»Ich will Präsidentin Amerikas werden«
Sie fotografierte Louis Armstrong und Miles Davis, Fidel Castro und die Kennedys: Trotzdem, sagt Lisl Steiner, sei sie nie die Starfotografin gewesen, als die sie gern gehandelt wird. Ein Gespräch über guten und schlechten Stolz, ihre Nachbarn, die Rockef
Sie waren immer reiselustig, sind bis heute viel unterwegs, kommen auch immer wieder nach Österreich. Lisl Steiner: Das Wichtige im Leben ist, dass man etwas erlebt hat. Dann sagt man nicht, oh Gott, ich war nicht dort, ich hab nicht das getan. Das ist traurig, wenn Leuten das passiert, dann haben sie nichts im Leben. Aber ich hab halt viel, ich habe viel erlebt und bin (summt) die Scheherazade der Fotografie. Und Lisl Baby. Woher kommt der Name Lisl Baby? Die Ingrid Rockefeller, die ich kenne, seitdem sie sieben ist, und unsere Freundin Vivan Winther haben gemeint, Lisl Baby wär so eine Art exklusiver Club. Nur wenige werden da hereingelassen, sehr snobistisch. Die beiden filmen mich seit ein paar Jahren, und durch dieses Filmen bin ich immer mehr draufgekommen: Das Leben ist ein Kreis. Es fängt nackt an, es hört nackt auf. Wenn ich jetzt ein Kind in einem Wagen sehe, denk ich mir, das macht genau dasselbe wie ich. Sehr lustig in irgendeiner Form . . . Ich saß vor ein paar Reisen hier auf der Kärntner Straße, und da kommt ein Mann, und das Kind im Wagerl mit einem iPhone, im Alter von drei! Der Mann hat an dem Tag einen Posten bei der UNO angetreten, er war ein Ingenieur, also habe ich ihn gefragt: Können Sie mir bitte erklären, was das Grid ist? Wenn irgendein Hacker oder zwei oder drei da drankommen, können die das durchschneiden, und dann gibt es kein Telefon, kein Wasser, kein Licht. Wir sind in einem Zeitalter, in dem alles sehr schlecht ist. Kaputt. Ich hab auch ein YouTube-Video, da bin ich auch nackt. Unter Lisl Steiner. Hier sagt man Steiner (sehr hart, Anm.), das ist Österreichisch. Am liebsten ist mir (haucht) Steinär, auf Französisch. Es gab einen alten Film, da hieß der Mann so. Viel eleganter. Haben Sie den Eindruck, dass die Welt härter wird? Immerhin mussten Sie Österreich vor 80 Jahren wegen der Nazis verlassen. Es ist alles so unorganisiert. Amerika, die ganze Welt sind destabilisiert. Und jetzt kommen alle diese Leute . . . Die sind alle gut angezogen. Aber würdest du gern zehn Leute in deinem Haus haben? Niemand will das. Diese Völkerwanderung passiert, weil sich Amerika überall einmischt. Die müssen nicht im Jemen sein. Die sollen sich um ihren eigenen Dreck in Amerika kümmern, wo es sehr viele arme Leute gibt. Und Kranke, die nicht richtig behandelt werden. Auf eine Art ist es Weltkrieg drei. Und die Presse ist vollkommen heruntergekommen, es ist nur noch Entertainment. Es ist katastrophal. Sie meinen die US-Medien? Oder verfolgen Sie auch hier die Nachrichten? Ich lese alles. CNN ist am Hund. So was von schlecht. Und alles ist schnell. Du siehst es, und schon ist es vorbei. Eine Hast. Alle Leute sind hastverfallen. Wie sieht es mit „Time“oder „Newsweek“aus, für die Sie gearbeitet haben? Nur sehr klein gearbeitet. Alle machen mich größer, als ob ich der Star gewesen wäre. Ich bin auf die Universität in Argentinien gegangen, es hat mir dort nicht gefallen, also bin ich wieder weggegangen. Ich bin ein Autodidakt. Aber alle erwähnen mein Diplom, das ich nie bekommen habe und von dem ich nie sage, ich hätte es. Die Wahrheit ist verpönt. Die Starfotografin vom „Life“-Magazin? War ich nicht. Es gab eine Revolution im Jahr 1955, da kam ein sehr lieber General an, der fuhr nach Ushuaia fischen, und ich bin ihm in einem kleinen Flugzeug nachgeflogen, hab dabei
1927
in Wien geboren, floh Lisl Steiner mit ihrer Familie 1938 nach Argentinien. Dort begann sie, für Dokumentationen und als Fotojournalistin zu arbeiten.
