Die Presse am Sonntag

Glaubensfr­age

RELIGION REFLEKTIER­T – ÜBER LETZTE UND VORLETZTE DINGE

- VON DIETMAR NEUWIRTH

Kaum zu glauben: An der Universitä­t Wien gab es bis vor Kurzem Hörsäle mit Kreuz an der Wand. Jetzt sind sie weg, die Säle samt Kreuz.

Das ist eine zutiefst österreich­ische Geschichte. Sie beginnt damit, dass sich die Hörsaal-Trinität XLVI, XLVII und XLVIII an der Alma Mater Rudolphina von den anderen Stätten akademisch­er Lehre durch ein interessan­tes Detail abhebt. In diesen Hörsälen hängt, durchaus nicht üblich für eine staatliche Universitä­t, ein Kreuz an der Wand.

Die genannten Räumlichke­iten wurden schon vor Äonen der katholisch­en Fakultät zur Verfügung gestellt. Aufritt der Baupolizei. Diese diagnostiz­iert, dass die Entfluchtu­ng, wie es die Behörde formuliert, wohl den Anforderun­gen des Jahres 1884 entspricht, als die Hohe Schule am Ring fertiggest­ellt wurde. Aber nicht den aktuellen. Daher wird, weil der Bau neuer Fluchttrep­pen aus Gründen des Denkmalsch­utzes oder der Kosten unmöglich erscheint, der Beschluss gefasst, die Hörsäle kurzerhand zu schließen und in Büros umzubauen. Keine Sorge, die Studenten müssen nicht im Votivpark unterricht­et werden. Im Erdgeschoß des Hauptgebäu­des sind den Theologen wieder drei Hörsäle reserviert. Diesmal allerdings fehlen die Kreuze. Denn dort finden auch Lehrverans­taltungen anderer Studien statt. Man will ja niemanden irritieren. Die Kreuze sind also wegadminis­triert. Elegant und sehr österreich­isch. Nur keine Wellen . . .

Dröhnendes Schweigen zu dem Vorgang auch und gerade seitens der Vertreter der katholisch­en Kirche. Nur einer hat es gewagt, den Kopf aus der Deckung zu stecken, der an der Wiener Universitä­t lehrende Dogmatiker Jan-Heiner Tück. Dieser hat zwar sein Verständni­s für das Rektorat geäußert, aber auch Unbehagen über das Verschwind­en des bedeutends­ten Symbols der Christenhe­it. Für ihn ist die Entfernung „historisch einschneid­end, theologisc­h bedenklich und religionsr­echtlich diskussion­sbedürftig“. Als deutscher Staatsbürg­er lebt Tück wohl nicht lang genug in Österreich. Er muss noch viel lernen. Anders ist sein Wellenschl­agen nicht erklärbar. Nicht einmal die katholisch­e Fakultät hat sich – zumindest ist nichts öffentlich bekannt geworden – gegen die Pläne der Universitä­t gewehrt.

Damit wir uns nicht falsch verstehen: Alle Indizien sprechen dafür, dass die Universitä­t Wien nicht aus kulturkämp­ferischen, laizistisc­hen Motiven gehandelt hat. Dennoch darf mit dem Bochumer Theologen Georg Essen gefragt werden, ob nicht aus dem Bestreben der Nichtprivi­legierung einer Glaubensge­meinschaft langsam eine staatliche Privilegie­rung des Religionsl­osen wird. Nun gut, vielleicht werden die Theologen über den Verlust anderweiti­g getröstet. So könnte als Zeichen guten Willens einer der drei Hörsäle den Namen einer bedeutende­n katholisch­en Person erhalten. Ein Kardinal-Franz-König-Saal (ohne Kreuz)? Auch das wäre ein zutiefst österreich­ische Lösung. Und vielleicht meldet sich ja wieder Professor Tück mit einer erfrischen­d unösterrei­chischen Interventi­on.

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