»Der Kapitalismus bringt den Armen am
Der schwedische Bestsellerautor Johan Norberg ist ein leidenschaftlicher Optimist. Seine sonnige These: Es geht uns nicht nur so gut wie noch nie, der Menschheit stehen auch goldene Zeiten bevor. Unplausibel? Wir dürfen nur nicht zu viel Zeitung lesen.
Schauen wir uns kurz um: In Syrien tobt ein schrecklicher Krieg. Die Vereinigten Staaten regiert ein sehr unvernünftiger Präsident. Die Briten treiben einen Zerfall Europas voran. Autoritäre Regime sind auf dem Vormarsch, nicht nur in der Türkei. Im Mittelmeer ertrinken Tausende Flüchtlinge. Der Klimawandel bedroht vor allem die ärmsten Länder. Wie können Sie da sagen: Wir leben in der besten Epoche der Geschichte und gehen einer großartigen Zukunft entgegen? Johan Norberg: Denken Sie an die dramatischen Ereignisse der Nachkriegszeit, die doch angeblich um so viel harmonischer und hoffnungsvoller war. Europa war geteilt und zur Hälfte in der Hand von Diktatoren. Es drohte ein Atomkrieg. In den USA gab es schwere Rassenunruhen. Im Koreakrieg gab es viel mehr Todesopfer als in jedem heutigen Konflikt. Zu allen Zeiten gibt es seltsame und gefährliche Politik. Aber das ist nicht die Alltagserfahrung der Menschen. Wir sollten nicht auf die Headlines, sondern auf die Trendlinien schauen. Dann sehen wir: Es gab noch nie eine Epoche, in der die Menschen so lange und gesund lebten, sich so sicher fühlen konnten, so gut ausgebildet und so wohlhabend waren. Fast jede Messgröße zeigt: So gut ist es uns noch nie gegangen. Klar, die extreme Armut ist weltweit zurückgegangen, das weiß ja jeder . . . Im Gegenteil, da gehören Sie zu einer kleinen Minderheit. Wenn man die Europäer fragt: „Ist die weltweite Armut heute doppelt so hoch, weniger als halb so hoch oder gleich hoch wie vor 30 Jahren?“, dann gibt nur einer von zehn die richtige Antwort (tatsächlich ging sie um drei Viertel zurück). Wir lassen uns von veralteten oder irreführenden Informationen einreden, wie schrecklich unsere Welt angeblich sei. Also sind die Journalisten schuld? Nur zum Teil. Natürlich, wenn ich jetzt sage: „Das Ende der Welt steht bevor“, dann machen Sie Ihre Schlagzeile draus. Man sieht nie einen Artikel mit dem Titel: „Die Lebenserwartung ist in der letzten Woche wieder um einen Tag gestiegen“. Das ist zu wenig aufregend. Aber diese langsamen, stetigen Verbesserungen sind das eigentlich Entscheidende: Wir leben heute um 40 Jahre länger als vor eineinhalb Jahrhunderten. Nur: Ohne euch Journalisten reimen wir uns noch viel schlim- mere Geschichten zusammen und verbreiten noch viel ärgere Gerüchte. Es liegt also an uns, am Publikum. Wir wollen das schockierende Zeug. Das war doch schon immer so. Trotzdem sehen wir die Dinge heute düsterer als früher. Ja, das ist eines der wenigen Dinge, die sich wirklich verschlechtert haben. Mit globalen Medien rund um die Uhr, dem Internet und sozialen Netzwerken können wir schreckliche Dinge (die eigentlich immer seltener passieren) viel schneller und weiter verbreiten als früher. Mit der Handykamera ist immer jemand live am Ort des Geschehens. Auch wenn sich die Mordraten halbiert haben: Irgendwo auf der Welt schwingt immer ein wahnsinniger Killer seine Axt. Und wir sind dabei und reden dann darüber. Aber wäre es nicht ganz falsch, sich mit dem Erreichten zufrieden zu geben? Absolut. Aber ich sehe kein großes Risiko, dass wir an einem Übermaß an Optimismus zugrunde gehen. Wenn wir alles schwarz sehen, bringt das den Fortschritt erst recht nicht voran. Es macht nur hoffnungslos und fatalistisch. Viele Hilfsorganisationen gestehen mir: „Wir haben einen Fehler gemacht.“Sie sammelten Spenden mit dem Argument, alles sei ganz furchtbar. Das ging lange gut. Aber jetzt hören sie: „Ihr sagt das seit 50 Jahren, und offenbar hat sich nichts verbessert. Warum sollten wir immer noch spenden?“In Schweden macht jetzt deshalb eine Organisation eine Kampagne gegen die „Fortschrittsphobie“. Sie preisen den historisch einmaligen Anstieg des Wohlstands in den beiden letzten Jahrhunderten. Wie kam es dazu? Seit der Aufklärung haben wir die Freiheit, neues Wissen zu entdecken und zu nutzen. Wir dürfen mit Technologien experimentieren, vom Kunstdünger bis zu Halbleitern. Und vor allem haben wir mehr Freiheit, Ideen zu verbreiten und Güter über die Grenzen hinaus zu handeln – was jetzt wieder auf dem Spiel steht. Sie zitieren Experten, die Asien in den 60erund 70er-Jahren für einen hoffnungslosen Kontinent hielten. Sie sagten Überbevölkerung, Kriege und Hungersnöte voraus. Die Südkoreaner etwa hätten keine Chance, weil es ihnen an Arbeitsethos mangle. Heu- te denken viele genau das Gleiche von Afrika. Liegen wir da genauso falsch? Das ist sehr gut möglich. Wir sind immer ganz toll darin zu erklären, warum anderswo der Fortschritt bisher ausgeblieben ist – wegen der Kultur, wegen den Traditionen. Tatsächlich verändern sich Kulturen viel stärker, als wir glauben, durch die Anreize, die man dort setzt. Einige afrikanische Volks- wirtschaften wachsen bereits sehr stark. Warum? Weil es dort erstmals Rechtsstaatlichkeit, Eigentumsrechte und stabile Institutionen gibt. Plötzlich wird klar: Dass die Menschen dort früher alles Erwirtschaftete sofort konsumiert haben, lag nicht an ihrer Mentalität. Der Grund war: Es wäre ihnen schon am nächsten Tag gestohlen wor-