1960
übersiedelte sie nach New York. Als freie Mitarbeiterin arbeitete sie u. a. für „Time“, „Newsweek“, „New York Times“, AP.
Anfang der Siebziger
zog sie mit ihrem zweiten Mann, dem Psychiater Michael Meyer Monchek, nach Pound Ridge, NY, wo sie seither lebt.
Sie fotografierte
u. a. Louis Armstrong, Leonard Bernstein, Jimmy Carter, Fidel Castro, Miles Davis, Duke Ellington, Norman Mailer, Richard Nixon oder Martin Luther King, das Begräbnis von John F. Kennedy und Henry Kissinger mit Franz Beckenbauer in der Badewanne.
In ihrer
E-MailSignatur steht photojournalist/ documentarian/ kuratorin/valkyrie/ energie spendende (. . .) goddess/golden treasur egg of Easter/ etc stop
2015
erschien der Bildband „Lisl Baby“in der Edition Lammerhuber. die Schafe gezählt in Patagonien. Dann hab ich ihn dort fischend fotografiert, „Time Life“hat das imponiert, dass ein General fischt, so hat es angefangen. Aber ich hatte kleine Assignments, Freelance. Und jetzt ist das ganz verpönt, Freelancing ist keine gute Angelegenheit mehr, weil sie Freie gar nicht mehr respektieren. Es ist alles Scheiße. Und ich bin Hot Shit in Vienna. Hot Shit? Weil alle mich wollen. Aber übermorgen ist es vorbei, da kommt schon ein anderer. Ich hab einen Freund, ein wunderbarer Fotograf. Er hat ein Bild von mir gemacht, da sah ich wie ein Zündholz aus, dünn und roter Kopf. Er lobt mich immer, sagt: Du hast mir alles beigebracht. Ich hab ihm gesagt: Kauf einen Sockel. Er hat es brav getan. Ich bin drauf, mit einem brennenden Papier, fast hab ich mich selbst angezündet. Im Moment, in dem du auf einem Sockel stehst, wirst du heruntergerissen. In Amerika ist das sehr arg. Die Welt ist sehr brutal. Auch zu Ihnen? Ein Beispiel: Ab dem Jahr 1961 bis 2013 war ich Chronicler in Residence bei Caramoor, in der Nähe von mir. Das war ein Musikfestival, ich habe alle gezeichnet, fotografiert, gefilmt, natürlich ohne Geld, pro bono. Und dann kommt ein neuer Mann, und das Erste, was er macht? Meinen Titel absägen. Es gibt keinen Chronicler mehr. Ich hab es nicht persönlich genommen. Aber ein Jahr lang hab ich Civil Disobedience praktiziert, zivilen Ungehorsam. Da stand ich in der Tür zu dem Saal. Und dann ist mir eingefallen, es ist eigentlich Blödsinn, weil alle meine Freunde, die da reingegangen sind, geglaubt haben, ich warte auf jemanden. Das war nicht sehr effektiv. Aber doch: Es war ein Statement, das wichtig war für mich. Es gibt einen schlechten Stolz, wenn man glaubt, man sei das Größte der Weltgeschichte. Und es gibt einen guten: Dass man sich manche Dinge nicht gefallen lässt. Waren Sie immer schon selbstbewusst? Statt Kinder zu bekommen, haben Sie in den Fünfzigerjahren Ihre Karriere begonnen. Ich hab keine Kinder, Gott sei Dank. Ich hab die Kinder aller meiner Freunde, die kommen, bleiben, und dann gehen sie nach Hause. Das ist wunderbar. Ich habe meinen ersten Mann kennengelernt, als ich 14 war, hab ihn mit 23 geheiratet und war noch eine Jungfrau. Nach vier Jahren haben wir gesagt, unser Weg hat sich geteilt. Eines Ihrer Lieblingsprojekte waren die „Kinder Amerikas“. Ich bin in jedes Land gefahren mit 900 Rollen Kodachrome, die nie aufgemacht wurden, da hätte Heroin drinnen sein können. 