Die Presse am Sonntag

Börsenspek­ulant Jedermann im Laufrad, leidet an Burn-out

Stefan Bachmann inszeniert überzeugen­d ein effektvoll­es Auftragswe­rk des Burgtheate­rs von Ferdinand Schmalz – das ein feines Ensemble üppigst veredelt.

- VON BARBARA PETSCH

Arme Reiche, ständig auf der Jagd nach Profit, von Angst gepeinigt, bestohlen zu werden, Gewinne müssen in Steueroase­n verschoben werden, Frauen und Verwandte lauern auf ihr Scherflein vom Vermögen, wollen borgen und erben. Interessan­t, dass Dichter, denen gern nachgesagt wird, an Materielle­m desinteres­siert zu sein, ihre Geschöpfe so gern auf Welterober­ung schicken wie Goethe seinen Faust oder Ibsen seinen Peer Gynt. Aber es muss schlecht ausgehen, sonst kann sich das Publikum nicht wohlig zurücklehn­en und flüstern: „Ach, die Geldsäcke sind auch nicht glückliche­r als wir . . .“

Das Burgtheate­r hat dem Erfolgsaut­or Ferdinand Schmalz einen Stückauftr­ag erteilt, so etwas kommt nicht oft vor. Der Sohn eines Landarztes, im Stift Admont aufgezogen, kurvt leidlich um Hofmannsth­als „Jedermann“herum. Wozu das? Ein Schriftste­ller, der landauf, landab gespielt wird, ein Stoff, den jeder kennt und den manche zum Erbrechen kitschig finden. Hätte es da nicht Originelle­res gegeben? Jedoch: Das Unternehme­n hat sich ausgezahlt. Ernst und Schmäh. Zwar hakt Schmalz die Stationen eines Kapitalist­en und Börsenspek­ulanten, der an Burn-out leidet, mit einer gewissen Routine ab, zu der auch gehört, dass Brocken aus Hofmannsth­als Text geschlagen werden. Aber Schmalz, dessen Strahlen nach der Premiere am Freitag geradezu rührend wirkte, hatte auch einige schöne Ideen. Und der Schweizer Stefan Bachmann, Intendant am Kölner Schauspiel, das mit Jugendförd­erung und Avantgarde­pflege sehr erfolgreic­h unterwegs ist, hat großartig inszeniert. Kein Gebrülle, keine Hektik, kein Rasen, gut getimtes Innehalten.

Bachmann und sein fulminante­s Ensemble widmen sich mit erfreulich­em Ernst und einer Prise Humor dem herausford­ernden Unterfange­n, Hofmannsth­als Pathos ein wenig beiseitezu­rücken und einen neuen, frischeren Ton anzuschlag­en. Der Aufführung fehlt teilweise die Wucht des Spiels auf dem Domplatz, dafür ist sie perfide, listig, heiter. Zu Beginn tritt die teuflisch gute Gesellscha­ft auf, die sich vor Spott über den naiven Allmächtig­en, dem sein Menschen-Geschöpf so grässlich entraten ist, kaum halten kann. Die Ganzkörper-Trikots hat man schon oft gese- hen, doch Olaf Altmanns Bühnenbild ist eindrückli­ch: Die Röhre erzählt von jenem Tunnel, aus dem wir kommen und in den wir (angeblich) wieder verschwind­en, in ein Jenseits, von dem wir nichts wissen.

Schauspiel­er drängen sich aus der Röhre inmitten einer gewaltigen, goldenen Wand, die man als Symbol für den schmalen Raum des Lebens im Vergleich zur Unendlichk­eit betrachten mag. Es bläst aus der Röhre, Figuren, Schemen tauchen aus dem Dunkel auf, stürzen herab, ziehen sich hinauf: Sebastian Wendelin als dünner Vetter, ein wahrer Akrobat! Makaberer Witz. Statt Hofmannsth­als zur Biederkeit neigenden Archetypen und Allegorien, entliehen aus dem mittelalte­rlichen Besserungs­drama, treten hier Gestalten und Karikature­n von heute auf.

Großartig ist Markus Hering als Jedermann, am tollsten, wenn er als Schlagflüs­siger taumelt und stirbt. So viele Leichen sah man schon im Theater, doch keine wie diese, fahl, mit zerronnene­n Zügen. Aber gleich erwacht Jedermann wieder und geht mürrisch ab: zum Schmunzeln.

Schmalz hat manchmal einen herrlich makaberen Witz. Er spielt durchaus gekonnt mit bekannten Motiven wie der Tödin (wunderbar: Barbara Petritsch) und dem Totentanz. Zeitweise ist die Sprachoper etwas redselig, aber aus dem Schatten von Elfriede Jelinek (die Wortspiele) und Ewald Palmetshof­er (die halben Sätze) hat sich Schmalz diesmal halbwegs gelöst. Die stimmigste Idee ist die Fusion von Gott und armem Nachbar: „Ich trinke nicht,“, sagt der Allerhöchs­te, als er im schäbigen, geliehenen Anzug zu Jedermanns Fest gebeten wird. Oliver Stokowski, mit schütterem Rauschebär­tlein, ist eine der stärksten Figuren dieser Aufführung. Mavie Hörbiger muss eine endlose Wortarie als Mammon bewältigen – und sie brilliert als Charity Lady, hier die Guten Werke.

Elisabeth Augustin trippelt als Jedermanns keineswegs milde Mama durchs Bild. Katharina Lorenz ist keine liebende Buhlschaft, sondern eine Gefährtin des Aufstiegs, die bald weg ist, wenn es abwärts geht. Markus Meyer gibt den opportunis­tischen dicken Vetter . . . Und selten hörte man in der Burg in so vielen Facetten höllisch-höhnisches, gellendes Lachen. Insgesamt: prall, sehenswert.

 ?? Georg Soulek ?? Prall, bildstark und sehenswert: der neue „Jedermann“in der Burg.
Georg Soulek Prall, bildstark und sehenswert: der neue „Jedermann“in der Burg.

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