensprache zu den künstlerischen Höhepunkten des Hauptprogramms, so wie Christian Petzolds „Transit“, die Verfilmung eines Romans von Anna Seghers. Der deutsche Autorenfilmer legt wie selbstverständlich eine Gegenwartsschablone über Seghers’ Geschichte einer