21 Außenminister haben in Chile unterschrieben, dass mein Projekt sehr wichtig ist. Kinder sind die Ärzte, die Diktatoren, die Künstler von morgen. Ein Spruch, der mir so gefällt, ist von Saint Exupery:´ „Alle großen Leute waren einmal Kinder, aber nur wenige erinnern sich daran.“Und jetzt bin ich 90. Ich liebe mein hohes Alter. Wir sind nicht hässlich, nur anders. Ich seh gern aus wie in „La traviata“. Schwindsüchtig. Und wie die Madame von einem Puff. Die Huren, finde ich, sind keine Huren. Die Huren sind die Politiker. Ich will Präsidentin Amerikas werden. Aber ich kann nicht, weil ich nicht dort geboren bin. Sie haben sich in Ihrer New Yorker Heimat Pound Ridge mit Rockefellers angefreundet. Wie lebt man mit diesem Namen? Wenn man viel Geld hat, kommen auch viele Schuldgefühle dazu. Und Tragödien. Das Geld der Welt kann das
. . . wie wichtig Mode für Sie ist? Ich bin dagegen, dass man sich weiß Gott was einkauft. Wie die überhaupt ihre blöde Mode verkaufen, ist mir ein Rätsel. Alle gehen schwarz gekleidet, Schal, um das Doppelkinn zu verdecken, Mann und Frau. Und meine Freunde haben alle schlechte Augen, die sehen mich ja nicht einmal. . . . ob Sie immer schon so offen gesprochen haben? Ich bin ein offenes Buch. Fuck. Merde. Ingrid Rockefeller sagt immer, ich soll nicht so reden. Aber das ist wichtig. Wenn ich in meinem Auto sitze, in einem orangefarbenen Audi, sag ich immer „Fuck you“oder „Merde“, zu mir selbst. Dann kriegt man keine Zustände. Wie bei einem Teekessel. . . . was die beste Zeit Ihres Lebens war? Jede. Ich hatte eine gute zweite Ehe. Ich hatte wunderbare Hunde. Es heißt ja – da ich nie schwanger war, kann ich es nicht bestätigen –, dass man auch eine sehr schwere Geburt vergisst. Man erinnert sich nicht, wie schwer es war. So ist es mit dem Leben auch. Schuldgefühl nicht wettmachen. Dass es so viel Intrige, so viele Kriege um das Öl gibt auf der ganzen Welt. Zu reich zu sein ist fast so arg wie zu arm zu sein. Zu viel Geld ist absolut keine gute Angelegenheit. Welche Erinnerungen haben Sie an Wien? Kindererinnerungen. Ich saß am Schoß von Adolf Loos, das war ein Freund meines Vaters. Es gab einen Dichter, Peter Altenberg, der wohnte im Graben-Hotel. Der hatte dort ein Zimmer und lauter Zeichnungen von hübschen nackten Mädchen. Er war auch ein Stammgast im Central. Es steht dort eine Figur, das ist er. Ich erinnere mich, dass ich mit den Kindern vom Dollfuß in die Schule gegangen bin. Ich glaube, sie hieß Schwarzwaldschule. Als er ermordet wurde, sind wir Kinder zur Aufbahrung gegangen. Es war mein erster Toter. Vor einiger Zeit habe ich mir gedacht, ich werde seine Kinder aufsuchen. Aber sie sind schon auf dem Friedhof. Was würden Sie noch gern erledigen? Mit 90 macht man keine Pläne. Ja, man kann auch mit 40 einen Ziegelstein auf den Kopf kriegen. Mein Arzt in Amerika ist lieb, der liebt mich heiß. Ich hab ihn gefragt: „Was macht man, wenn es so weit ist? Muss ich hundert Pillen schlucken?“Er hat gesagt: „Nein, du kriegst Champagner und noch was, dann geht’s schnell.“Mein Mann hat einmal gesagt, am Ende: Kein Wasser mehr. Das hab ich getan. Ich hab geholfen, ihn zu befördern. Und ihn gefilmt. Man darf keine Angst vor dem Tod haben. Man bleibt nicht ewig, und ich möchte nicht hier bleiben, wenn ich eine grässliche Krankheit habe. Man muss einsehen, das Leben ist wie ein Babyhemdchen, kurz und beschissen. Es gibt so viele gute Sprichwörter in Österreich. Und am Ende des Satzes gibt es oft einen Witz.